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Empowerment – Ein Grundprinzip der Opferperspektive

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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

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Elisabeth Strauch arbeitet als Beraterin des Vereins Opferperspektive, welcher Beratung für Betroffene rechter und rassistischer Gewalt anbietet.

Von Elisabeth Strauch

Viele Betroffene von rassistischer Diskriminierung und Gewalt erleben sich nicht nur in der direkten Situation von Übergriffen und Diskriminierungen als machtlos und verletzlich, sondern auch in den nachfolgenden sozialen Prozessen. Oft bekommen sie zu spüren, dass ihnen durch Behörden, Institutionen oder aus dem sozialen Umfeld ihre Erfahrungen und Ängste abgesprochen oder sie bagatellisiert werden. Auch passiert es häufig, dass den Opfern eine Mitschuld an der Tat zugeschrieben wird. Die dadurch hervorgerufen Verletzungen werden als sekundäre Viktimisierung bezeichnet und erschüttern das Sicherheitsgefühl sowie das Selbstbild der Betroffenen. Ein Bestärken, im Sinne der Erfahrung von Selbstbestimmung und Selbstermächtigung bildet daher ein wesentliches Grundprinzip der Beratungsarbeit im Verein Opferperspektive – Solidarisch gegen Rassismus, Diskriminierung und rechte Gewalt.

Die Ratsuchenden werden durch die Mitarbeitenden ernst genommen. Es wird ein höchstmöglicher Grad an Transparenz für weitere Verläufe gewährleistet und es werden keine Schritte ohne Rücksprache mit den Ratsuchenden eingeleitet. Durch eine empathische und politische Haltung, sowie eine Stärkung der Kompetenzen der Ratsuchenden, können diese selbstbewusster die eigenen Rechte und Interessen vertreten. Gespräche sind hierbei durch einen dialogischen Prozess gekennzeichnet, in welchem die ratsuchende Person mit ihren Bedürfnissen im Mittelpunkt steht. Die eigenen Stärken, Ressourcen und Wünsche werden gemeinsam herausgearbeitet und Lösungsstrategien entwickelt. 

Fallbeispiel

Für den Ratsuchenden Adil S. ist dieser Arbeitsansatz essentiell. Schon häufig erlebte er, dass ihn Menschen mit seinen Gefühlen zu Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen nicht ernst genommen haben. Oft erscheint es ihm, als habe er ein Problem verursacht und nicht aufgedeckt.

Anfangs berichtete Adil S. verschiedenen Menschen von seinen rassistischen Erfahrungen. Er erzählt seinen Freunden davon, wie er auf dem Schulweg rassistisch beleidigt wird. Die Reaktion war: „Nimm das nicht so ernst. Die Leute meinen das nicht so. Sie sind nun einmal so. Vergiss es einfach“. Seinen Eltern berichtete er nichts von den Anfeindungen, aus Sorge sie zu belasten. Als Adil eine Absage bei dem Schulpraktikum mit der Aussage „Wir nehmen nur deutsche Muttersprachler“ bekam, wendet er sich an einen Mitschüler. Dieser war kurz irritiert und verteidigte dann aber den Betrieb mit der Aussage, dass er das schon verstehen könne, da ja schließlich im Verkauf gearbeitet wird und dort gutes Deutsch gesprochen werden muss. Was Adil mit Diskriminierung meine, kann er hier nicht nachvollziehen.

Nachdem Adil von einer Gruppe junger Männer angegriffen wird, gibt er sich anfangs selbst die Schuld an dem was passiert ist. Schon oft wurde ihm signalisiert, dass es normal sei angefeindet zu werden, und dass er möglichst nicht auffallen solle. Adil versucht zu verdrängen, das Erlebte nicht so ernst zu nehmen. Und dennoch: Er hat Angst. Er kann nicht schlafen. 

Adil wird schlechter in der Schule. Er ist gereizt, wirkt für Außenstehende aggressiv. Das bemerkt eine aufmerksame Lehrerin und spricht ihn in einem vertraulichen Gespräch auf die Veränderungen an. Sie weiß, dass Adil potenziell von Rassismus betroffen ist und hört ihm mit viel Einfühlungsvermögen zu.

Nachdem Adil ihr von dem Angriff erzählt, stellt sie nicht in Frage was ihm passiert ist und bestärkt ihn. Sie nimmt das Thema ernst und vermittelt ihn an die Beratungsstelle der Opferperspektive. Nach längeren Gesprächen mit der Beratung wird deutlich, dass auch andere Jugendliche aus dem Ort von Rassismus betroffen sind. Sie reden nicht viel darüber – man bekommt nur am Rande etwas davon mit. Auch der Jugendtreff in dem Ort berichtet, dass es bei den Besucher*innen einen großen Bedarf an Austausch zu diesem Thema gibt.

Der Empowerment-Workshop als geschützter Raum des Aufarbeitens, Einordnens und des Stärkens 

Neben der Beratungsarbeit bietet die Opferperspektive seit 2019 Betroffenen von Rassismus einen eintägigen Workshop an. Hier können sich die Teilnehmenden mit Menschen, die ähnliche oder gleiche Erfahrungen gemacht haben, begegnen und austauschen. Das Konzept wurde gemeinsam mit dem Bildungsteam Berlin - Brandenburg e.V.entwickelt, welches seit 1997 erfolgreich Seminare, Projekttage und Fortbildungen in diesen und verwandten Themen anbietet. 

Das Konzept vereint verschiedene Formate und Methoden, die in einem fachlich moderierten Rahmen eingesetzt werden, um den Austausch der Teilnehmenden als Expert*innen ihrer eigenen Rassismuserfahrungen anzuregen. Der Workshop wird von zwei professionellen Empowermenttrainer*innen begleitet und durch die Expertise der Mitarbeiter*innen der Opferperspektive ergänzt. Lokale Kooperationspartner*innen und Ratsuchende unterstützen auf organisatorischer Ebene bei der Umsetzung.

In dem Workshop sollen Wege und Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie sich Menschen nach Übergriffen gegen Diskriminierung und Gewalt selbst behaupten können. Das persönliche Handlungsspektrum wird erweitert und die Betroffenen lernen Situationen besser einzuschätzen. Gemeinsam werden Handlungs- und Widerstandsstrategien fokussiert.

Dies soll auf zwei Wegen erlebbar werden. Zum einen durch den methodisch unterstützten und moderierten Austausch der Betroffenen untereinander und zum anderen durch die Ausführungen der Trainer*innen und Mitarbeiter*innen der Opferperspektive. Dadurch entsteht ein prozessorientiertes, gegenseitiges Erfahrungslernen.

Die Vernetzung der Teilnehmenden untereinander kann selbst als ein Moment des Empowerments verstanden werden. Der Austausch bestärkt sie in in ihrer Wahrnehmung und deckt neue Strategien zum Umgang mit Rassismus auf. Sie merken „Ich bin mit meinen Erfahrungen und Problemen nicht allein“. Das wirkt meist entlastend. 

Die Trainer*innen klären über die strukturelle Verankerung von Rassismus, wie auch über die psychosozialen Folgen von Diskriminierung auf. 

Die Mitarbeiter*innen des Vereins Opferperspektive informieren darüber, was nach einer erlebten Diskriminierung oder einem rechten Angriff getan werden kann. Hierbei orientieren sich die Mitarbeitenden an den Fragen der Teilnehmenden und bieten bei Bedarf weitere Beratungs- und Unterstützungsangebote an.

Die individuellen Strategien der Teilnehmenden werden durch die Beiträge des Bildungsteams und der Opferperspektive ergänzt. Das kann dazu beitragen, schmerzliche Erfahrungen zu verarbeiten, die eigene Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen und sich aktiv gegen Rassismus einzusetzen. 

Die Veranstaltung ist für sechs bis 15 (junge) Erwachsene geeignet, die Rassismus im Alltag durch Sprache, Ausgrenzung und Diskriminierung oder durch Bedrohung und körperliche Gewalt erleben. Die Rolle der Trainer*innen ist dabei nicht zu unterschätzen. Sie müssen spezifiziertes Wissen über die Themen Rassismus, Empowerment und Diversität mitbringen, sowie ein sensibles Gespür für Gruppenprozesse und individuelle Verarbeitungsprozesse haben. Auch müssen sie in der Lage sein, die Teilnehmenden partizipativ einzubeziehen und flexibel auf den Kontext und die Situation einzugehen. Die Methoden und Inhalte müssen sich an den Lebenswelten der Teilnehmenden orientieren und es muss zum Ende ein Healing (Heilung) stattfinden. Das bedeutet, es muss eine Perspektive gefunden werden, um die Teilnehmenden mit ihren Gefühlen und Erfahrungen nicht alleine zurück zu lassen.

Bezogen auf Adil S. wird gemeinsam mit verschiedenen Akteur*innen ein Empowerment-Workshop organisiert. Die Opferperspektive vermittelt zu professionellen Trainer*innen und nimmt als Referent*innen an dem Workshop teil. Gemeinsam wird in Netzwerken beworben, wodurch schlussendlich zwölf junge Erwachsene teilnehmen. Entscheidend hierfür waren zuvor geführte Gespräche. Ein Empowerment-Workshop zu verletzenden Erfahrungen öffentlich zu bewerben, kann Menschen verschrecken und Sprachbarrieren erhöhen das Risiko, sich nicht angesprochen zu fühlen. Es ist deshalb wichtig, Personen direkt anzusprechen und sie mit ihren Freund*innen und Verwandten einzuladen. 

In dem Workshop lernen auch andere Betroffene den Verein Opferperspektive kennen und weitere Beratungsverhältnisse entwickeln sich. Die Teilnehmenden selbst fungieren als Multiplikator*innen und engagieren sich als gestärkte Gruppe gemeinsam gegen Rassismus in ihrer Region.

 

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