Neuengammer Studienhefte. Verflechtungen. Koloniales und rassistisches Denken und Handeln im Nationalsozialismus
Von Tanja Kleeh
In der Reihe der „Neuengammer Studienhefte“ der KZ-Gedenkstätte Neuengamme ist Anfang 2019 das Heft „Verflechtungen. Koloniales und rassistisches Denken und Handeln im Nationalsozialismus. Voraussetzungen – Funktionen – Folgen“ erschienen. Das Studienheft ist in fünf Kapitel unterteilt. Zu Beginn steht die Hinführung zum Thema sowie die Überlegungen der Verfasser*innen, die zur Entstehung der Bildungsmaterialien führten. Angeschlossen sind vier inhaltliche Module, jeweils versehen mit didaktischem Kommentar, Hintergrundinformationen, Aufgaben sowie Materialien. Zum Abschluss des Heftes findet sich ein Glossar.
Aufbau des Heftes
In das Glossar aufgenommen sind Begriffe aus den Modulen eins bis fünf, die einer Erklärung oder Definition bedürfen. Zur besseren Übersicht wurden diese in den Texten mit blauer Schriftfarbe gekennzeichnet. Innerhalb des Glossars sind einzelne Begriffe ebenfalls blau, wodurch Querverweise entstehen. Ein besonders schneller Überblick entsteht hier in der Onlineversion des Studienheftes mittels verlinkter Querverweise. Zu den Glossarinhalten zählen beispielsweise die Rassismusdefinition und die Erläuterung des Kolonialismuskonzeptes. Die Verfasser*innen des Studienheftes schaffen somit eine einheitliche Arbeitsgrundlage für die Multiplikator*innen. Ebenso wichtig ist die Erläuterung historischer Begrifflichkeiten, wie etwa „Neger“ oder „Mischling“. Diese werden eingeordnet und problematisiert, so dass sensibel mit den bereitgestellten historischen Materialien umgegangen werden kann.
Zielgruppe des Studienheftes sind „Multiplikator*innen der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit mit Zielgruppen ab 16 Jahren“ (S.4). Herausgearbeitet werden sollen – wie im Titel bereits deutlich wird – die Verflechtungen zwischen Kolonialismus und Nationalsozialismus. Diesem Aspekt wird, so die Verfasser*innen, bisher in der Bildungsarbeit wenig bis keine Aufmerksamkeit geschenkt. Doch gerade das nationalsozialistische Deutschland als postkolonialer Staat ist von kolonialen Denkmustern beeinflusst gewesen, die „wenngleich in teilweise veränderter Form und mit veränderten Funktionen und Folgen, auch nach 1933 deutsche Selbst- und Fremdwahrnehmung und staatliches Handeln“ (S.4) beeinflussten. Um in der Bildungsarbeit den Zugang zur Thematik zu ermöglichen, werden im Studienheft entsprechend „Impulse zu verflechtungsgeschichtliche[n] Ansätze[n] in der Bildungsarbeit“ und „Anregungen für eine multiperspektivische und inklusiv Erinnerungskultur“ (S.4) geboten.
Für Multiplikator*innen steht zu Beginn eine Einführung in die Thematik, was auch die Auseinandersetzung mit Begrifflichkeiten wie Rassismus bedeutet. Dabei wird im Studienheft auf eine weite Definition von Rassismus gesetzt, „die auch Formen von nicht ausdrücklich biologischen Rassismus“ (S.6) umfasst. Rassismus als gesellschaftliches Verhältnis findet daher ebenso Eingang in die Publikation wie die unterschiedlichen Ausprägungen von Rassismen. Bereits hier zeigt sich ein große Stärke des Studienheftes: Die Inhalte sind nicht nur detailliert erarbeitet, die Leser*innen können auch die Überlegungen zur Entstehung dieser nachvollziehbar verfolgen. Weiter wird in der Einführung auf den europäischen Kolonialismus und die Sklaverei eingegangen sowie dem Phänomen des Antisemitismus nachgegangen. Bereits an dieser Stelle werden verflechtungsgeschichtliche Ansätze aufgezeigt, wenn etwa „Rassismen gegen People of Color“ in enge Verbindung zum Kolonialismus und dessen bis heute andauernde Nachwirkungen „im politischen und wirtschaftlichen Machtgefälle zwischen dem ,globalen Norden‘ und dem ,globalen Süden‘“ (S.8) gesetzt werden. Zudem werden diese Verflechtungen von Rassismen und Antisemitismus im Nationalsozialismus anhand eines kurzen Abrisses der nationalsozialistischen Ideologie aufgezeigt.
Ebenso nachvollziehbar und detailliert wird der Aufbau der Materialien dargestellt. Die Materialien setzen sich – in den Worten der Verfasser*innen – „aus Erläuterungstexten sowie Bild- und Textquellen, Aufgabenstellungen und didaktischen Kommentaren zusammen“ (S.6). Weiter sind den Materialien didaktische Anmerkungen vorangestellt, die auf die große Diversität der Schüler*innen und die daraus resultierenden Ansprüche der Vermittlungsarbeit verweisen. Einen weiteren wichtigen Punkt thematisieren die Verfasser*innen des Studienheftes mit ihrer Forderung, die nationale bzw. eurozentrische Perspektive zu erweitern (S.10). Dementsprechend basiert das didaktische Konzept des Studienheftes auf Biografien, die den Perspektivwechsel anregen sollen und „Einsichten in Kontinuitäten und Wandel von kolonialem und rassistischem Denken und Handeln“ ermöglichen (S.11).
Vorstellung eines Moduls
Anhand von Modul Drei „Schwarze Menschen zwischen rassistischer Ausgrenzung und kolonialpolitischer Vereinnahmung (1933–1939)“ (S.75f) wird die Umsetzung des vorgestellten Konzeptes aufgezeigt. Den Multiplikator*innen werden Informationen, welche Materialien zu welchem Zweck eingesetzt werden können, zur Verfügung gestellt. Gerade für Kräfte der außerschulischen Bildungsarbeit, die sich bezüglich didaktischer Dinge unsicher sind, werden so Hürden abgebaut. Weiter sind klare Vermittlungsziele entsprechend der einzelnen Unterrichtseinheiten formuliert, zum Beispiel bezüglich der biografischen Einheit: „Die Zielgruppen lernen, kritisch mit Selbstzeugnissen Schwarzer Menschen umzugehen, die unter rassistischen Bedingungen entstanden sind“ (S.77). Um die Multiplikator*innen weiter zu unterstützen, sind weiterführende Literaturempfehlungen aufgelistet, die neben Fachliteratur auch Onlineangebote enthalten.
Den Unterrichtseinheiten vorangestellt ist der veranschlagte Zeitaufwand, das erforderliche Klassenniveau der Teilnehmer*innen und die empfohlene Gruppengröße sowie der Hinweis, welche Materialien mit den Aufgaben zu nutzen sind. Es folgen konkrete Aufgabenstellungen, zum Beispiel „Welche Fragen können durch eine Beschäftigung mit Biografien nicht beantwortet werden?“ oder „Inwiefern können Biografien zum Verständnis von Kontinuitäten und Brüchen in der Geschichte beitragen?“ (S.81). Die Einheiten ermöglichen weitgehend selbstständiges Arbeiten der Teilnehmer*innen und sind entsprechend an die Bedürfnisse angepasst. Neben der nummerischen und alphabetischen Sortierung sind die Materialien zudem farblich voneinander abgegrenzt, beispielsweise mit orange für Biografien.
Die Biografien in Modul Nummer Drei enthalten unter anderem den Lebenslauf von Kwassi Bruce (S.88-89). Die Lebensgeschichte des 1893 in Togo Geborenen ist detailliert nachgezeichnet. Sowohl über seinen persönlichen als auch beruflichen Werdegang – beide immer wieder unterbrochen durch rassistische Einflüsse – finden sich zahlreiche Informationen, die von den Teilnehmer*innen verwendet werden können. Da die Biografien beispielhaft für viele Schicksale stehen, finden sich rassistische Muster, die – entsprechend der Aufgabenstellungen, aber auch nach eigenen Ideen der Multiplikator*innen – hinterfragt und erörtert werden müssen. Hier zeigt sich einmal mehr, wie gut sich das Glossar in das Gesamtkonzept des Studienheftes einfügt: Auch in der Biografie von Kwassi Bruce sind erklärungswürdige Begrifflichkeiten entsprechend gekennzeichnet und können gleich nachgeschlagen werden. Die Materialien ergänzen die Biografie: Hier finden sich Auszüge einer Denkschrift Bruces, die er 1934 an die nationalsozialistische Regierung schickte, sowie ein Foto, dass Kwassi Bruce als Schulkind in Berlin zeigt. Das Zusammenspiel der einzelnen Materialien macht das Modul zu einem vielfältig einsetzbaren Lehrmittel, das nicht nur, aber vor allem mit den vorgeschlagenen Aufgaben funktioniert.
Fazit
Das Studienheft „Verflechtungen. Koloniales und rassistisches Denken und Handeln im Nationalsozialismus. Voraussetzungen – Funktionen – Folgen“ eignet sich hervorragend, um verflechtungsgeschichtliche Ansätze in der Bildungsarbeit zu verfolgen. Durch die detaillierte Ausarbeitung, gerade in der Einleitung und dem Glossar, können auch Multiplikator*innen, die noch nicht mit der Thematik in Berührung gekommen sind, darauf zurückgreifen. Die Publikation stellt eine gute Ergänzung auch für den Schulunterricht da, wenn etwa das Thema Kolonialismus aufgegriffen werden soll. Seine Quellenfülle macht das Studienheft zudem zu einem guten Übungsbuch für Schüler*innen, um ihnen den Umgang mit historischen Materialien aufzuzeigen.
Das Studienheft kann direkt bei der Gedenkstätte für 5,00€ bestellt werden. Weiterführende Informationen zur Thematik finden sich auf der Projekthomepage.
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- 29 Apr 2020 - 10:37