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Der Lernort Keibelstraße – vom Aufbau bis zum aktuellen pädagogischen Konzept

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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

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Birgit Marzinka arbeitet als Leiterin des Lernorts Keibelstraße. Sie ist Geografin und Medienpädagogin mit Schwerpunkt auf die historisch-politische Bildung.

Von Birgit Marzinka

Der Lernort Keibelstraße befindet sich in der ehemaligen Untersuchungshaftanstalt II (UHA II) im Gebäude des Präsidiums der Volkspolizei in Ost-Berlin und sie unterstand dem Ministerium des Innern. Einen Abriss zur Geschichte der UHA und des Gebäudes finden Sie in diesem LaG-Magazin im Artikel von Jan Haverkamp. Nach einer öffentlichen Ausschreibung wurde im August 2018 die Agentur für Bildung – Geschichte, Politik und Medien e.V. von der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie beauftragt den Lernort aufzubauen und zu betreiben. Eine Auflage war, den Lernort im Februar 2019 zu eröffnen. In der Aufbauphase hatten wir mit einem achtköpfigen Team in verschiedenen Archiven recherchiert, eine Ausstellung produziert, Interviews gesichtet und geschnitten, ein pädagogisches Konzept entwickelt und umgesetzt, eine Webseite und eine digitale Lernanwendung erstellt. Um eine wissenschaftsbasierte Vermittlung garantieren zu können, haben wir uns zur Bearbeitung auf nur wenige Themen bis zur Eröffnung konzentriert. Das Konzept stellt eine gute Basis dar, auf der wir aufbauen können. Alle erstellten Elemente sind auf die Bildungsarbeit ausgerichtet.

In der Aufbauphase haben wir mehrere Ausstellungselemente entwickelt:

  • eine Chronologie mit vier verschiedenen Themenebenen: U-Haftanstalt, Deutsche Volkspolizei, Rechtssystem und allgemeine DDR-Geschichte
  • eine kurze Chronologie zur Hausgeschichte
  • zwei Schaubilder über den Aufbau einer U-Haftanstalt in der DDR und wie diese in das System eingebettet war
  • eine Berlinkarte mit sämtlichen Haftanstalten in Ost- und West-Berlin 
  • ein Schaudepot, in dem Fundstücke der U-Haftanstalt zu sehen sind

Um thematische Erweiterungen und einen Werkstattcharakter zu ermöglichen, haben wir uns für ein flexibles Stecksystem mit austauschbaren Tafeln entschieden. 

Für die Bildungsarbeit ist es uns wichtig, dass die Lernenden die Tafeln mit den Faksimiles der u.a. Vollzugsakten als historische Quellen in die Hand nehmen und mit ihnen arbeiten können. Um eine weitere Quellengattung hinzufügen, haben wir Medientische in das Konzept integriert, auf denen videografierte Interviews mit Zeitzeug*innen zu finden sind. Da wir zu Beginn keine eigenen Interviews hatten, die auf den historischen Ort zugeschnitten waren, griffen wir gerne auf das Angebot der Gedenkstätte Hohenschönhausen zurück, ihre Interviews zu nutzen. Auch die Interviews sind austauschbar, um eine thematische Erweiterung und Flexibilität zu ermöglichen. Neben den Quellen geben wir den Lerngruppen noch Hintergrundtexte, die die Themen historisch kontextualisieren und somit ein Erarbeiten der Inhalte erleichtert. Die Lerngruppen arbeiten mit historischen Quellen wie Vollzugsakten, Fotos, Liedtexten oder mit zeithistorischen Zeitungsartikeln, Interviews mit Zeitzeug*innen, Auszügen aus wissenschaftlicher Literatur und Hintergrundtexten. In allen Lernwerkstätten wird Quellenkritik und der Umgang mit Quellen behandelt. Grundsätzlich gehen wir in unserer Themenwahl vom Ort aus. Das heißt welche Haftbedingungen herrschten vor? Welche Haftgründe bzw. welche vorgeworfenen Straftaten lagen vor? Welche sozialen Gruppen hat es besonders getroffen? Wie war das Justizsystem aufgebaut? Welche Ziele hatte die Haft in der DDR?

Die Ziele unserer Lernwerkstätten richten sich nach dem Berliner Rahmenlehrplan und sind:

  • Verschiedene Narrative zur DDR-Geschichte bzw. zur deutsch-deutschen Geschichte zu entwickeln – Multiperspektivität
  • Auseinandersetzungen mit den Themen: Haftgründe und Haftbedingungen, DDR-Geschichte, Gesellschaftsgeschichte der DDR, Rechts- und Haftgeschichte
  • Erlangen von Methodenkompetenz (Umgang mit Quellen und Interviews), Analysekompetenz (eigene Narrative entwickeln) und Urteilskompetenz (eigene Sach- und Werturteile bilden)
  • Auseinandersetzung mit dem Ort und seiner „Authentizität“
  • Herstellung von Gegenwartsbezügen
  • Demokratie- und Menschenrechtsbildung

Inzwischen existieren fünf verschiedene Formate der Lernwerkstätten: eineinhalb Stunden, drei Stunden, viereinhalb Stunden, sechs Stunden sowie eine Lernwerkstatt zum Thema Punks in der DDR. Die Lernenden arbeiten in Kleingruppen. Die Einführung und der Abschluss mit Ergebnissicherung finden im Plenum statt. In allen fünf Lernwerkstätten bearbeiten sie die Themen mit Hilfe von Tablets. Auf den Tablets finden die Jugendlichen:

  • sämtliche Aufgaben u.a. Multiple Choice Fragen, die sie bearbeiten;
  • Felder, in denen die Lernenden ihre Ergebnisse notieren können; 
  • ein Glossar, in dem Schlüsselbegriffe für die Bearbeitung der Aufgaben erläutert werden; 
  • eine DDR-Karte mit sämtlichen Haftanstalten und Jugendwerkhöfen inkl. Informationen zu diesen; 
  • eine App zur Erstellung von Fotos bzw. einer Präsentation, die bei der Ergebnissicherung auf das Smartboard im Seminarraum projiziert werden können; 
  • den Evaluationsbogen zur Beurteilung der Lernwerkstatt. 

Alle Lernwerkstätten beinhalten eine Spurensuche, in der die Jugendlichen den Ort anhand der Kriterien Haftbedingungen, Einrichtungen der Zellen, Kontrolle und Sicherheit, Veränderungen des Gefängnisses durch Filmaufnahmen, Haft in der DDR die Geschichte des Ortes erkunden. Bei der anderthalbstündigen Lernwerkstatt handelt es sich um eine reine Spurensuche, die mehr Fragen beinhaltet. Zur Beantwortung fotografieren die Teilnehmenden einzelne Aspekte der ehemaligen U-Haftanstalt und nutzen die Fotos, um ihre Mitschüler*innen über ihre Ergebnisse zu informieren. 

Bei der dreistündigen Lernwerkstatt können die Jugendlichen nach der Spurensuche zwischen drei verschiedenen Themenblöcken wählen. Aktuell bieten wir folgende Themen an:

  • Anders Leben – Straftat nach §249 DDR-Strafgesetzbuch „Störung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten“. Darunter fällt u.a. das Recht aber auch die Pflicht zu arbeiten und das Verbot der Prostitution. 
  • Ungesetzlicher Grenzübertritt – Straftat nach §213 DDR-Strafgesetzbuch. Darunter zählt auch bereits der Versuch oder die Planung eines Grenzübertritts.
  • Haftbedingungen in der ehemaligen Untersuchungshaftanstalt.

Zur Bearbeitung dieser Themen erhalten die Jugendlichen Vollzugsakten, Interviewausschnitte mit Zeitzeug*innen und kontextualisierende Hintergrundtexte. 

Alle Lernwerkstätten werden evaluiert. Mit Hilfe dieser Evaluationen werden die bereits bestehenden Aufgabenstellungen überarbeitet und sie fließen bei der Entwicklung weiterer Themenmodule mit ein. Auf diese Weise können wir die Qualität des Bildungsmaterials stetig verbessern. 

Um weitere Themenfelder anbieten zu können, arbeiten wir aktuell zu Kleinkriminalität, extreme Rechte in der DDR, Totalverweigerung, Prostitution, Reaktionen auf den Einmarsch in die ČSSR und sogenanntes Rowdytum, wobei die ersten Module in den nächsten beiden Monaten fertig erstellt werden und wir diese anbieten können. Die letzten vier Themen werden von Studierenden des Public History Studiengangs in Kooperation dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam und der Freien Universität Berlin erstellt. Dies bedeutet, dass die Jugendlichen aus mehr als drei Themen auswählen können. 

Die sechsstündige Lernwerkstatt ist eine Erweiterung und Vertiefung der dreistündigen. Zusätzlich zu „Ungesetzlicher Grenzübertritt“ und „Anders Leben“ behandeln die Lernenden die Themen Haft in der DDR, Haft in der BRD, Haftalltag in der UHA II und DDR-Rechtssystem. In diesem Angebot ist es möglich, vertiefende Vergleiche zwischen den beiden deutschen Staaten anzubieten und diese zu bearbeiten. Bei dieser Lernwerkstatt ziehen wir noch zusätzlich Ausschnitte aus wissenschaftlicher Literatur, Zeitungsartikel und Fotos hinzu und bieten weitere kontextualisierende Hintergrundtexte an. Die Lernenden bereiten eine kleine Präsentation ihrer Ergebnisse vor. Das Format können sie sich dabei aussuchen. Sie können wählen z.B. zwischen Präsentation mithilfe einer Präsentationssoftware, Talkshow oder Reportage. 

In der viereinhalbstündigen Lernwerkstatt führen die Lernenden ein Gespräch mit einer*einem Zeitzeug*in durch. Für die Durchführung werden sie vorbereitet in dem sie sich mit dem Erinnern, der Oral History, dem Haftgrund und dem Lebenslauf beschäftigen. Sie bereiten das Gespräch selbst vor und führen dies auch durch. Nach dem Gespräch erfolgt eine Auswertung. Hierbei ist ein respektvoller Umgang mit der*dem Zeitzeug*in sehr wichtig. 

Demnächst bieten wir auch die Lernwerkstatt zum Thema Punks an. Sie dauert drei Stunden und wurde von einem, durch Nina Reusch geleiteten Seminar mit Lehramtsstudierenden an der Freien Universität Berlin (FU) entwickelt. Ziel dieser Lernwerkstatt ist die Auseinandersetzung mit dem Umgang von jugendlichen Subkulturen in der DDR. In dieser Lernwerkstatt arbeiten die Jugendlichen mit Fotos, Liedtexten, historischen Zeitungsberichten und Stasidokumenten. 

Unsere bisherigen Zielgruppen sind Schulklassen ab der 9. Klasse und Lerngruppen ab 14 Jahren. Wir bieten auch Seminare für Gruppen mit Studierenden an und geben Fortbildungen für Lehrkräfte und Mitarbeiter*innen aus Museen und Gedenkstätten.

Für die Qualitätssicherung und Weiterentwicklung des Lernorts arbeiten wir eng mit unseren Kooperationspartner*innen zusammen: mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam und dem Arbeitsbereich Didaktik der Geschichte der FU Berlin. Für kleinere Projekte gehen wir weitere Kooperationen ein. Auch Wissenschaftler*innen, Expert*innen und Archive kontaktieren wir, um mehr über diesen Ort zu erfahren und um unsere Erkenntnisse immer wieder zu überprüfen. Wir vergeben Rechercheaufträge um den Archivbestand zu diesem Ort zu erfassen. So möchten wir neben der Erweiterung der Themen auch den Erkenntnisstand über diesen Ort erhöhen. Hierbei sind Kontakte auch in andere Wissenschaftsbereiche sehr wichtig, so beispielsweise in die Kriminologie, in der der DDR-Strafvollzug zum Teil aufgearbeitet wurde. Hierüber können wir vor allem über das Justizsystem und über die Strukturen und Ziele des Strafvollzugs mehr erfahren.

Aktuell führen wir mehrere Interviews mit Zeitzeug*innen durch, die wir für die Bildungsarbeit nutzen bzw. archivieren möchten. Über die Interviews ist es für uns möglich weitere Erkenntnisse vor allem über die Haftbedingungen, Haftgründe und Gerichtsprozesse zu erhalten. Über die verschiedenen Wege möchten wir weitere Teile zum Puzzlebild hinzufügen, das leider aufgrund der schlechten Forschungslage noch sehr lückenhaft ist.

Weitere Informationen zum Lernort und zum Team finden Sie auf der Webseite www.keibelstrasse.de

 

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