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Von Ingolf Seidel
Antisemitische, rassistische und einer extrem rechten Gesinnung entspringende Vorfälle im Fußball haben eine lang anhaltende Konjunktur. Sie sind gewissermaßen die misstönende Begleitmusik zu einem Sport, der beliebt ist wie wenige andere. So ist der Drittligaverein Energie Cottbus und seine in Teilen rechtsaffine Fanszene, insbesondere das 2017 angeblich aufgelöste Hooligangruppe ‚Inferno Cottbus‘, immer wieder in den Schlagzeilen, weil Fans anderer Vereine, aber auch des eigenen, sofern sie sich gegen Neonazis in den Stadien engagieren, körperlich angegriffen werden und zudem häufig auch antisemitischen Schmähungen in Form von Hitlergrüßen und anderem ausgesetzt sind.
Florian Schubert hat in seiner Dissertationsarbeit über „Antisemitismus im Fußball. Tradition und Tabubruch“ den modernen Judenhass und seine Erscheinungen in dieser Traditionssportart untersucht. Der als Lehrer in Hamburg arbeitende Politik,- Sport- und Geschichtswissenschaftler ist selbst Fußballfan und im Bündnis Aktiver Fußballfans (B.A.F.F.) engagiert.
Bereits der in die 1980er-Jahre zurückgehende historische Überblick zur Thematik zeigt die enge Korrespondenz zwischen antisemitischen Semantiken, aber auch Taten, und der extremen Rechten in der Bundesrepublik. Im Verlauf der 1970er/1980er-Jahre kamen „Sieg Heil“-Rufe, der Hitlergruß oder Gesänge wie „Adolf, Adolf, der Freund aller Juden“ in den Stadien auf und missliebige Schiedsrichter wurden als „Jude“ geschmäht (vgl. S.73). Auch das berüchtigte Lied über eine ‚U-Bahn nach Auschwitz‘ für Fans gegnerischer Teams wurde populär. Parallel stieg auch das Vorkommen rassistischer Rufe, etwa gegen türkischstämmige Spieler. Die frühen 1980er-Jahre waren der Beginn eines gesellschaftlichen Rollbacks. Innenminister Friedrich Zimmermann sprach von einer „ethnischen Homogenität der deutschen Nation“ (S.74) und bereits im Wahlkampfjahr 1980 steuerte Helmut Kohl eine geistig-moralische Wende als Abkehr von den Jahren sozialliberaler Koalitionen an. Der Anstieg von Antisemitismus und Rassismus im Fußballmilieu kann von den politisch-gesellschaftlichen Begleitumständen nicht losgelöst betrachtet werden.
Aus den von Schubert für seine Arbeit geführten Expert*inneninterviews wird deutlich, dass in der Fanszene ein antisemitischer Sprachgebrauch verankert ist, er „aber nicht als antisemitisches Verhalten wahrgenommen und reflektiert“ (S.99) wird. In den 1980er-Jahren gewinnen antisemitische Schmähungen an Akzeptanz. In vielen Fällen richtete sich der Antisemitismus im Fanmilieu nicht konkret gegen Jüdinnen*Juden, sondern er diente dazu gegnerische Vereine oder Fans herabzuwürdigen. Verantwortlich für das Erstarken solcher Tendenzen ist dem Autor zufolge unter anderem die reduzierte Sichtweise der Fußballverbände sowie von Polizei und Politik, deren Blick sich in erster Linie auf Gewalt bei Fußballspielen richtete, die eine Auseinandersetzung mit den dazu gehörigen Ideologien jedoch scheuten. Damit wurde im Fußball der 1980er Jahre der „Grundstein für die antisemitischen Verhaltensweisen, wie sie bis heute als Ausdrucksform anzutreffen sind“ (S.100) gelegt. Dabei sind Neonazis ein deutlicher „Antriebsmotor für den Fußballantisemitismus“ (S.427). In den 1990er-Jahren soll das zeitweilige Erstarken von Ultra-Gruppen für einen Rückgang rassistischer Verhaltensweise in den Stadien gesorgt haben. Hinzu kam, dass im Zuge der zunehmenden Kommerzialisierung des Sports auch insbesondere in Westdeutschland, bedingt durch Stadionumbauten und Repression gegen Hooligans, vermehrt andere Zuschauer*innengruppen in die Stadien kamen. Der Deutsche Fußballbund (DFB) sah erst ab 1998 einen gewissen Handlungsbedarf, als er intern zum Engagement gegen ‚Rassismus und Fremdenfeindlichkeit‘ aufrief. Antisemitismus wurde hier als Problemfeld nicht gesondert genannt. Vielmehr sah der Pressechef des DFB, Wolfgang Niersbach, eine „jüdische Kampagne“ (S.135) am Werk, als im Zuge der Vorbereitungen eines Freundschafts-Länderspiels gegen England der Austragungstag im Jahr 1994 – ein 20. April – unter anderem durch Fans massiv kritisiert wurde. Das geplante Spiel fand schließlich nicht statt, weil der englische Fußballverband es absagte. Insgesamt kann das Verhalten der deutschen Verbände bei der Zurückdrängung von Antisemitismus als bestenfalls halbherzig bezeichnet werden. So hält Schubert fest, dass im Milieu der „Nationalmannschaftsspiele (...) diskriminierende Verhaltensweisen im Allgemeinen und antisemitische im Speziellen gefördert“ (S.250) wurden. Die Abwehrmechanismen von Vereinen und Verbänden erinnert an die lange gepflegten, und auch heute noch bestehenden, Auslagerungen von örtlichen Problemen mit der extremen Rechten auf das nächste Dorf oder die nächste Stadt. Im Sport kommt noch die Perspektive dazu, dass er ein angeblich unpolitisches Ereignis sei. So wurden bei einem Spiel des als links geltenden Clubs Roter Stern Leipzig (RSL) gegen den SG Leipzig-Leutzsch (SGLL) am 4. September 2011 die RSL-Fans im Stadion mit dem ‚U-Bahn-Lied‘ empfangen. Jamal Engel, Vorstandsmitglied und Sprecher des Vereins SGLL mit Kontakten zu dem bekannten Neonazi Thomas Gerlach, der dem Unterstützernetzwerk des NSU zugerechnet wird, meinte in diesem Zusammenhang, er würde sich nicht mit Politik befassen (vgl. S.312). Stattdessen verwies Engel darauf, „daß die Probleme nicht in unserem Verein liegen, sondern Roter Stern die Probleme in den Fußballstadien durch seine politische Ausrichtung provoziert (...).“ (S.323). Vergleichbare Haltungen gibt es immer wieder gegenüber Vereinen, die sich gegen Antisemitismus, Rassismus sowie gegen Diskriminierung im Allgemeinen positionieren.
Antisemitismus betrifft in besonderer Weise die Makkabi-Vereine, die sich in einer jüdischen Tradition verorten. Makkabi Deutschland wurde als Verband 1965 wiedergegründet und war von Beginn an mit antisemitischen Schmähungen und auch körperlichen Übergriffen konfrontiert. Geändert haben sich über die Jahre die Tätergruppen. Anfangs „waren es die rechtsradikalen Deutschen, die Kahlköpfe, die uns die Probleme und Ausschreitungen herbeigeführt habe“ (S.262), so der ehemalige Präsident von TuS Makkabi, Dieter Graumann. Zugenommen habe, so die Aussagen von Makkabi-Verantwortlichen, Vorfälle bei Spielen gegen „migrantisch geprägte Vereine“ (S.267) deren Spieler „mit Menschen muslimischen Glaubens assoziiert“ (Ebda.) werden. Es berichten nicht alle Makkabi-Vereine von solchen Vorkommnissen, die häufig im Zusammenhang mit einem israelbezogenen Antisemitismus stehen. Bei den regionalen Unterschieden macht sich ein Stadt-Land-Gefälle bemerkbar. Im ländlichen Raum seien die Vereine weniger von antisemitischen Verhaltensweisen betroffen. Zudem seien niedrige Spielklassen problematischer als höhere. In vielen Situationen werden die Makkabi-Spieler und -Vereine mit den Vorfällen allein gelassen. Solidarität ist selten. Dass es auch anders geht, zeigt der Berliner Verein Türkiyem Spor, der sich 2012 gemeinsam mit TuS Makkabi Berlin gegen Antisemitismus positionierte.
Neben Solidarisierungen stellt die Stadionordnung ein wichtiges Instrument bei der „Bekämpfung von antisemitischen Präsentationen dar“ (S.352). Gerade bei Auswärtsspielen kann es Fußballfans empfindlich treffen, wenn eine klar positionierte Stadionordnung und deren Durchsetzung dazu führt, dass bestimmte einschlägige Kleidungsstücke nicht getragen werden dürfen. Auch Fanprojekte- und initiativen, die von den Vereinen auch finanziell unterstützt werden sind Möglichkeiten zu einer deutlichen Positionierung. Dennoch lässt einen die Lektüre von Schuberts Studie ratlos zurück. Der Autor wendet sich damit gegen die Ansicht, Antisemitismus würde gewissermaßen von außen in den Sport eingebracht. Folgt man Schubert, so ist Fußball ein Ort, „an dem antisemitische Verhaltens- und Denkweisen erlernt und gefördert werden können, sogar stärker als es in der Gesellschaft möglich wäre.“ (S.437) Angesichts der Fülle der Vorkommnisse, nicht nur antisemitischer, sondern auch rassistischer Natur, stellt sich die Frage wie Vereine und Verbände zu einem deutlicheren Engagement gegen diese Tendenzen gebracht werden können. Ein ausreichendes Eigeninteresse zur Bekämpfung antisemitischer Ressentiments scheint weder bei einem Gros der Fans noch bei Vereinen, Verbänden oder Schiedsrichter*innen vorhanden zu sein. Auf diese Problematiken hinzuweisen ist ein großes Verdienst von Florian Schuberts Studie. Zu kritisieren ist seine etwas knappe Konzeptualisierung des Antisemitismusbegriffs, was angesichts der unterschiedlichen antisemitischen Kommunikationsformen, die untersucht werden, wünschenswert gewesen wäre. Dennoch ist „Antisemitismus im Fußball“ eine lesenswerte Arbeit, der es zu wünschen ist, dass sie gerade fußballbegeisterte Menschen erreicht und zumindest einige zur Reflexion über die Probleme in diesem Massensport anregt und dagegen aktiv werden lässt.
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- 27 Nov 2019 - 07:32