Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge als Akteur der außerschulischen, non-formalen historischen Jugend- und Bildungsarbeit
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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
Von Konstantin Dittrich und Oliver Plessow
Der Wissenschaft tritt mehr und mehr vor Augen, wie bedeutsam Bildungseinrichtungen jenseits des Schulsystems sind, die unabhängig von ihm oder mit ihm gemeinsam strukturierte Lernangebote vorhalten. Auch im Bereich des historischen Lernens treten jene Akteure verstärkt ins Licht der Forschung, die Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen (sowie – im Sinne eines lebenslangen Lernens – nicht mehr ganz so jungen Erwachsenen) meist in ihrer Freizeit entsprechende Chancen eröffnen. Eine gewisse Unsicherheit besteht indessen noch, wie diese Erscheinung begrifflich zu fassen ist. Geläufig ist „außerschulische (Jugend )Bildung“, was aber zweideutig bleibt, wo sich „außerschulisch“ einerseits – wie hier gemeint – auf organisierte Bildungsaktivitäten jenseits von Schule bezieht, andererseits aber jede – hier nicht gemeinte – Bildungshandlung bezeichnen kann, bei denen Schüler*innen im Rahmen des Unterrichts im staatlich legitimierten „formalen“ Schulsystem das Schulgelände verlassen. Zunehmend setzt sich der etwas sperrige Begriff der „non-formalen Bildung“ durch, die als dritter Weg neben dem „formalen“ staatlichen beziehungsweise staatlich legitimierten Schulsystem und dem wilden „informellen“ Lernen in privater Sphäre verstanden wird (zu den Begrifflichkeiten Plessow 2014).
Im Feld der Geschichtsvermittlung ist der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. einer der markantesten Vertreter dieses dritten Wegs (punkthaft dazu Plessow/Dittrich 2019). Seit den 1950er Jahren betreibt er Jugend- und Bildungsarbeit, wobei sein Fokus ganz auf der lernenden Beschäftigung mit den internationalen militärischen und zivilen Kriegstoten, besonders der beiden Weltkriege, sowie der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft liegt (zur Geschichte der Bildungsarbeit siehe Ulrich u.a. 2019). Diese Ausgabe von „Lernen aus der Geschichte“ aus Anlass des Verbandsjubiläums regt dazu an, den Volksbund als Träger non-formaler historischer Bildung zu charakterisieren. Geschichtsmittler*innen erhalten damit eine (ob des begrenzten Raums zugegebenermaßen skizzenhafte) Konturierung eines maßgeblichen Akteurs, die ihnen dessen Arbeit aus kritischer Distanz näherbringt.
Mit einem eingeführten Kriterienraster der Geschichtskulturforschung (Schönemann 2003, 18f.), das nach Medien, Institutionen, Professionen und Adressat*innen fragt, lässt sich herausstellen, welche feldtypischen Eigenschaften den Volksbund auszeichnen und wo er sich von anderen Akteur abhebt. Anders als beim geregelten Zwangssystem Schule mit seinen vorgegebenen Vermittlungsformaten und seinen standardisierten Lehrmitteln müssen nichtschulische Anbieter*innen selbst eine Angebotsstruktur entwickeln, um die Adressat*innen ihrer Bildungsanstrengungen zu erreichen. Unter Medien sind in diesem Fall primär die Bildungsformate zu verstehen, die ein*e Akteur*in nutzt. Der Volksbund bedient sich in seiner Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen unterschiedlicher Formate, die sich allesamt gut in das Feld der non-formalen Bildung einfügen. In ihrer spezifischen Kombination allerdings sind sie ungewöhnlich vielfältig und bringen Dinge zusammen, die sonst eher unterschiedlichen Anbieter*innen zuzuordnen sind: Zu nennen sind die in der Regel zweiwöchigen Workcamps und Jugendbegegnungen sowie die typischerweise seminarförmige Arbeit mit einem festen modular aufgebauten Angebot in den vier eigenen internationalen Begegnungsstätten für Klassenfahrten und andere Besucher*innengruppen. Hinzu kommt die Schularbeit in den Landesverbänden, die schwerpunktmäßig Materialen für Lehrkräfte erarbeitet und Projekte und Workshops für Schulen organisiert. Seit einigen Jahren werden auch Bildungsurlaube angeboten.
Der Volksbund zentriert seine Bildungsarbeit auf Kriegsgräber, ein Alleinstellungsmerkmal, das aber in Bezug auf die Betroffenengruppen einen ins Allgemeine – und Kritiker meinen latent ins Relativierend-Unspezifische („Im Tod sind alle gleich“) neigenden – Zug aufweist. Während sich andere Akteur*innen klar auf einen Konflikt und eine Opfergruppe konzentrieren (etwa die jüdischen Opfer der Shoah), befasst sich der Volksbund mit unterschiedlichen Gruppen, die zu unterschiedlichen Zeiten und unter unterschiedlichen Bedingungen zu Tode gekommen sind. Damit gerät die Jugend- und Bildungsarbeit bisweilen in erinnerungspolitische Konfliktlinien, und dies nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch innerhalb des Verbands selbst. So zeigten sich einige Mitglieder der Angehörigengeneration irritiert von Bildungsprojekten, die sie eher bei anderen Organisationen verortet sehen wollten, wie dem Jahresschwerpunkt Menschenrechte 2017 oder einem Begegnungszyklus zur Verfolgung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität im Nationalsozialismus und heute, bei der unter anderem die Biografien von homosexuellen Kriegstoten recherchiert wurden.
In Einklang mit einem biographischen und regionalgeschichtlichen Ansatz steht in der Projektarbeit mit Schulen sowie in den Jugendbegegnungsstätten die individuelle Lebensgeschichte der Kriegstoten in Verbindung mit Fragen zu individueller Motivation, Wahlmöglichkeit und Verantwortung oder mit aktuellen Formen von Ausgrenzung und Verfolgung beziehungsweise fehlender Solidarität und Toleranz im Fokus. In der internationalen Jugendarbeit geht es zudem um die Begegnung mit anderen Jugendlichen.
Auch wenn bei den im Ausland betreuten Friedhöfen im Gegensatz zu den in Deutschland von den Kommunen erhaltenen Gräberfeldern der soldatische Tod dominiert, findet ein Perspektivwechsel statt, wenn erkannt wird, dass die gleichen geschichtlichen Ereignisse in den verschiedenen Ländern unterschiedlich betrachtet, bewertet, vermittelt und erinnert werden. Bei den Pflegeeinsätzen auf Kriegsgräberstätten in den Workcamps ist die verrichtete Arbeit symbolträchtiger als bei denen vieler anderer Anbieter*innen, bei denen meist ein gemeinnütziges Projekt einen offensichtlicheren und direkteren Nutzen für die Gemeinschaft verspricht, wie bei der Renovierung eines Kindergartens. Die Bildungsurlaube ermöglichen eine Auseinandersetzung mit mehreren Kriegsgräberstätten einer Region oder eines Landes.
Wer nur ein Bildungsangebot nutzen möchte, mag zunächst nicht an Größe, Gremienstruktur, Milieuverortung oder Arbeitsabläufe des Anbieters*der Anbieterin, sprich: an allen markanten Eigentümlichkeiten der Institutionalisierung, interessiert sein. Der Blick ist aber stets erhellend und hilft bei der Einschätzung des Gegenübers. Der Volksbund teilt als gemeinnütziger Verein die in Deutschland übliche Rechtsform für Akteure der freien Jugendbildung. Völlig untypisch für das Feld ist allerdings der Umstand, dass er mit der anderen Hauptaufgabe, der Suche, Anlage und Pflege der Kriegsgräber im Ausland, eine staatliche Funktion übernimmt und so auch die Bildungsarbeit an manchen Stellen eine staatstragende Ausprägung erfährt – die Beteiligung Jugendlicher an der Ausgestaltung der jährlichen Feierlichkeiten zum Volkstrauertag im Deutschen Bundestag liefert dafür ein prägnantes Zeugnis. Vor diesem Hintergrund ist auch die Nähe zur Bundeswehr zu sehen, die unter anderem die Workcamps logistisch unterstützt und die ebenfalls ungewöhnlich für die historisch-politische Bildungsarbeit zeitgeschichtlicher Ausrichtung ist. Es gibt noch andere Akteure, bei denen namhafte Politiker*innen hohe ehrenamtliche Funktionen übernehmen (z.B. „Gegen Vergessen – für Demokratie e.V.“ oder die „Deutsche Gesellschaft e.V.“), aber auch das ist keinesfalls selbstverständlich.
Der einmaligen Verbindung von Kriegsgräberpflege und Bildungsarbeit am Kriegsgrab sind weitere Eigentümlichkeiten zu verdanken: Ein beträchtlicher Teil der Mitgliederschaft des Vereins besteht aus Angehörigen der Kriegstoten, Veteranen und Reservist*innen, die in eher losem Kontakt zu denjenigen stehen, die konkret die Bildungsarbeit betreuen. Hier finden sich wiederum viele jüngere Ehemalige, die als Teamende wirken. Diese sind zwar auch in die Gremienstruktur eingebunden, spielen aber in ihr nicht die zentrale Rolle wie bei anderen Akteuren, die als typische Ehemaligenvereine aufgestellt sind und die Vereinsgeschicke lenken. Hinzu kommt, dass der Volksbund in Landesverbände aufgeteilt ist, die unterschiedlichen Organisationstraditionen folgen und bisweilen auch unterschiedliche erinnerungspolitische Positionen vertreten. Strukturveränderungen wie die jüngsten Ansätze zur Zentralisierung und Professionalisierung von Funktionen und eine klare Stärkung des Bildungsbereiches als Zukunftsaufgabe und zur fortwährenden gesellschaftlichen Legitimierung des dauerhaften („ewigen“) Erhaltens der betreuten Friedhofsanlagen bilden bei einer so komplexen, konfliktträchtigen Struktur eine Herausforderung, zumal hier auch noch divergierende erinnerungskulturelle Überzeugungen aufeinandertreffen. Der Volksbund hat zur Lösung einen Leitbildprozess durchlaufen, ein wiederum im ganzen Feld beliebtes Mittel zur Klärung der internen Ausrichtung und der Kommunikation nach außen.
Eng mit der Institutionalisierung hängt die Frage nach der Professionalisierung zusammen. Nicht-schulischer Bildungsarbeit fehlt es an der Macht, Noten zu erteilen und Abschlüsse zu vergeben, die Zugang zu höheren Bildungsinstitutionen eröffnen. Dementsprechend gelten auch für das Personal weniger standardisierte Vorgaben als im staatlichen Bildungssystem. Wie fast alle Akteure im Feld gilt es auch für den Volksbund, dabei Aufgaben zwischen Hauptamtlichkeit und Ehrenamtlichkeit aufzuteilen, Zuständigkeiten festzulegen, motivierte Multiplikator*innen („Teamende“) zu rekrutieren und ein Mindestmaß an Verbindlichkeit herzustellen. Auch in der Hauptamtlichkeit gibt es eine Aufteilung zwischen den (inzwischen zwei) Zentralen und den in sich unterschiedlich aufgestellten Landesverbänden. Als noch überwiegend spendenfinanzierte Organisation ist im Bildungsbereich dabei eine inhaltliche Schwerpunktsetzung möglich, die unabhängiger von der Fördermittelkonjunktur als bei manch anderer Organisation ist.
Ein letztes Wort noch zu den Adressat*innen: Der Volksbund spricht mit unterschiedlichen Formaten unterschiedliche Gruppen an. Die Schularbeit legt ihren Fokus auf Multiplikator*innen in Deutschland. Die Begegnungsstätten werden überwiegend von deutschen oder ausländischen Schulen aller Typen für Klassen- und Projektfahrten, teilweise auch für schulische Begegnungsprojekte genutzt. Bei den internationalen Workcamps lädt der Volksbund Jugendliche aus ganz Europa nach Deutschland ein, während sich in den Begegnungen, die mit Partnern organisiert werden, meist Jugendliche aus zwei oder drei Nationen in den beteiligten Ländern treffen. Die Bildungsurlaube erschließen eine neue Zielgruppe in der Erwachsenenbildung.
Der Volksbund hebt sich als transnational agierende Organisation mit einer nicht immer einfach zu klassifizierenden und vielfältig auf Kriegsgräber bezogenen Bildungsarbeit mit friedenspädagogischem Anspruch deutlich von den anderen Trägern der historisch-politischen Bildung ab. Zukünftig wird sich zeigen, ob er sich ausgehend von den Erfahrungen mit der Trägerschaft von Bildungsstätten im europäischen Ausland im Verbund mit passenden Partnern als europäischer Bildungsträger noch stärker profilieren kann. Zu beobachten bleibt zudem, wie es im zweiten Jahrhundert seines Bestehens gelingen wird, der Sorge um die Trauer der Hinterbliebenen ebenso wie den Bedürfnissen einer ebenso sensiblen wie kritischen Bildungsarbeit gerecht zu werden. Ziel wird es bleiben, die Geschichten von Menschen, die im Zuge von Konflikten führten, verführten und verführt worden, motivierten, verfolgten und starben, lebendig zu halten und durch die Auseinandersetzung mit ihren Biographien für ein verantwortungsvolles Miteinander zu werben.
Literatur
Bernd Ulrich, Bernd/ Fuhrmeister, Christian / Kruse, Wolfgang / Hetlting, Manfred: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Entwicklungslinien und Probleme, Berlin 2019.
Plessow, Oliver: Vom Rand in die Mitte der Disziplin: historisches Lernen in der non-formalen beziehungsweise ‚außerschulischen‘ Jugendbildung und sein Stellenwert in der Geschichtsdidaktik, in: Arand, Tobias / Seidenfuß, Manfred (Hg.): Neue Wege – neue Themen – neue Methoden? Ein Querschnitt aus der geschichtsdidaktischen Forschung des wissenschaftlichen Nachwuchses, Göttingen 2014, S. 135-152.
Plessow, Oliver/ Dittrich, Konstantin : Außerschulische Jugendbildung (am Beispiel der Bildungsarbeit des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge), in: Hinz, Felix / Körber, Andreas (Hg.): Geschichtskultur – Public History – Angewandte Geschichte. Geschichte lernen und Gesellschaft, Göttingen (im Erscheinen).
Schönemann, Bernd: Geschichtsdidaktik, Geschichtskultur, Geschichtswissenschaft, in: Günther-Arndt, Hilke (Hg.): Geschichts-Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II, Berlin 2003, S. 11- 22.
Ulrich, Bernd/ Fuhrmeister, Christian / Kruse, Wolfgang / Hettling, Manfred: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Entwicklungslinien und Probleme, Berlin 2019 (im Erscheinen).
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- 26 Jun 2019 - 06:06