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Archäologie der Zeitgeschichte und lokalgeschichtliche Spurensuche

Ein Interview mit Dr. Thomas Kersting

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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

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Der folgende Text beruht auf einem Audio-Video-Interview, dass Ingolf Seidel mit Herrn Dr. Kersting für die Vernetzungsfachtagung „Was noch erinnert werden kann -Aufarbeitung lokaler NS-Geschichte in Brandenburg mit Jugendlichen“ geführt hat. Das Interview wurde im Rahmen der Tagung gezeigt.

Ich bin Dr. Thomas Kersting, beim brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege zuständig für die archäologische Denkmalpflege. Das ist vielleicht ein bisschen verwunderlich, dass sich die Archäologie mit Resten der NS-Zeit beschäftigt, ist aber leicht zu erklären. In der NS-Zeit wurden im Land Brandenburg, was ja die Hauptstadt Berlin – die damalige Reichshauptstadt – umgibt, zahlreiche, man möchte fast sagen, zahllose Zwangslager eingerichtet. Es gab die beiden großen Konzentrationslager, die ihrerseits sehr viele Außenlager hatten und es gab sehr viele Zwangsarbeiterlager. Und für sehr viele dieser Lagerstandorte hat man Grundstücke bebaut. Mit Baracken, mit Zäunen, mit Abwasser- und Wasserleitungssystem, mit Abfallgruben und so weiter. Also alles Dinge, die in die Erde eingreifen und das ist genau das, was uns Archäologen interessiert. Seit der Steinzeit haben Menschen genau solche Dinge gemacht, um ihre Siedlungen zu bauen oder ihre Gräber einzubringen. Und bei uns in Brandenburg ist es so, dass man, um als Archäologe sich mit solchen Geschichtszeugnissen zu befassen, nicht darauf angewiesen ist, dass diese Zeugnisse uralt sind oder auch nur 500 Jahre alt sind. Das brandenburgische Denkmalschutzgesetz kennt überhaupt keine Altersgrenze für Bodendenkmale und für archäologische Denkmale. Und das gibt uns die Möglichkeit uns mit diesen Resten, die ja meistens draußen in den Wäldern liegen, zu befassen. Das Denkmalschutzgesetz gibt uns die Aufgabe, diese Reste zu erhalten und zu erforschen. Das ist also eben unser Zugang zu diesem Thema, der Zeitgeschichte. Die Archäologie der Zeitgeschichte ist ein relativ neues Feld.

Aber es liegen da draußen nicht nur die Reste der Gebäude, der Lagerstrukturen selber. Zum Teil gibt es große Müllgruben, die zahlreiche Funde enthalten. Funde, die oftmals aus dem Alltag der Leute stammen. Der Leute, die in diesen Lagern sitzen mussten, aber auch von den Wachmannschaften. Und es sind häufig Dinge, die einen direkt zum Leben der einzelnen Menschen hinführen. Oft genug gibt es z.B. Funde wie diesen hier: Solche Blechtafeln auf denen Namen, Geburtsdaten, Geburtsorte, Einsatzorte eingeprägt sind. Man muss sich vorstellen, dass diese großen Zwangsarbeiterlager immer zu Fabriken gehört haben, beispielsweise zu Werksbetrieben der Rüstungsindustrie. Dort wurden Dinge für Flugzeuge hergestellt und dort waren oftmals mehrere tausend Mitarbeiter, –die sogenannte Gefolgschaft im damaligen Duktus. Und es gab eine ganz normale Verwaltung, die natürlich mit den vielen Mitarbeitern umgehen musste und deren Daten speichern musste. Das hat man auf solchen analogen Datenspeichern – wie man heute sagen würde – gemacht. Man hat also in diese Bleche Namen, Daten, Häftlingsnummern usw. eingeprägt, um sie dann mit Durchschlagpapier abdrucken zu können. Und an manchen Stellen sind im Boden noch hunderte bis tausende von solchen Tafeln erhalten, die es uns erlauben dann auch einzelne Schicksale nachvollziehbar machen zu können. Und das ist ein ganz wichtiges Instrument, auch für die Jugendarbeit, für das Jugendprojekt „überLAGERt“. Wenn man Kindern und Jugendlichen solche Dinge in die Hand gibt, dann ist es natürlich für die sehr, sehr spannend zu versuchen rauszukriegen: Was steht hier drauf? Das ist nicht immer ganz leicht zu entziffern, die Kinder und Jugendlichen lassen sich dann aber was einfallen. Und das ist wirklich so ein Wissenschaftsinstrument, wenn man will, zum Begreifen. Das ist ja so ein Klischee, was gerne genannt wird, aber es funktioniert sehr gut. Die Kinder und Jugendlichen können sich also bei uns im Landesmuseum z.B. mit solchem originalarchäologischem Fundmaterial beschäftigen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt bei diesem Jugendprojekt ist für uns als Landesarchäologie natürlich auch, dass wir durch die lokalen Gruppen – die in ihrem regionalen, lokalem Umfeld unterwegs sind, Spuren sichern, Dinge aufspüren – häufig neue Standorte von Zwangslagern zur Kenntnis bekommen, die wir vorher gar nicht gekannt haben und die wir dann in unsere Denkmaldatenbank aufnehmen können. So dass wir, wenn dort etwas geplant wird – Leitungen verlegt werden, Neubauten entstehen – sagen können: An dieser Stelle muss erst gegraben, muss geforscht werden, damit dann eben auch der Erhalt dieser Bodendenkmale sichergestellt ist.

Transkription: Lucas Frings 

 

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