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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

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Anna Dienerowitz hat Deutsch, Französisch und Englisch auf Gymnasiallehramt in Leipzig studiert. Ihre Staatsexamensarbeit schrieb sie über die Situation Trans*Jugendlicher an Berliner Schulen. Stefan R. Schmid hat im Bachelor Politikwissenschaft und Wirtschaftswissenschaften in Halle (Saale) studiert und macht nun seinen Politik-Master in Leipzig. Als Teamer war er in queeren Bildungsprojekten in Hamburg und Sachsen-Anhalt tätig.

Von Anna Dienerowitz und Stefan R. Schmid

„Schwul“ ist immer noch eines der meistverbreiteten Schimpfwörter auf deutschen Schulhöfen. Das hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes in einer repräsentativen Umfrage 2017 herausgefunden. Trotz der zahlreichen Fortschritte in der Gleichstellungspolitik und der gestiegenen Akzeptanz unter Menschen, deren bei der Geburt zugeschriebenes biologisches Geschlecht mit ihrer geschlechtlichen Identität übereinstimmt (cis) und die Menschen eines anderen Geschlechts lieben und begehren (hetero), besteht also noch immer eine nicht zu unterschätzende Feindlichkeit gegenüber LSBTIAQ*. Und sie zeigt sich nicht zuletzt im schulischen Umfeld und damit in einer persönlich äußerst prägenden Lebensphase besonders stark.

Dass die Liebe zweier Menschen zueinander etwas Schlechtes sein könnte ist keineswegs ein Gedanke der Schüler_innen angeboren ist, sondern ein Gedanke der erlernt wird. Nicht wenige Kinder dürften ihre Eltern eher verschämt fragen, was „schwul“ eigentlich bedeutet, nachdem sie es erstmalig als Schimpfwort in einem negativen Zusammenhang gehört haben. Fragt man den Duden ist „schwul“ – ähnlich wie „behindert“ – in seiner überwiegenden Verwendungsweise keineswegs ein Schimpfwort, sondern vielmehr eine menschliche Eigenschaft wie eben auch “klein” und “braunäugig”. Als Schimpfwort funktioniert diese Bezeichnung nur weil in ihr eine Geschichte der Benachteiligung und Unterdrückung lesbischer, schwuler, bisexueller, asexueller, trans*, intergeschlechtlicher und weiterer queerer Menschen (LSBTIAQ*) mitschwingt (Eribon 2004: 79). Eine Geschichte, die sich durch verschiedenste wissenschaftliche Disziplinen zieht, ihr Extrem im Holocaust fand und sich in den darauffolgenden Jahrzehnten fortsetzte. Der Themenkomplex LSBTIAQ* spielt also nicht nur eine Rolle im Alltagsleben zahlreicher Schüler_innen und ist auf Schulhöfen in Form von Diskriminierung präsent, er findet sich in einer Vielzahl schulischer Fächer wieder und hat eine Geschichte, die bis heute auch auf Schulhöfen fortwirkt. Die Behandlung des Themas durch Lehrkräfte kann nicht nur Schüler_innen in ihrer Selbstfindung und Selbstbestimmung stärken, sondern auch einen Beitrag dazu leisten, die vielfach erhöhten Suizidraten unter queeren Jugendlichen zu senken.

Dieser Artikel versucht deshalb mit einigen Anregungen aufzuzeigen, wie LSBTIAQ* im Unterricht und Schulalltag thematisiert werden können. Wir wollen dabei auch die Gelegenheit nutzen, queere Aufklärungsprojekte vorzustellen und ihre Möglichkeiten und Grenzen zu beleuchten.

In der Vermittlung queerer Themenkomplexe gibt es in erster Linie zwei Strategien, welche sich gegenseitig ergänzen. Zum einen kann mithilfe einer Dramatisierung die Sichtbarkeit von LSBTIAQ*-Menschen erhöht werden, wodurch für das Thema notwendige Grundinformationen vermittelt sowie der Grundstein für einen respektvollen Umgang mit dem Thema gelegt werden. Zum anderen kann anhand einer Normalisierung, also dem gelegentlichen Erwähnen, die Selbstverständlichkeit des Themas gezeigt und eine eigentlich alltägliche Realität nebenbei vermittelt werden. Beide Bausteine sind für sich genommen wichtig: Ohne eine Normalisierung kann die Dramatisierung zur Exotisierung verkommen, sodass queere Menschen und Handlungen gleich Exponaten zu lebensfremden Erscheinungen verkommen, wodurch weitere Vorurteile und Diskriminierung verstärkt werden können. Ebenso wenig entschuldigt eine einmalige Behandlung des Themas das Ignorieren queeren Lebens im Schulalltag. Im Gegenzug kann auch eine Normalisierung ins Leere laufen, wenn Missverständnisse und Vorurteile nicht mithilfe einer Dramatisierung aus dem Weg geräumt werden und ein notwendiges Wissensfundament gelegt wird.

Dramatisierung als Strategie

In Lehrplänen und Runderlassen vieler Bundesländer wurde bereits die Thematisierung geschlechtlich-sexueller Identität vorgeschrieben und damit eine Dramatisierung durch die Lehrkräfte veranlasst. Neben Vereinigungen queerer Lehrer (z. B. AG Schwule Lehrer GEW) sowie zahlreichen Materialien und Informationsangeboten, die Lehrer_innen bei der Dramatisierung unterstützen können, gibt es vielerorts queere Bildungsprojekte, welche sich für die Vermittlung in Schulen einsetzen und für Unterrichtseinsätze zur Verfügung stehen. Die Teamer_innen behandeln in ihren Einheiten zentrale Begriffe, hinterfragen Geschlechterrollen, Vorurteile und Klischees und stehen den Schüler_innen für Fragen zur Verfügung. Durch diesen Wissenserwerb soll die sexuelle und geschlechtliche Selbstbestimmung der Schüler_innen gestärkt werden, die Akzeptanz von LSBTIAQ* erhöht und Gewalt präventiv verhindert werden. Die Teamer_innen selbst sind überwiegend LSBTIAQ* und es wird viel Wert darauf gelegt, dass ein möglichst breites Spektrum an Identitäten von den eingesetzten Teamer_innen abgedeckt und repräsentiert wird. 

Das Vorgehen folgt dabei der Kontakthypothese, welche besagt, dass ein einzelner positiver Kontakt mit einer Minderheit die Vorurteile gegenüber dieser Gruppe im Allgemeinen stark verringert (Klocke 2016: 5). Außerdem wird auf den Peer-Ansatz gesetzt, also der Altersunterschied zu den Schüler_innen möglichst gering gehalten, um eine Identifikation der Schüler_innen mit den Teamer_innen zu erleichtern und eine offene Gesprächsatmosphäre zu schaffen. Zuträglich ist hierbei auch, wenn die Lehrer_innen den Einheiten nicht beiwohnen oder zumindest auf eine Einmischung verzichten, sodass eine Öffnung der Schüler_innen erleichtert wird. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Lehrkräfte über Inhalte im Dunkeln gelassen werden: den Einheiten gehen enge Absprachen mit den Lehrer_innen voraus. Diese Gespräche helfen auch den Teamer_innen, die Situation richtig einzuschätzen, auf die Klassendynamik und etwaige heikle Themen angemessen zu reagieren.

Methodisch hat sich in den vergangenen Jahren ein breites Repertoire herausgebildet, das thematischen Schwerpunkten sowie zeitlichen und räumlichen Umständen angepasst werden kann. Während die meisten Anfragen an die Projekte aufgrund der Pubertät für achte bis zehnte Klassen gestellt werden, ist eine Anpassung für sehr viel jüngere oder ältere Schüler möglich. Je früher Kinder und Jugendliche mit dem Themenkomplex schulisch in Kontakt kommen, desto einfacher ist es, Vorurteilen entgegen zu wirken. Hinzu kommt, dass Kinder oftmals weit vor ihrer Pubertät bemerken, dass sie trans*, homo- oder bisexuell (bzw. -romantisch) sind und nach einem Begriff für ihre Andersartigkeit und einen Umgang damit suchen. Auch aufgrund der politisch aufgeladenen Atmosphäre sei hier nochmals betont, dass diese Projekte keine Sexualkunde, sondern Antidiskriminierungs- und Aufklärungsarbeit betreiben. So kann es bei jüngeren Altersstufen in erster Linie um die Frage gehen, was Menschen zum Glücklich sein brauchen, dass für viele Liebe und Partnerschaft wichtig sind und dass manche Menschen eben auch Menschen des eigenen Geschlechts lieben. 

In den höheren Klassen ist in der Gestaltung der Einheiten neben der Begriffsklärung ein zentraler Bestandteil, den Schüler_innen ausreichend Raum für (anonyme) Fragen zu lassen, oft auch sehr persönlich auf die Biographie der Teamer_innen bezogen. Die Schüler_innen haben es damit selbst in der Hand, ob sie sich vor allem mit den Themen Liebe, Coming-Out, Diskriminierung oder verschiedenen Vorurteilen auseinandersetzen möchten. Die Teamer_innen antworten mit persönlichen Erlebnissen oder Erfahrungen von Freund_innen, erklären, dass Erfahrungen von Person zu Person sehr unterschiedlich sein können und versuchen, gesellschaftliche Strukturen deutlich zu machen. Die Aktivität der Schulklassen ist hierbei natürlich sehr unterschiedlich und auf eine geringere Aktivität kann gut mit anderen Methoden reagiert werden. Zumeist reichen die häufig vorgegebenen 90 Minuten allerdings nicht aus, um das Interesse der Schüler_innen vollständig zu stillen. Mithilfe von Feedbackrunden werden die Projekte ständig evaluiert, verbessert und zielgruppengerecht angepasst.

2011 hat sich der Bundesverband Queere Bildung e. V. gegründet, um Bildungsprojekte in diesem Bereich zu vernetzen, die Bildungsarbeit und den Methodenpool auszubauen und Qualitätsstandards für die Projekte zu entwickeln. Auf der Homepage des Vereins können die Standards eingesehen werden, zu denen die sich die beteiligten Bildungsprojekte verpflichtet haben, um ihre Arbeit zu verbessern und um mit dem Vertrauen von Schulen und Politik verantwortlich und transparent umzugehen. Teil der Qualitätsstandards sind unter anderem die fachliche und didaktische Schulung der Teamer_innen, Maßnahmen zum Kinder- und Jugendschutz sowie die Altersangemessenheit von Antworten auf Fragen zu Sexualität. Die 35 beteiligten Initiativen sowie 37 weitere Projekte sind in nahezu allen Winkeln Deutschlands vertreten und können auf der Homepage des Bundesverbands gefunden werden. Hervorzuheben seien an dieser Stelle auch die Initiativen des SCHLAU-Netzwerks, welches mit rund 400 Ehrenamtlichen jährlich bis zu 18.000 Schüler_innen in fünf Bundesländern erreicht.

Blick nach Großbritannien

Eine besonders hohe Professionalisierung der Arbeit queerer Aufklärungsprojekte kann in Großbritannien beobachtet werden. Anna Dienerowitz arbeitet zurzeit bei Diversity Role Models (DRM) in London, eine Organisation deren Aufgabe die Aufklärung und Weiterbildung zu queeren Themen an Schulen ist. DRM verfolgt hier einen ganzheitlichen Ansatz, d. h. es werden nicht nur Workshops für Schüler_innen durchgeführt, sondern auch für Lehrkräfte, die Schulleitung und die Elternschaft. Somit kann dafür gesorgt werden, dass die ganze Schulgemeinde zu LSBTIAQ* aufgeklärt ist und für Selbstbestimmtheit und Vielfalt einstehen kann. Wie auch in Projekten in Deutschland ist ein großer Teil der Workshops den persönlichen Erfahrungsberichten einzelner LSBTIAQ* oder allies (Unterstützer_innen) und der Möglichkeit für Fragen seitens der Schüler_innen gewidmet. Gleichzeitig werden mit Hilfe der Workshopleitung die Begriffe LSBTIAQ* erarbeitet und über homo-/bi- und transfeindliche Sprache diskutiert. Durch eine anonyme Umfrage zu Beginn und zu Ende lassen sich hier schon häufig neue Erkenntnisse bzw. Verhaltensänderungen der Schüler_innen erkennen. Mit fast 480 freiwilligen Role Models können sehr vielfältige Workshopteams aufgestellt und viele Schulen in England und teilweise Schottland erreicht werden. Bald werden 100.000 Schüler_innen einen DRM Workshop mitgemacht haben. Eine Zahl, die umso erstaunlicher ist, wenn man bedenkt, dass in Großbritannien noch bis 2003 die Section 28 in Kraft war, die es Gemeinden, Schulen und Kommunen verbot positiv über Homosexualität zu berichten. Dieses 1988 unter Thatcher verabschiedete Gesetz führte zu großer Verunsicherung darüber, ob und wie in Schulen über Homosexualität geredet werden kann und somit größtenteils dazu, dass nichts bzw. nichts Positives darüber gesagt wurde und homofeindliches Mobbing ungeahndet blieb. Insofern sind die Projekte einer Organisation wie Diversity Role Models umso beachtlicher.

Normalisierung als Strategie

Auch wenn das Einladen eines queeren Schulprojekts vielfältige Vorteile bringt, ist es gleichzeitig wichtig, dies nicht als einmalige und einzige Erwähnung queerer Themen stehen zu lassen. Es geht nicht nur darum queere Themen ausdrücklich und spezifisch zu behandeln, sondern auch darum, queere Themen als Ausdruck der Vielfalt unserer heutigen Gesellschaft im allgemeinen und alltäglichen Unterricht mitzudenken und -behandeln. Einige nicht aufwendige Möglichkeiten wären die Folgenden:

  • Die queere Identität von historischen Figuren sowie Künstler_innen und Wissenschaftler_innen mit erwähnen, wenn diese im Unterricht behandelt werden.
  • In Beispielaufgaben oder -sätzen auch queere Menschen mit einbeziehen.
  • Im Politik- und Geschichtsunterricht die Entwicklung der Rechte für LSBTIAQ* in der Welt betrachten, lesbische Vorkämpferinnen für Feminismus (z. B. Anita Augspurg) oder Vorkämpfer für LSBTIAQ*-Rechte (z. B. Magnus Hirschfeld) und die Verfolgung von LSBTIAQ* durch das Naziregime behandeln.
  • In den verschiedenen Sprachunterrichten Bücher auswählen, welche auch queere Autor_innen oder Charaktere haben bzw. dies kurz thematisieren sowie in den Fremdsprachen LSBTIAQ* Vokabeln lernen.
  • Im Deutschunterricht problematisieren, dass Thomas Mann seine Novelle “Der Tod in Venedig” als Abschied von seiner eigenen Homosexualität betrachtete
  • In Geographie Bevölkerungsbewegungen von LSBTIAQ* vom Land in die Stadt untersuchen.
  • In Sport Kampagnen wie “Fußballfans gegen Homophobie” thematisieren.
  • In Biologie auf homosexuelle Verhaltensweisen bei Tieren eingehen und bei der Sexualaufklärung darauf aufmerksam machen, dass es nicht nur heterosexuelle, vaginale Sexualkontakte gibt und beim Thema Verhütung auf die Bedeutung von HIV-Tests und -Behandlung sowie PrEP (Prä-Expositions-Prophylaxe) eingehen.

Dies sind nur einige wenige Ideen für eine leicht umsetzbare Inklusion queerer Thematiken im Unterricht. Weitere Möglichkeiten finden sich z.B. auf der Website der Bildungsinitiative Queerformat. Die Thematisierung muss dabei nicht zwingend ausführlich sein. Kurze Erwähnungen können bereits viel bewirken.

Beide Strategien zusammengenommen können die Sichtbarkeit von LSBTIAQ* erhöhen, Diskriminierung verringern und die Schüler_innen in ihrer Persönlichkeit stärken. Der Schutz von LSBTIAQ*-Personen ist nicht nur ein moralisches Gebot, sondern auch ein bedeutender Teil der Demokratieerziehung in einer pluralistischen Gesellschaft. Daher kann auch der beste Unterricht nicht ersetzen, was selbstverständlich gefordert ist: Zivilcourage - auch dann, wenn “schwul” scheinbar harmlos als Schimpfwort verwendet wird.

Literatur- und Linkliste

AG Schwule Lehrer GEW. Hinweise zu Beratungsgesprächen mit lesbischen Schülerinnen und schwulen Schülern. Online verfügbar unter: https://www.schwulelehrer.de/lehrer/.

Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2007). Einstellungen gegenüber Lesben, Schwulen und Bisexuellen in Deutschland. Ergebnisse einer bevölkerungsrepräsentativen Umfrage.

Bildungsinitiative Queerformat. Materialien Schule. Online verfügbar unter: https://www.queerformat.de/category/material-schule/.

Bundesverband Queere Bildung. Der Bundesverband. Online verfügbar unter: http://queere-bildung.de/ueber-uns/der-bundesverband.php.

Eribon, Didier (2004). Insult and the Making of the Gay Self.

Klocke, Ulrich (2016). Homophobie und Transphobie in Schulen und Jugendeinrichtungen: Was können pädagogische Fachkräfte tun?. Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e.V. (Hrsg.). 

SCHLAU NRW. Bildungs- und Antidiskriminierungsarbeit zu geschlechtlicher und sexueller Vielfalt. Online verfügbar unter: https://www.schlau.nrw/infos/.

 

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