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,,1989 - Aufbruch in Osteuropa"

Von Tanja Kleeh

Das Göttinger Institut für Demokratieforschung widmet den politischen Umbrüchen im Jahr 1989 auf seinem Webportal die Reihe „1989 – Aufbruch in Osteuropa“. Der politische Umbruch wird als „entscheidende historische Zäsur“ für die Gesellschaften des ehemaligen Ostblocks verstanden. Die Autor_innen gehen in ihren Texten auf Schlüsselereignisse in verschiedenen Ländern unter unterschiedlichen Aspekten näher ein. 

Die Beiträge: Von Polen über Serbien in die DDR

Lisa Bonn untersucht in „Von der Wahlzeitung zum Leitmedium“ die Rolle der Zeitung Gazeta Wyborcza im politischen Umbruch in Polen. Dabei beschreibt sie den Weg von der Wahlzeitung aus den Kreisen des Solidarność-Lagers zum liberalen Leitmedium. Bis heute, so Lisa Bonn, sei die Zeitung von zwei Grundzügen geprägt: dem Anschreiben gegen Populismus, Antisemitismus und alle Formen von Chauvinismus sowie als Verfechter der wirtschaftlichen Umstrukturierung nach 1989. Die Gazeta Wyborcza könne als ein Symbol für die Freiheit in der III. Republik Polen gedeutet werden. Bei allem Lob spart die Autorin auch nicht mit Kritik an der Zeitung und ihren Versäumnissen, wie etwa der fehlenden Problematisierung von Missständen. Mit Blick auf die heutige politische Situation in Polen, insbesondere die neue Pressegesetzgebung, wäre ein neuerlicher Blick auf die Zeitung und ihren heutigen Einfluss sicherlich interessant. Die historische Bedeutung bleibt davon unangetastet.

Auch bei dem Gastbeitrag von Daniel Hirsch ist dies der Fall. Unter der Überschrift „Seltener Sieg des Zusammenhalts“ schreibt der Autor über die Verhandlungen am sogenannten Runden Tisch 1989. Er streicht heraus, dass es zwar schon oft in der ungarischen Geschichte revolutionäre Bewegungen gegeben habe, jedoch bei dieser erstmalig lagerübergreifend zusammengearbeitet wurde. So zählten zu den Teilnehmer_innen des Runden Tischen sämtliche Parteien inklusive eines großen Gewerkschaftsbundes sowie weitere kommunistische Organisationen. Unter den Verhandlungsführern: der heutige Ministerpräsident Viktor Orbán, damals noch als Liberaler. So werden im Text von Daniel Hirsch die historischen Aspekte ausführlich behandelt, doch auch der Bogen zur Gegenwart wird elegant geschlagen.

Krsto Lazarević nimmt sich in „Renaissance des serbischen Nationalismus“ der Amselfeld-Rede von Slobodan Milošević an. Am 28. Juni 1989 beschwor Milošević unweit der kosovarischen Hauptstadt Pristina vor über einer Million Serb_innen das serbische Nationalgefühl. Im Nachgang wurde die Veranstaltung von etlichen Seiten als Einstimmung auf den Jugoslawienkrieg betrachtet. Lazarević stellt die Rede in den Kontext weiterer Reden Miloševićs. Auch vorherige Besuche im Kosovo werden thematisiert. Zudem liefert er Hintergrundinformationen zu dem für Außenstehende oftmals als verwirrend und nur schwer zu durchsteigenden Konflikt zwischen Serb_innen und Kosovar_innen. Aber nicht nur die politische Elite, auch weitere gesellschaftliche Gruppierungen wie etwa die Kirche finden Eingang in die Untersuchung von Lazarević. Dieses gesamtgesellschaftliche Bild ist auch Michael Lühmann ein Anliegen. Er blickt auf den 9. Oktober 1989 in Deutschland, insbesondere in Leipzig, zurück. Dabei geht er sowohl auf die Anfänge ein als auch der Frage nach, inwiefern der 9. Oktober 1989 als „Tag der Entscheidung“ gewertet werden muss und welche Bedeutung dies im Zuge des Einheitsprozesses trägt. Wie die genannten Umbrüche sich tatsächlich bemerkbar machten fragt Ernst Wawra in „Aufbruch in eine demokratische Zukunft?“ Er untersucht, wie mit Andersdenkenden, welche in der Sowjetunion unterschiedlichsten Repressionen ausgesetzt waren, während und nach dem offiziellen Ende der Sowjetunion umgegangen wurde. Beispielhaft für ungezählte Schicksale steht an dieser Stelle beispielsweise Sergej Kovalev. Wawra zeichnet seinen Werdegang vom politisch Verfolgten zum Parlamentsmitglied nach. Zudem steht er exemplarisch für die Versuche, eine Zivilgesellschaft in der ehemaligen Sowjetunion zu gestalten. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Ambivalenz, mit der sich die Schicksale der ehemaligen Dissidenten gestalteten.

Mit der sogenannten Vorwendezeit setzten sich Lisa Weimar und Daniel Albrecht in „Vor dem großen Aufbruch 89 in der DDR“ auseinander. Das Autorenpaar geht dem Phänomen der Umbruchstimmung anhand des Romans „Pygmalion“ von Steffen Mensching nach. Dabei kommen sie nach Untersuchung dessen zu dem Schluss, der Roman eröffne „über die Satire mit Überspitzungen und Klischees eine weitere Facette der Vorwendezeit jenseits der üblichen Erzählung“.

Resümee

Die Reihe „1989 – Aufbruch in Osteuropa“ eignet sich hervorragend als Quelle für Hintergrundinformationen, die über das gradlinige Narrativ hinausgehen und weit über die bloßen Ereignisse im Jahr 1989. Zudem wurden die 2014 erschienenen Artikel um weitere Stücke ergänzt, die sich anhaltend mit dem Phänomen 1989 und seinen Folgen beschäftigen. So geht der neueste Eintrag etwa auf den politisch-gesellschaftlichen Rechtsruck in Polen und Ungarn ein. Autorin Klaudia Hanisch geht für die Ursachenforschung bis in die Umbruchphasen des Jahres 1989 zurück. So ist das Portal eine kontinuierlich weitergeführte Informationsquelle, die vor allem auf Zusammenhänge setzt – nicht nur für die Geschichtswissenschaft von Interesse.

 

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