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Von Ingolf Seidel
Pavel Kohouts autobiografisch geprägter „Memoiroman“, wie der Prager Schriftsteller „Aus dem Leben eines Konterrevolutionärs“ nennt, entstand in dem Jahr nachdem das Experiment einer Humanisierung des staatsautoritären Sozialismus sowjetischer Prägung gewaltsam beendet worden war. Mit Kohout schreibt einer, der die tschechoslowakische Kommunistische Partei (KSČ) von innen her kennt. Er trat im Jahr 1946 in die Partei ein und wurde 1969 als prominenter Wortführer des „Prager Frühlings“ aus ihr ausgeschlossen. Kohout war Mitverfasser des Gründungsdokuments der Charta 77 und wurde in der Folge mit seiner Frau Jelena Mašínová erst aus der Prager Wohnung, dann 1979 des Landes verwiesen und zwangsweise nach Österreich abgeschoben. Damit einher ging die Ausbürgerung des Schriftstellers, der die österreichische Staatsbürgerschaft bekam. Erst 1990 konnte Pavel Kohout seine tschechische Staatsbürgerschaft wieder annehmen.
Drei Erzählstränge in Tagebuchform führen die Leser_innen durch die Ereignisse der Tschechoslowakei in den Jahren 1945 und 1968/69. Kohouts Geschichte schlägt einen Bogen von der Befreiung des Landes durch sowjetische Truppen bis zu dessen Besetzung durch den nominell „sozialistischen Bruderstaat“. Die Geschichte des Tagebuchs des „Schriftstellers PK“ greift direkt Kohouts Erlebnisse und Gedanken als Schriftsteller und Parteimitglied während des „Prager Frühlings“ auf. Die beiden fiktiven Protagonisten der anderen Erzählungen sind unterschiedlich eng an den Autor angelehnt. Da ist einmal ein junger 17-Jähriger, der die 1945 den Prager Aufstand gegen die deutschen Besatzer kurz vor dem Eintreffen der Alliierten erlebt. Unter dem Eindruck der Ereignisse, angesichts der Bilder der ersten befreiten KZ-Häftlinge und begleitet von der schwärmerischen Freundschaft zu einem sowjetischen Kommandeur wird die Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei zum Lebensziel, dem alles andere, wie das Liebesleben, unterzuordnen ist.
Das dritte Alter Ego Kohouts zeigt ihn in der Rolle eines tschechischen Kommunisten, der während eines Urlaubs in Italien von den Ereignissen in seinem Land erfährt. Wir lernen den Protagonisten mit seinen zunehmenden Zweifeln an der KSČ, und an der Idee des Kommunismus überhaupt, kennen: „Auch wenn wir noch so naiv, noch so emotional, noch so dogmatisch gewesen sind, auch wenn wir wirklich bereit waren, im Namen der Weltrevolution jedes Opfer auf uns zu nehmen – hinter aller Abstraktion waren doch ganz konkrete menschliche Wünsche: schöpferisch tätig zu sein, zu lieben, banal gesagt – glücklich zu leben. Ist es nicht absurd, daß wir beinahe bis zur Negation der grundlegendsten Lebenswerte gelangt sind?“
Trotz der autobiografischen Bezüge ist „Aus dem Leben eines Konterrevolutionärs“ nicht die Erzählung eines Renegaten. Vielmehr reflektiert der Autor über die individuelle Auseinandersetzung „den ziemlich komplizierten Lebensweg unserer Generation“. Es ist diese eine Generation, die in weiten Teilen die Lehren aus Faschismus und Nationalsozialismus im Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft sah und doch den alten Denkungsweisen und auch Ressentiments verhaftet blieb. So brachte die Niederschlagung des reformkommunistischen Versuchs auch den Antisemitismus in Form des Antizionismus wieder zutage, der zuletzt die tschechoslowakische Gesellschaft während der Slánský-Prozesse geprägt hatte. Der sowjetisch geprägte Parteikommunismus wurde nicht, wie Marx in seiner „Deutschen Ideologie“ gehofft hatte, „die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt“, sondern eine neue Form autoritärer Herrschaft. Dies selbstkritisch zu beleuchten, ohne in Schuldzuschreibungen auf andere zu verfallen, ist einer der Verdienste von Kohouts Erzählung. Damit bietet sie einen guten Anknüpfungspunkt für einen fächerübergreifenden Unterricht in Deutsch und Geschichte für die Sekundarstufe II.
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- 28 Mär 2018 - 06:34