Generation Hoyerswerda. Das Netzwerk militanter Neonazis in Brandenburg
Von Frederik Schetter
Im aktuellen Magazin wird in unterschiedlichen Beiträgen die Thematik des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrunds“ behandelt. Der seit Mai 2013 laufende Prozess gegen Beate Zschäpe wirft viele Fragen auf und es verfestigt sich zunehmend der Eindruck, dass Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt bei ihren Taten keineswegs auf sich allein gestellt waren, sondern vielmehr durch ein weitverzweigtes Netzwerk von militanten Neonazis unterstützt wurden. Dies und eine aus ihrer Sicht nicht ausreichende Aufarbeitung der Thematik in Brandenburg nahmen Heike Kleffner und Anna Spangenberg 2014 zum Anlass, sich mit der militanten Neonaziszene in speziell diesem Bundesland publizistisch auseinanderzusetzen. Der so entstandene und 2016 veröffentlichte Sammelband „Generation Hoyerswerda. Das Netzwerk militanter Neonazis in Brandenburg“ zeichnet nicht nur die Entwicklung dieses Netzwerks seit den frühen 1990er Jahren nach, sondern wagt auch einen Ausblick.
Die in dem Sammelband zu Wort kommenden Autor_innen sind ausnahmslos Personen, die sich in unterschiedlichen Kontexten – journalistisch, publizistisch, rechtlich oder bildungspolitisch – seit Jahren und teils Jahrzehnten in ihrer praktischen Arbeit mit der rechtsextremen Szene, mit militanten Neonazis und speziell mit der Situation in Brandenburg auseinandersetzen. Die insgesamt 16 thematischen Beiträge des Buches sind dabei in die vier Kapitel „Anfänge“, „Militante Netzwerke“, Die Rolle des Staates“ und „Rückblicke und Ausblicke“ strukturiert.
Vernetzte Gewalt
Das erste Kapitel analysiert in vier Beiträgen die Basis von militantem Neonazismus in Brandenburg und zeichnet die Formierung und Entwicklung einer nationalsozialistischen Bewegung nach. Besonders anschaulich stellt dabei Gideon Botsch dar, wie sich in den 1980er Jahren ein – von westdeutschen Neonazis beeinflusster – spezifisch ostdeutscher Rechtsextremismus herausbildete, der sich seit der Wendezeit zunehmend politisierte und organisierte sowie sich in die sogenannte „gesamtdeutsche ‚Nationale Opposition‘“ (S. 61) eingliederte. Die zentrale Bedeutung der Pogromszenen von Hoyerswerda (Sachsen) und Rostock-Lichtenhagen (Mecklenburg-Vorpommern) arbeitet David Begrich heraus. Die in diesen „Urszenen des rassistischen Flächenbrandes in Ostdeutschland“ (S. 12) gemachte „biographische Erfahrung, rassistischen Einstellungen in der Gesellschaft nicht nur Gehör zu verschaffen, sondern sie auch durchsetzen zu können“ (S. 43), sieht Begrich als generationsstiftendes Element der rechtsextremen Szene und liefert so eine überzeugende Begründung für den Titel des Sammelbandes.
Das zweite Kapitel setzt sich in sechs Beiträgen mit konkreten Gruppen militanter Neonazis in Brandenburg wie beispielsweise der sogenannten „Nationalistischen Front“ oder dem sogenannten „III. Weg“ und mit ihren zentralen Personen auseinander. Die Autor_innen arbeiten dabei nicht nur die Netzwerke der 1990er und 2000er Jahre heraus, sondern heben – soweit möglich – auch jeweils hervor, wie sich die militanten Gruppen in den letzen Jahren entwickelten und welche Rolle zentrale Personen aktuell im Kontext von Demonstrationen gegen Geflüchtete spielen. Neben der feststellbaren Radikalität, Gewaltbereitschaft und Brutalität der analysierten Gruppen sind vor allem zwei Aspekte hervorzuheben: Erstens die enge und kontinuierliche Vernetzung der Gruppen und Personen untereinander – isolierte Gruppen waren die Ausnahme. Zweitens die wiederkehrende Problematik der V-Leute, die besonders bei der Betrachtung der Person Carsten Szcepanski deutlich wird.
Der Verfassungsschutz als Problem
Die Karriere des V-Manns Szcepanski bildet dementsprechend die Basis zweier von drei Beiträgen im dritten Kapitel, die sich mit der Rolle von Verfassungsschutzbehörden auseinandersetzen. Anschaulich und detailliert zeichnet Dirk Laabs die Karriere Szcepanskis als V-Mann nach und arbeitet die fehlende Weitergabe von Informationen durch Verfassungsschutzbehörden an die Polizei als ein „Kernproblem des V-Mann-Wesens“ (S. 194) heraus. Der Frage, ob die vom NSU ermordeten Menschen noch leben könnten, wenn Verfassungsschutzbehörden von Szepanski erhaltene Informationen an die Polizei weitergegeben hätten, geht Antonia von der Behrens nach. Es wird in dem Beitrag auf nachvollziehbare und gut begründete Art deutlich, warum sie dies als Anwältin der Hinterbliebenen des vom NSU ermordeten Mehmet Kubaşik für wahrscheinlich hält, es jedoch aufgrund fehlender Aussagen der Verfassungsschützer im NSU-Prozess nicht letztendlich belegen kann.
Diesen zwei Beiträgen vorangestellt ist Christoph Kopkes Analyse der brandenburgischen Polizei, welche durchaus positiv ausfällt. Nach anfänglichen Fehlern und Überforderung anfangs der 1990er Jahre stellt Kopke eine schrittweise Verbesserung und konsequentere Unterbindung und Aufklärung rechtsextremer Straftaten fest, sieht in dem aktuellen Gewaltanstieg und den wieder steigenden Straftaten jedoch „erhebliche Herausforderungen“ (S. 180).
Gefährliche Aufbruchsstimmung
Auf ebendiese Herausforderungen und die aktuelle Situation geht das vierte Kapitel ein. Besonders empfehlenswert sind dabei zwei Interviews, die zum einen mit dem Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg, Erardo Cristoforo Rautenberg, und zum anderen mit der Theologin Almuth Berger sowie der ehemaligen Polizeipräsidentin von Eberswalde, Uta Leichsenring, geführt wurden. Die beiden lesenswerten und aufschlussreichen Interviews bieten nicht nur Einblicke in vergangene und aktuelle politische Prozesse, sondern eröffnen darüber hinaus auch eine sehr persönliche Perspektive.
In einem letzten inhaltlichen Beitrag des Kapitels wagt die Journalistin Andrea Röpke daran anschließend einen Ausblick und warnt davor, dass sich einzelne Personen und Kleingruppen aufgrund der in der rechtsextremen Szene vorherrschenden Aufbruchsstimmung und angesichts einer sehr geringen Aufklärungsquote bei Anschlägen auf Flüchtlingsheimen zu Gewalttaten ermutigt fühlten.
Den thematischen Beiträgen des Sammelbandes schließt sich ein informativer und sehr übersichtlich gestalteter Anhang an. Besonders hervorzuheben sind dabei zwei Punkte: Durch kurze Angaben über die an dem Sammelband beteiligten Autor_innen wird den Leser_innen die Möglichkeit gegeben, sich über die_den jeweilige_n Autor_in eines Beitrages zu informieren und so auch einzuschätzen zu können, aus welcher Perspektive der Beitrag verfasst wurde. Der zweite hervorzuhebende Aspekt ist die von Christoph Schulze verfasste Chronik über „Das Jahrzehnt der Glatzen“. Von Januar 1990 bis zum Ende des Jahres 1999 listet Schulze detailliert die für die Entwicklung der militanten Neonaziszene in Brandenburg relevanten Daten und Ereignisse auf und liefert so einen kompakten, aber informativen Überblick.
Zusammenfassung
Mit dem Buch ist den beteiligten Personen der Spagat gelungen, die Entwicklung der militanten Neonaziszene Brandenburgs in ihrer Tiefe detailliert zu analysieren, ohne aktuelle Prozesse dabei zu vernachlässigen. In begründeter und nachvollziehbarer Form liefert der Sammelband zudem auch ein Plädoyer dafür, die Rolle des Staates im Bezug auf militante Neonazis zu überprüfen und zu überdenken.
In anderen Beiträgen des aktuellen Magazins wird der Einfluss von rechtsextremem Gedanken- und Gewaltpotential auf rechtspopulistische Gruppierungen und Parteien herausgearbeitet. „Generation Hoyerswerda. Das Netzwerk militanter Neonazis in Brandenburg“ liefert eine differenzierte und deutliche Analyse darüber, was dieser Einfluss in der Praxis bedeuten kann. Angesichts von auch in Brandenburg zunehmenden rechtsextremen Gewalttaten ist der Sammelband somit aktueller denn je.
Literatur:
Heike Kleffner, Anna Spangenberg (Hrsg.): Generation Hoyerswerda. Das Netzwerk militanter Neonazis in Brandenburg, be.bra Verlag, Berlin-Brandenburg 2016, 20 €.
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- 23 Nov 2016 - 07:00