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Zwischen Monster und Mäuschen. Die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe in der Berichterstattung

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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

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Charlie Kaufhold, In guter Gesellschaft? Geschlecht, Schuld und Abwehr in der Berichterstattung über Beate Zschäpe, Münster 2015, 14 €.

Von Ingolf Seidel

Der Prozess gegen die vermutliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe zieht sich inzwischen über dreieinhalb Jahre. In ihren beiden Aussagen vor dem Münchner Gericht unter dem Vorsitzenden Manfred Götzl versucht sich Zschäpe als unwissende Mitläuferin der Mordtaten und Anschläge von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhard darzustellen. Für die Nebenklagevertreter Alexander Hoffmann und Dr. Björn Eberling stellt die Aussage der Angeklagten von 9. Dezember 2015 für „in mehrfacher Hinsicht eine krasse Grenzüberschreitung und eine Verhöhnung der Opfer“ dar (Nebenklage im NSU-Prozess, 09.12.2015). Zschäpe stellt sich hier als emotional abhängig von ihren beiden Freunden dar und verfolgt damit eine Strategie der Selbstviktimisierung (vgl. NSU-Watch, Protokoll 249. Verhandlungstag). Gleichzeitig schützt die Angeklagte mögliche weitere Mitbeteiligte am NSU-Komplex und stützt so die kaum zu haltende Linie, der Bundesanwaltschaft und Richter Götzl unbeirrt anhängen, der Nationalsozialistische Untergrund hätte nur aus drei Personen bestanden.

Beate Zschäpe als Monster

Diese Prozesstaktik Zschäpes korrespondiert teilweise mit der Berichterstattung über sie. Charlie Kaufhold, Autorin von »In guter Gesellschaft? Geschlecht, Schuld und Abwehr in der Berichterstattung« über Beate Zschäpe hat zwei Grundzüge der Darstellungsweise herausgearbeitet, denen Artikel über die Angeklagte in verschiedenen Medien folgen. Dabei handelt es sich um die Kategorien „dämonisierende Feminisierungen“ und „bagatellisierende Feminisierungen“ (S.7). Für die erste Darstellung stehtdie Schlagzeile der BILD-Zeitung zum Prozessbeginn im Mai 2013 „Der Teufel hat sich schick gemacht“ (S.21), der einer rein auf das Aussehen von Zschäpe reduzierten Charakterisierung folgt (vgl. S. 24). In einem Artikel auf SPIEGEL Online heißt es über Zschäpe: „Eine gesellige Frau, die auch bei Urlauben des Trios die Nähe zu anderen Campern suchte“ (S.33). Die Terroristin in der Reproduktionsfunktion. Durch „vergeschlechtlichte Bilder“ (S.34) wird Zschäpe „dämonisiert und von der Norm abgerückt“ (S.34), um diese Norm diskursiv herzustellen und „eine Unvereinbarkeit von Zschäpes alltäglichem zwischenmenschlichen Verhalten und den genannten Taten nahegelegt“ (S.33).

Bagatellisierung durch Feminisierung 

Kaufholds zweite Kategorie sind „Bagatellisierende Feminisierungen in der Darstellung über Beate Zschäpe“ (S.38). Hierunter fallen Zeitungsberichte, welche die Beteiligung von Zschäpe, meist spekulativ, an den Aktionen des NSU herunterspielen. So zu lesen in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom November 2011, in dem es unter anderem heißt: „In dieser Dreierbande muss Uwe Mundlos der Chef gewesen sein. Beate Zschäpe, zwei Jahre jünger als Mundlos, sei ein ‚liebes Mädel’ gewesen und ein paar Jahre seine Freundin“ (S.41) Auch die vergeschlechtlichte Darstellung Zschäpes in der BILD-Zeitung von Mitte November „Die Nazi-Braut galt als heißer Feger“ (S. 45) fällt in dieses Analyseraster, wie auch Darstellungen, die das Verhalten mit einer zerrütteten Kindheit begründen und die mutmaßliche Rechtsterroristin entlasten sollen. In den bagatellisierenden Darstellungen sieht Kaufhold die Funktion, Zschäpes Taten als weniger relevant darzustellen und somit eine Identifizierung mit ihr für die weiße Mehrheitsgesellschaft zu ermöglichen. Kaufhold kommt zu dem einleuchtenden Schluss, dass beide Darstellungsmodi der Abwehr von Schuld dienen und die Mehrheitsgesellschaft entlasten sollten von ihrer Verantwortung für den verbreiteten, auch institutionellen Rassismus. Die Berichterstattung hat somit eine gesellschaftliche Sinnstiftungsfunktion. 

Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus 

Doch die Autorin geht in ihrer Analyse noch einen Schritt weiter. Im dritten Teil des Buches untersucht sie Darstellungsweisen nationalsozialistischer Täterinnen in der direkten Nachkriegszeit. Auch hier macht Kaufmann die beschriebenen Darstellungsweisen aus. Sie konstatiert: „Jeweils ist die Weiblichkeit und damit verbunden die Sexualität der Angeklagten ein zentraler Bezugspunkt. (...) Statt einer Auseinandersetzung mit den eigentlichen Taten und Tatmotiven wird das (...) persönliche, moralische und sexuelle Verhalten der Angeklagten ins Zentrum der Berichterstattung gestellt.“ (S.67) So werden durch die Derealisierung der Vergangenheit Schuldgefühle und in der Folge Verantwortungsübernahme verhindert. Vielmehr sieht Kaufhold ein „narzisstisches Berührungstabu“ (S. 72) in der Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen und vor allem mit der Beteiligung der deutschen Bevölkerung, am Wirken, dass bis heute über die Generationen tradiert wird. Die Mechanismen der Darstellungen von NS-Täterinnen sind strukturell denen ähnlich, die sich in der aktuellen Berichterstattung über Beate Zschäpe finden.

Für eine Veränderung dieser Strukturen sei, so Kaufhold, eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und den eigenen Familiengeschichten notwendig, die tiefer gehen müsste, als die bisherige und die nicht von Abwehr und Nivellierung geprägt seien dürften. Die Auseinandersetzung mit Genderfragen kann dabei helfen, bisher „blinde Flecken“ zu thematisieren.

Charlie Kaufholds Verdienst ist es, mit ihrer diskursanalytisch angelegten Arbeit auf knappem Raum darzulegen, wie mediale Mechanismen der Verharmlosung von Beate Zschäpe wirken und wie sich die Mehrheitsgesellschaft durch Feminisierungen und Dämonisierungen selbst als scheinbar stabile Mitte konstruiert. Darüber hinaus macht ihre Perspektive deutlich, in welchem Ausmaß die sexualisierte Darstellung von extrem rechten Täterinnen zu ihrer Verharmlosung beiträgt. Angesichts der zunehmenden Rechtsentwicklung in der Bundesrepublik, die begleitet ist von homophoben und heterosexistischen Ausfällen und Rückgriffen auf Bilder von angeblich „normalen“ Familienkonstruktionen, ist es überfällig, sich gesamtgesellschaftlich wesentlich stärker als bisher mit solchen Normierungsforderungen auseinanderzusetzen, ohne die Problematik auf „Andere“, hiermit sind in der Regel Geflüchtete gemeint, zu verlagern und zu projizieren.

Das empfehlenswerte Buch kann inzwischen auch über die Webseite der Rosa Luxemburg Stiftung heruntergeladen werden.

Literatur 

Protokoll 249. Verhandlungstag, 9. Dezember 2015, NSU-Watch: »Aufklären und Einmischen«!, https://www.nsu-watch.info/2015/12/protokoll-249-verhandlungstag-9-dezember-2015/ (eingesehen 11.10.2016) 

Viel Lärm um Nichts – zur Einlassung von Beate Zschäpe, auf: „Nebenklage NSU-Prozess“, 09.12.2015, http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2015/12/09/09-12-2015/#more-1355 (eingesehen 11.10.2016) 

 

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