Die Polizei im NS-Staat. Auseinandersetzung mit einer dunklen Vergangenheit
Von Frederik Schetter
Auf eine Auseinandersetzung mit der eigenen NS-Geschichte und die Bereitschaft zur historischen Aufarbeitung musste man bei der Polizei seit dem Ende des nationalsozialistischen Deutschlands lange Zeit vergeblich warten. Erst seit den 1990er-Jahren fand auf lokaler und regionaler Ebene in zunehmendem Maße eine Aufarbeitung der Rolle der Polizei im NS-Staat statt. Mit der Entwicklung einer Ausstellung der Deutschen Hochschule der Polizei (Münster) und des Deutschen Historischen Museums wurde von April 2008 an der „großangelegte Versuch unternommen, ein Gesamtbild der Geschichte der Polizei im NS-Staat zu zeigen“ (S.12), wie der ehemalige Präsident der Stiftung Deutsches Historisches Museum, Hans Ottomeyer, zusammenfasst. Die temporäre Ausstellung war im Zeitraum vom 1. April 2011 bis 28. August 2011 – und damit knapp einen Monat länger als geplant – im Deutschen Historischen Museum zu sehen und ist seitdem in einigen Bundesländern an Bildungsstätten der öffentlichen Verwaltung als modifizierte Wanderausstellung unterwegs. Geleitet wurde das Projekt der Ausstellungsentwicklung von Wolfang Schulte von der Deutschen Hochschule der Polizei und Detlef Graf von Schwerin, dem ehemaligen Leiter des Zentrums für Zeitgeschichte der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg. Kurator_innen der Ausstellung waren Florian Dierl, Mariana Hausleitner, Martin Hölzl und Andreas Mix, die zusammen mit der Deutschen Hochschule der Polizei auch den Katalog zu der Ausstellung herausgaben.
„Saubere Polizei“
Dem eigentlichen Katalog vorangestellt sind – neben einigen Gruß- und Vorworten sowie einer kurzen Einleitung – sieben Essays. Diese geben auf insgesamt 80 Seiten einen Überblick über die konkreten inhaltlichen Themen der Ausstellung.
Den Anfang macht Mariana Hausleitner mit einem kurzen Überblick über die Rolle der Polizei in der Weimarer Republik. Sie geht dabei speziell auf die militärische Tradition der Polizei ein und analysiert die Gründe für das Scheitern des Versuches, eine bürgernähere Polizei zu schaffen. Darauf folgend gehen Florian Dierl, Thomas Roth und Gerhard Paul auf die Rolle der Ordnungspolizei, der Kriminalpolizei und der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) im NS-Regime ein. Florian Dierl hebt speziell die innerhalb der Ordnungspolizei vorhandene Sympathie gegenüber der Führung und Struktur des NS-Regimes und die Bereitschaft, sich in ihre Herrschaftsstruktur zu integrieren, hervor. Auch verdeutlicht er den Widerspruch zwischen der Präsentation der Ordnungspolizei als „freundliches Gesicht des NS-Staates“ (S. 38) und der zentralen Mitwirkung am Holocaust und dem Verüben von Kriegsverbrechen durch Ordnungspolizisten. Bei der von Thomas Roth analysierten Kriminalpolizei wird ebenfalls die Beteiligung an verschiedenen nationalsozialistischen Verbrechen hervorgehoben. So bezeichnet Roth beispielsweise den Völkermord an den Sinti und Roma als „Kernprojekt der NS-Kriminalpolizei“ (S. 50). Sowohl für die Ordnungspolizei als auch für die Kriminalpolizei wird festgestellt, dass es nach 1945 kaum eine Aufarbeitung der begangenen Verbrechen gab, sondern im Gegenteil die Polizei als unbeteiligt präsentiert wurde.
Bei der thematischen Vorstellung der Gestapo relativiert Gerhard Paul in keinster Weise die durch diese begangenen Verbrechen, dekonstruiert jedoch den Mythos der Allmacht und hebt die Bedeutung von institutionellen Kooperationen, von Spitzeln und von Denunzianten aus der Gesellschaft hervor. Das Verhältnis zwischen Polizei und Wehrmacht stellt Detlef Graf von Schwerin in den Mittelpunkt seines Essays. Er verweist auf die Verantwortlichkeit der Wehrmacht, durch deren Vorrücken der Polizei erst „der Spielraum für den Völkermord“ (S. 69) eröffnet wurde, und stellt Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Zusammenarbeit zwischen Wehrmacht und Polizei in den unterschiedlichen eroberten Gebieten fest.
Die Essays von Andreas Mix und Martin Hölzl gehen auf die Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte nach dem Ende des nationalsozialistischen Deutschlands ein. Andreas Mix stellt die strafrechtliche Aufarbeitung der Polizeiverbrechen in beiden deutschen Staaten dar. Er berücksichtigt dabei neben Statistiken und den rechtlichen Grundlagen auch die politische und gesellschaftliche Situation. Martin Hölzl nimmt sich der „aktiven Vergangenheitspolitik“ (S. 93) an, derer sich Polizisten in beiden deutschen Staaten betätigten. Durch Behauptungen und Legendenbildung wurde dazu beigetragen, ein möglichst sauberes Bild der während des „Dritten Reiches“ an Holocaust und Kriegsverbrechen beteiligten Polizei zu schaffen. Interne Ermittlungen mit dem Ziel der Aufklärung wurden zudem in vielen Fällen sabotiert.
Militarisierung und berufliche Kontinuitäten
Auf diese sieben Essays folgt das Kernstück: der Katalog mit den Ausstellungsobjekten. Auf knapp über 200 Seiten werden die insgesamt 489 Ausstellungsexponate aufgeführt. Diese sind nur in Teilen mit Abbildungen versehen. Eingeteilt in insgesamt neun Einzelbereiche werden so Schritt für Schritt die in den Essays angesprochenen Inhalte, Probleme oder Fragestellungen in weiten Teilen chronologisch durch Exponate dargestellt. Begonnen wird dabei nach einigen einleitenden Exponaten mit der Zeit der Weimarer Republik. Das Ende bilden Ausstellungsobjekte, die auf die seit einiger Zeit zunehmende Aufarbeitung der Polizeigeschichte verweisen.
Die Exponate lassen sich überwiegend in fünf Gruppen einteilen. Den Schwerpunkt des Ausstellungskatalogs bilden Exponate, die der Polizei im Allgemeinen oder individuellen Polizisten zuzuordnen sind. Die zweite Gruppe besteht aus Objekten, die genaue Informationen über die Opfer geben. Ausstellungsobjekte, die die politischen und gesellschaftlichen Begleitumstände in unterschiedlichen Zeiträumen darlegen, können der dritten Gruppe zugeordnet werden. Die vierte und letzte Gruppe bilden Exponate wie beispielsweise Zeittafeln, Karten oder Organigramme, welche einen Überblick über historische Kontexte oder Strukturen geben. Der fünften Gruppe, die sich zum Teil mit anderen überschneidet, können Exponate, die speziell eine individuelle Biographie oder einen beruflichen Werdegang aufzeigen, zugeordnet werden.
Die aufgeführten Exponate zeichnet eine große Bandbreite aus. Neben historischen Gegenständen, Filmaufnahmen, Plakaten oder Fotografien werden beispielsweise auch relevante Gesetze und Befehle sowie persönliche Briefe ausgestellt. Betrachtet man die Exponate, so fallen zwei Aspekte besonders auf: Erstens die konkret fassbare Militarisierung der damaligen Polizei, was sich besonders an den Abzeichen, gezeigten Waffen und weiteren Ausrüstungsgegenständen festmachen lässt. Zweitens die Kontinuitäten innerhalb der Polizei und im Berufsleben von Polizisten. Dies geht aus den Biographien hervor, welche den beruflichen Werdegang am Beispiel von einzelnen Polizisten von der Weimarer Republik bis in die Nachkriegszeit aufzeigen.
Zusammenfassung
Der mit einer Zeittafel und einem Personenregister ausgestattete Ausstellungskatalog ist informativ, sehr gut lektoriert und übersichtlich gestaltet. Die vorangestellten Essays ermöglichen eine Einordnung und ein tiefergehendes Verständnis der nachfolgend aufgeführten Exponate. Inhaltlich ist der Versuch gelungen, „ein Gesamtbild der Geschichte der Polizei im NS-Staat zu zeigen“ (S. 12). Durch die Auswahl der Exponate gelingt dies, ohne dabei zu sehr zu verallgemeinern. Ein moralisierender Blick aus der heutigen Zeit wird vermieden. Vielmehr wird es ermöglicht, sich anhand der Vielzahl an unterschiedlichen Exponaten eine eigene Meinung zu bilden. Der Ausstellungskatalog, vor allem aber – falls möglich – der Besuch oder die Möglichkeit zum Entleih der modifizierten Wanderausstellung lassen sich in der Bildungsarbeit daher gut nutzen, auch weil unter Umständen noch bestehende Mythen dekonstruiert werden und für aktuelle historische Aufarbeitungsprozesse sensibilisiert wird.
Der Ausstellungskatalog ist zum Preis von 19,80 € bestellbar bei:
Deutsche Hochschule der Polizei, Publikationen Shop
Für interessierte Einrichtungen, die die Ausstellung zeigen möchten, besteht die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme mit dem Polizeimuseum Niedersachsen unter: polizeimuseum [at] akademie [dot] polizei [dot] niedersachsen [dot] de
Literatur
Dierl, Florian; Hausleitner, Mariana; Hölzl, Martin; Mix, Andreas (Hrsg.): Ordnung und Vernichtung. Die Polizei im NS-Staat. Eine Ausstellung der Deutschen Hochschule der Polizei, Münster, und des Deutschen Historischen Museums, Berlin. 1. April bis 31. Juli 2011, Sandstein Verlag, Dresden 2011.
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- 26 Okt 2016 - 07:03