Die vergessenen spanischen Exil-Widerstandskämpfer im Zweiten Weltkrieg
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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
Von Constanze Jaiser und Ingolf Seidel
„Die Heimatlosen“ (Los surcos del azar) lautet der Titel der aktuellen Graphic Novel von Paco Roca, die im Original 2013 erschien und in diesem Jahr übersetzt wurde. Der Comicautor greift in seiner nahezu epischen Geschichte die Nachgeschichte des Spanischen Bürgerkriegs auf. Anhand von Miguel Ruiz thematisiert er das Schicksal der anarchistisch oder kommunistisch denkenden Bürgerkriegssoldaten nach dem Sieg der spanischen Faschisten unter General Franco. An vielen Fronten des Zweiten Weltkriegs, insbesondere auf Seiten der französischen Résistance, kämpften sie gegen die deutsche Wehrmacht. Doch als der Zweite Weltkrieg 1945 zu Ende ging, trugen sie für ihre Belange keinen Sieg davon, denn in Spanien sollte noch bis zum Tode Francos 1975 der Faschismus weiter herrschen.
Mit Miguel Ruiz porträtiert der Graphic Novel Künstler Roca eine fiktive Figur, über die wenig bekannt ist. Historisches Vorbild jedoch ist Miguel Campos, ein spanischer Anarchist, der zur La Nueve-Kompanie gehörte und dessen Verbleib ungeklärt ist. Der Autor konstruierte das Leben seines Protagonisten im Rahmen breit angelegter Nachforschungen über einen Zeitraum von fünf Jahren hinweg. Der gezeichnete Geschichtsroman verfolgt zwei Handlungsstränge:
Die dialogische Situation des Interviews
Der erste rankt sich um Ruiz als alten verbitterten Mann, der in Frankreich lebt – in der Gegend, in der das historische Vorbild Miguel Campos Ende 1944 das letzte Mal gesehen wurde. Ruiz wird von einem jungen Zeichner namens Paco besucht, der ihn hartnäckig dazu bringt seine Lebensgeschichte zu erzählen. Der alte Mann öffnet sich dem jungen forschenden Künstler zunehmend und die Lesenden erleben, wie nach und nach ein Vertrauen zwischen beiden entsteht, durch das die vergangenen Ereignisse ans Tageslicht kommen. Das Verhalten des jungen Interviewers, seine wohlwollende, einfühlsame Zuhörerposition, aber auch sein unbelasteter, neugieriger Umgang mit dem schrulligen Alten tragen dazu bei, dass ein facettenreiches Zeugnis entsteht. Erstmals finden so die Leistungen Ruiz’ im damaligen Kampf gegen den Nationalsozialismus Anerkennung, ebenso wie der kameradschaftliche Zusammenhalt in der Nueve-Kompanie, die zum großen Teil aus ehemaligen Spanienkämpfern bestand. Doch auch verdrängte, schmerzvolle Erinnerungen kommen nach und nach ans Tageslicht und werden vom jungen Zeichner und der Nachbarsfamilie, die sich um den alten Mann kümmert, liebevoll zur Kenntnis genommen.
Der nicht erinnerte Teil der Weltkriegsgeschichte
Der zweite Handlungsstrang berichtet von der Odyssee des jungen Soldaten Ruiz, der über den belagerten Hafen von Alicante per Schiff vor den Faschisten fliehen kann und schließlich nach Nordafrika gelangt, weil die Männer auf dem Flüchtlingsschiff, auf dem er sich befindet, in Frankreich nicht von Bord gehen durften. Nach Zwangsarbeit beim Bau der Sahara-Eisenbahn in Straflagern, die unter Kontrolle der Achsenmächte standen, und der Befreiung durch die Alliierten, nahm Ruiz, wie viele andere Spanienkämpfer, an der Befreiung von Paris teil. Ihr Anteil daran wurde jedoch nie Teil des französischen kollektiven Gedächtnisses und ist auch in der europäischen Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg kaum präsent.
Die 160 Soldaten der „La Neuve“, der neunten Kompanie kamen fast alle aus Spanien. Auf historischen Fotos ist zu sehen, dass ihre Panzer allesamt die Namen spanischer Städte trugen – ein Umstand, der den Künstler Roca so sehr beschäftigte, dass er sich auf Spurensuche begab. Dabei fand er heraus, dass die Kompanie sehr erfolgreich an entscheidenden Kampfhandlungen beteiligt gewesen war, nicht nur bei der Befreiung von Paris, auch bei der Landung in der Normandie und der Kapitulation der Deutschen am 8. Mai 1945. Die historische Genauigkeit, mit der Roca vorgeht, der sich auch Hilfe bei einschlägig bewanderten Historikern holte, ist positiv hervorzuheben. Er erzählt schließlich mit detailgenauen Bildern eine spannende Kriegsgeschichte, ohne ein heroisches Bild zu zeichnen. Dabei zeigt er den Mut und Kampfgeist, aber auch die Streitigkeiten unter den Soldaten der spanischen Exilfraktionen und ihre Verrohung, die der Brutalität ihrer Kriegserfahrungen geschuldet ist.
Die Zeichnungen als Erinnerungslandschaft
„Die Heimatlosen“ ist im zweiten Handlungsstrang durchgehend in farbigen, zum Teil düsteren Tönen gehalten, wohingegen der in der Gegenwart spielende Part in einfarbigen, schlichten Darstellungen wiedergegeben ist. Verschiedentlich ist es auf der historischen Ebene ein wenig schwierig, den Protagonisten Ruiz von anderen Soldaten zu unterscheiden. Es bleibt offen, ob dieser Effekt von Paco Roca erzielt werden sollte, um den Protagonisten als pars pro toto zu kennzeichnen. Die skizzenhafte Darstellung der Interviewsituation dagegen wirkt wie ein Protokoll oder ein Bildertagebuch, das die Entwicklung einer Beziehung, ja Freundschaft festhalten will. Auf diese Weise verweben sich zwei Handlungsebenen überzeugend zu einem Erinnerungsteppich, bei dem unterschiedliche Ereignisse und Akteure eine Rolle spielen.
Die Geschichte ist die Geschichte einer Begegnung der jungen mit der älteren Generation und zugleich eine unheroische Soldatengeschichte. Sie greift an manchen Stellen soldatischen Slang auf, der verschiedentlich ressentimentbeladen daher kommt und erzählt zudem keine bruchlose Heldengeschichte. Dazu gibt die Geschichte keinen Anlass. Immerhin wurden die Hoffnungen der spanischen Freiwilligen auf eine Befreiung Spaniens vom Franco-Faschismus betrogen und niemand stand ihnen zur Seite, als es darum ging, Europa nicht nur von Hitler, sondern vom Faschismus insgesamt zu befreien. Paco Roca setzt mit seinem grafischen Werk ein Denkmal für die spanischen Republikaner – ein Denkmal, das inzwischen auch von der spanischen Gesellschaft adaptiert wird, die diese Kompanie „La Nueve“ endlich zu ehren vermag.
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- 16 Dez 2015 - 09:09