Migration im kolonialen Zusammenhang: Hassan Taufik am Seminar für Orientalische Sprachen zu Berlin 1887–1892
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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
Von Aischa Ahmed
Mit der Dampfeisenbahn, der „Vapour“, begann Hassan Taufik am 10. September 1887 seine Reise von Kairo nach Berlin. Im Auftrag des Khediven Ismail Pascha wurde er ausgewählt, um am neu gegründeten Seminar für Orientalische Sprachen zu Berlin (SOS) „Arabisch mit besonderer Berücksichtigung des Dialects von Ägypten“ zu unterrichten. Innerhalb von zehn Tagen gelangte er an sein Ziel. Die von ihm verfassten Reisebeschreibungen unter dem Titel, „Die Reise des Herrn Hasan Tawfīq al-‛Adl” (Tawfīq 2008), die er in den Folgejahren über seine Erfahrungen in Deutschland und der Schweiz verfasste, zeichnen ihn als privilegierten Reisenden im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts aus. Doch er war nicht allein ein Reisender, sein Buch bietet auch eine Bestandsaufnahme der deutschen Gesellschaft zur Zeit seines Aufenthalts ergänzt durch soziologische und historische Analysen. Es gehört zu den wenigen Zeugnissen dieser Zeit, die eine migrantische und außereuropäische Perspektive auf das imperiale Deutschland bieten.
Taufiks Geschichte ist beispielhaft für die Ambivalenz und Komplexität der kolonialen Situation. Ägypten stand seit 1882 unter britischer Besatzung, was einer quasi formellen Herrschaft über das Land gleichkam. Das Deutsche Reich wiederum war 1887 mehr als zwei Jahre nach Verabschiedung der General-Akte der Kongokonferenz und weiteren Folgeverträgen dabei, sich im kolonialen Wettlauf wirtschaftliche und kulturelle Einflusssphären global zu sichern. In Ägypten waren deutsche Unternehmen und Ingenieure schon vor der Reichsgründung vielseitig aktiv, besonders im Bereich der „Dampfkultur,“ dem Einsatz von Dampfpflügen in der Landwirtschaft, als auch beim Bau des Suezkanals. Deutsche Schulen und Missionen rundeten die informelle Einflussnahme ebenso ab wie der Aufbau der Khedivial-Bibliothek durch einen deutschen Bibliothekar des Seminars für Orientalische Sprachen.
„Seminar für Orientalische und koloniale Studien“
Bis heute herrscht eine auffallende Zurückhaltung darüber, deutsche Interessen im arabischsprachigen Raum zur Zeit des Hochimperialismus als koloniale Einflussnahmen zu beschreiben. Dabei bezeichnete bereits der erste Leiter des Seminars für Orientalische Sprachen (SOS), Eduard Sachau, die theoretischen wie auch praktischen Zielsetzungen der Lehre, die an seinem Institut durchgeführt wurde, als kolonial.
Hassan Taufik arbeitete fünf Jahre lang in der „Alten Börse,“ dem ersten Sitz des SOS, auf dem Terrain nördlich vom Dom gegenüber dem Museum, mit der Rückseite zur Spree. Er erhielt am SOS den Status eines Lektors, ebenso wie sein syrisch-arabisch-sprachiger Kollege Amin Ma’arbes und die Lektoren für Chinesisch, Kuei Ling und Pan-Fei-Shing. Sie wurden eingesetzt, um Übungen zu geben und einen der deutschen Orientalisten, zumeist in der Position eines Professors, in der Lehre zu unterstützen. Neben Taufiks Reisebeschreibungen sind allein von Nasur ilOmeiri, dem Lektor für Suaheli, Veröffentlichungen erhalten: autobiographische Aufzeichnungen über sein Leben in Berlin. Herausgegeben wurden diese Schriften von dem ihm zugeordneten Afrikanisten, Gotthilf Büttner. Schon seit der Gründung des Instituts gab es Kolonialkurse und ein Lehrangebot der Sprachen, die in den formellen deutschen Kolonien gesprochen wurden: zunächst Suaheli, später kamen Ewe, Twi, Nama, Herero, Ovambo und weitere Sprachen hinzu. Insgesamt war es die Aufgabe der Lektoren, ihr Wissen für die Ausbildung von Kolonialbeamten, Anwärtern des Auswärtigen Dienstes, Militärangehörigen und schließlich Vertretern der Post- und Telegraphenverwaltung zu vermitteln. Die jeweils hauptverantwortlichen Orientalisten und Afrikanisten wiederum veröffentlichten reihenweise Schriften, in denen nur in Einzelfällen die Mitarbeit der primärsprachlichen Gelehrten markiert ist. Hassan Taufik hatte vor seiner Tätigkeit am SOS in Kairo an der Al-Azhar Universität studiert und am Dar-al-‛Ulum, am Haus der Wissenschaften. Er sollte in Berlin ägyptisches Arabisch lehren. Doch bestand sein Auftrag nicht allein darin, den deutschen Studierenden eine Fremdsprache zu vermitteln und eine seiner Bildung entsprechende Tätigkeit als Gelehrter auszuüben. Laut seinem Arbeitsvertrag hatte er während des Unterrichts eine arabische Tracht zu tragen und somit den zeitgenössischen Vorstellungen eines Arabers, Ägypters, „Orientalen“ auch visuell zu entsprechen. Diese Bezeichnungen waren austauschbar.
Eine andere Lesart
Es gibt weitere Quellen, die punktuell Taufiks Präsenz in Berlin kenntlich machen. Sei es, indem er das Totengebet für seinen früh verstorbenen Kollegen am SOS Sleman bin Said sprach oder – weitaus häufiger – indem er durch Übersetzungen und Schenkungen kultureller Güter den zuvor erwähnten stereotypen Vorstellungen zuarbeitete.
Diese Vorgänge lassen Taufik als opportunistisches Rädchen im hegemonialen Getriebe erscheinen, ein „native informant“ im eindimensionalen Sinne. Ein genauerer Blick auf Taufiks Schriften ermöglicht jedoch Lesarten, die kritische Töne offenbaren. So beschrieb er die Berliner Museumslandschaft und die Repräsentationszwecke, die diese für das Kaiserreich erfüllte, als Teil eines machtbesessenen Selbstverständnisses der jungen Kolonialmacht. In seiner historischen Schilderung der Aneignung außereuropäischer Einflussgebiete durch die europäischen Mächte kritisiert Taufik mit Bezug auf die frühneuzeitliche Eroberung der „Länder Mexikos“ durch Spanien den Raub und die Zerstörung von Büchern, Schriften, Kulturgütern und Geschichte jener Gesellschaften. „Wenn es möglich gewesen wäre, hätten sie sogar die Pyramiden mitgenommen,“ (Taufiq 2008:277) folgert er sarkastisch – der Bezug zum Ägypten seiner Zeit ist deutlich. Doch dieser kritischen Töne zum Trotz schließt er diesen Passus, indem er die Wissensaneignung und die Interessen der europäischen Mächte preist. Eine andere Lesart als die Fortsetzung des hegemonialen Narrativs ist möglich, wenn die Zwischentöne und mehrdeutigen Zusammenhänge berücksichtigt werden.
Hassan Taufik starb 1904 plötzlich und unerwartet in Cambridge, seiner letzten Wirkungsstätte als Lektor für Arabisch. Im Journal of the Royal Asiatic Society of Great Britain and Ireland erschien ein Nachruf, der Taufiks Auszeichnungen für seine Tätigkeit am SOS in Berlin hervorhebt. In Berlin selbst gab es keine entsprechende Resonanz. In den deutschen Quellen sucht man eine Anerkennung von Taufik als Wissenschaftler vergebens.
Anmerkung
Die Schreibweise des Namens Hassan Taufik im Fließtext orientiert sich an der von ihm selbst genutzten offiziellen Schreibweise, die sich z.B. auch in dem von ihm verwendeten Briefkopf findet.
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Aischa Ahmed
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- 1 Nov 2016 - 14:16