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Präsenz von palästinensischen Migrant/innen im öffentlichen Raum von Berlin - Mitte

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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

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Shahd Wari ist Palästinenserin aus Jerusalem. Sie hat ihren Bachelor in Architektur in Palästina abgeschlossen. An der TU Berlin hat sie ihren Master in Urban Management absolviert und promoviert nun an der TU im Bereich Stadtplanung. Ihre Dissertation beschäftigt sich mit der Nutzung des öffentlichen Raums in Berlin von palästinensischen Migranten/innen.

Von Shahd Wari

Einführung

Die Bedeutung des frei zugänglichen öffentlichen Raumes liegt in den sozialen, gesundheitlichen, psychologischen und ökonomischen Perspektiven, die er den Bewohnerinnen und Bewohnern jeden Alters in urbanen Gebieten bietet (Woolley 2003: 73). Zusätzlich zur persönlichen und kommunalen Bedeutung des öffentlichen Raumes ist dies der Ort, an dem Menschen als Individuen und Gruppen sich selbst verwirklichen und darstellen und ihre Identität durch die Nutzung von Raum ausdrücken und sich als Gruppe zusammenfinden (Neal 2009: 4), dabei Anerkennung suchen (Goheen 1998: 479), und die Chance haben, in ihren Bedürfnissen wahrgenommen zu werden (Ploeg 2006: 2). Somit beeinflusst er die öffentliche Meinung, bzw. dient ihrer Legitimation (Goheen 1998: 481) (im Sinne der Bestätigung der eigenen Wahrnehmung).

Sichtbarkeit wird andererseits durch sichtbare äußere Merkmale von Menschen im öffentlichen Raum definiert. Nach Incirlioglu & Tandogan (1999: 51) fungieren in multikulturellen Städten sichtbare Merkmale als Filter von Machtverhältnissen, welche  die Mehrheitsgesellschaft nutzt, um das ‘Wir’ und ‘die Anderen’, festzulegen. Menschen in der Öffentlichkeit, mit von der Mehrheitsgesellschaft abweichendem sozialen Habitus (z.B. Kleidung, Sprache, Verhalten) werden anhand ihrer wahrnehmbaren Eigenschaften beurteilt, d.h beispielsweise als „Nicht-Weiße, Muslime, Herkunft aus der „Dritten Welt“ (Lahav 2004: 1161). 

Entsprechend ist die Sichtbarkeit solcher Gruppen im öffentlichen Raum durch den Gebrauch ihrer kulturellen und ethnischen Symbole sowie von spezifischen Merkmalen wie „Sprache, Musik, Verhalten, Benehmen, Haartracht, Speisen, Religion, Ritualen, Kleidung, Gebräuchen, Tänzen und weiteren“ (Rapoport 2008: 25) an sich bereits eine Form des Widerstandes gegen Vorurteile, Exklusion und gegen Strukturen, welche Wohnviertel mit einem hohen Anteil an Migrantinnen und Migranten aufgrund der Sichtbarkeit der dort lebenden Menschen stigmatisiert (Hinze 2013: 34-36). Während Quartiere mit hohem Anteil an Zuwanderinnen und Zuwanderern durchaus (tendenziell negativ) als solche von Gesellschaft und Staat wahrgenommen werden, fühlen sich marginalisierte Gruppen von Migrantinnen und Migranten dort auf positive Weise im sozialen Raum unsichtbar und daher nicht fremd: Das ‚Anders-sein‘ tritt, anders als in Wohnvierteln mit niedriger Sichtbarkeit von Migrantinnen und Migranten in den Hintergrund und das Gefühl dazuzugehören und ins Stadtbild zu passen stellt sich ein. 

Widerstand durch Sichtbarkeit 

Palästinenserinnen und Palästinenser sind eine spezifische Migrant/innen-Gruppe in Berlin. Ihre kollektive Geschichte in Berlin begann insbesondere in den 1970er Jahren, als sie in größerer Zahl in Gruppen oder Familien vor dem Libanonkrieg flohen. Viele von ihnen erhielten noch keine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung, sondern erfuhren eine „Duldung“ durch die deutschen Behörden, sodass ihre Abschiebung in den Libanon nach dem Krieg weiterhin im Raum stand. Die Einwanderung von anderen palästinensischen Gruppen war darüber hinaus heterogen: sie kamen aus verschiedenen Ländern und wanderten mit unterschiedlichen Beweggründen ein.

Palästinenserinnen und Palästinenser sind potentiell sichtbar durch ihre objektiv wahrnehmbaren Eigenschaften. Ihre Identität zeigt sich unmittelbar in der Gestaltung von Habitaten und Traditionen. Es ist  ein informelles Ringen zwischen Mehrheitsgesellschaft und Minderheit um Präsenz im öffentlichen Raum und dessen Nutzung, der sich in der ‚Übernahme‘ eines Teils diesen Raumes manifestiert, insbesondere in Bezug auf dessen Nutzung für nicht intendierte Zwecke. Diese Aneignung des öffentlichen Raums stellt eine Form von Identitätsbewahrung dar. Gerade für Palästinenserinnen und Palästinenser, die mit einer Duldung in Berlin leben, welche erstens mit unsicherem politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Status leben und zweitens einer heterogenen, d.h. einer durch unterschiedliche Herkunft, Identität und gesellschaftliche Hintergründe gekennzeichneten Minderheit angehören, stellen diese Strategien der Sichtbarkeit probate Mittel  zur Schaffung und Bewahrung von Identität, gleichzeitig zu ihrer Positionierung in der Mehrheitsgesellschaft dar.

Im Folgenden will ich kurz auf die visuelle Präsenz von Palästinenserinnen und Palästinensern in Berlin eingehen. Dies geschieht sowohl in auf einen spezifischen Zweck ausgerichteten Räumen (Moscheen, Vereinslokalen, Gaststätten) als auch in Räumen mit wandelbaren Funktionen (Straßen, Parks, Plätze). In diesem Zusammenhang spielt die Flexibilität im Nutzen dieser Räume eine zentrale Rolle.

  • Sichtbarkeit im öffentlichen Raum: Palästinensische Symbole sind normalerweise nationaler, politischer oder religiöser Natur. Charakteristisch für alle drei Aspekte sind palästinensische Fahnen, die aus den Fenstern von vielen Wohnungen in Berlin hängen oder Landkarten und Bilder aus Palästina, bspw. der Al-Aksa Moschee an den Wänden von Restaurants. Gleiches gilt für Namen von palästinensischen Geschäften, die sich auf Orte mit Symbolwirkung beziehen. In Mitte z.B. findet man ein Akko Restaurant in der Pankstraße und einen Al-Aksa Frisör in der Beusselstraße, die eine symbolische Verbindung mit der Heimat kreieren.
  • Übernahme von öffentlichem Raum im ‚intendierten Sinne‘ stellen beispielsweise die Cafés in der Turmstraße dar, in denen Gruppen von unbeschäftigten Männern ihre Zeit verbringen und im öffentlichen Raum ständig sichtbar sind.

Umwidmung von öffentlichem Raum kann bei politischen und kulturellen Events in Berlin-Mitte beobachtet werden, beispielsweise bei Demonstrationen zum Nahostkonflikt oder anlässlich des Ramadan und des Opferfestes. Ein weiteres Beispiel ist die temporäre Nutzung der Sporthalle im Hauptgebäude der TU Berlin durch mehrere palästinensische, arabische, türkische und kurdische Communities für das Freitagsgebet.Ein Beispiel aus dem Tiergarten-Park zeigt, dass Widerstand durch Umnutzung nicht immer     erfolgreich sein muss: Der Park wurde von Migrantinnen und Migranten aus der Türkei, Kurdistan, der arabischen Welt und anderen Gruppen zum Grillen bei Familienausflügen genutzt. Das Grillen   wurde dort allerdings 2012 verboten und der Ort dadurch für die meisten dieser Nutzer uninteressant; viele von ihnen fahren stattdessen nach Tempelhof, wo das Grillen weiterhin erlaubt ist. 

Entwicklung neuer Nutzungen von öffentlichem Raum: In Mitte kann man ein Beispiel in dem  „Haus der Weisheit - Darul Hikma e.V.“ finden. Es handelt sich um eine palästinensische Moschee, mit angeschlossenem Kulturverein, einer zweisprachigen arabischen Sprachschule, einer Religionsschule für arabische Kinder und einer Deutsch-Schule für arabische Eltern (der ersten Migrantengeneration). Die Moschee bietet auch kostenlose abendliche Speisungen während des Ramadans an. Es ist also ein neuer öffentlicher Raum, der mehrere soziale Zwecke erfüllt. Charakteristisch sind auch Männern vorbehaltene Cafés und Shisha Bars, insbesondere in Vierteln mit hohem Migrantenanteil, die traditionelle soziale Strukturen der Herkunftsländer spiegeln.

Vermittlung von Wissen

Die fortdauernde Präsenz und Sichtbarkeit von in Berlin lebenden Palästinenserinnen und Palästinensern erzeugt ‘Wissen‘ seitens der Mehrheitsgesellschaft: Die in Berlin-Mitte sichtbaren, arbeitslosen palästinensischen Männer beeinflussen die Wahrnehmung der dort lebenden Bevölkerung und führen zu Generalisierungen und Stereotypisierung, während z.B. palästinensische Studierende im Stadtbild weniger sichtbar sind und entsprechend weniger zur Entwicklung des ‚palästinensischen Images‘ beitragen. Durch Nutzung des öffentlichen Raums erzeugtes subjektives „Wissen“ darf also nicht mit empirisch erfassbarer „Realität“ verwechselt werden.

Weiterhin produzieren Medien und staatliche Stellen auf Basis dieser Sichtbarkeit ständig Informationen über verschiedene gesellschaftliche Gruppen, so auch Palästinenserinnen und Palästinenser in Berlin. Da diese nicht selbstverständlich am Prozess beteiligt werden, kommt es hierbei häufig zu Fehleinschätzungen, bzw. wird die Konzentration von Migrantinnen und Migranten in einzelnen Stadtvierteln als Integrationsunwilligkeit gedeutet, während tatsächlich finanzielle Erwägungen und das Gefühl der Geborgenheit eine weit größere Rolle spielen. Deshalb ist es zentral, dass Kommunikationswege eröffnet werden, um Palästinenserinnen und Palästinensern (sowie auch allen anderen gesellschaftlichen Untergruppen) eine Beteiligung an der Generierung solchen Wissens zu ermöglichen um unfaire Verkürzungen zu verhindern. 

Fazit 

Für Palästinenserinnen und Palästinenser in Berlin ist ein dialektisches Verhältnis zwischen Heterogenität (unterschiedliche geographische und politische Herkunft, unterschiedliche Ursache der Migration, unterschiedlicher individueller und familiärer Status) und politisch-motivierter Homogenität (aktive Bewahrung einer Gesamt-Identität) charakteristisch.  Ethnische, politische und religiöse Symbole sind Mittel dazu. Diese bewirken aktiv, aber auch als Nebeneffekt unterhaltsamer Aktivitäten (kultureller Anlässe, privater Feste, familiärer Traditionen und Überlieferungen) eine Bewahrung von Identität als Widerstand gegen Assimilation durch die Mehrheitsgesellschaft. All dies spielt bei der Annahme, Bespielung und Formung öffentlichen Raumes eine Rolle. 

Literatur

Goheen, P.G., 1998. Public Space and the Geography of the Modern City. Progress in Human Geography, 22(4), pp.479-96.

Hinze, A.M., 2013. Turkish Berlin: Integration Policy and Urban Space. Minneapolis, London: University of Minnesota Press.

Incirlioglu, E.O. & Tandogan, Z.G., 1999. Cultural Diversity., Public Space, Aesthetics and Power. European Journal of Intercultural studies, 10(1), pp.51-61.

Lahav, G., 2004. Public Opinion Toward Immigration in the European Union: Does It Matter? Comparative Political Studies, 37(10), pp.1151-83.

Neal, Z., 2009. Seeking Common Ground: Three Perspectives on Public Space. Urban Design and Planning, 000(DP000), pp.1-8.

Ploeg, M.V., 2006. Rethinking Urban Public Space in the Context of Democracy and Altruism. Michigan: Calvin College Urban Alturism.

Rapoport, A., 2008. Some Further Thoughts on Culture and Environment. International Journal of Architectural Research, 2(1), pp.16-39.

Woolley, H., 2003. Urban Open Spaces. London: Spon Press.

 

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