Rechtsextremismus und Antisemitismus im real existierenden Sozialismus
Beitrags-Autor Profil / Kontakt
Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
Von Bernd Wagner
Nazis demonstrativ gegen Staat und Partei
Im Spätherbst 1989 stellten etwa 200 junge Männer auf dem Karl-Engels-Forum vor dem Palast der Republik in Ost-Berlin ein lebendes Hakenkreuz. Blitzschnell marschierten sie an, formierten sich und bevor die Polizei zugreifen konnte verschwanden sie unerkannt.
Am 17. Oktober 1987 überfielen über 30 Naziskinheads die Zionskirche in Ost-Berlin, prügelten auf Besucher/innen eines Punkkonzerts ein und grölten: „Juden raus aus deutschen Kirchen“. Polizei und Staatssicherheit sahen zu. Erst nach kirchlichen Protesten kam die Strafverfolgung in Gang. Ein Schauprozess wurde in Gang gesetzt. Kritiker der Ereignisse in Ost und West sollten mundtot gemacht werden. Es sollte ein stabiler Sozialismus als Hort des Antifaschismus vorgegaukelt werden. Der Faschismus sei ein Westprodukt, wurde behauptet. Es wurde zunächst jedoch erklärt, dass die Täter Jugendliche seien, vom Westen aufgehetzt, verführt, die nicht wüssten was sie tun. Antinazi-Initiativen in Berlin, Dresden und anderswo wurden von der Staatssicherheit verfolgt. Selbst wache Mahner/innen in der Staatspartei, der SED, bekamen Ärger mit der Geheimpolizei, während die Jüdische Gemeinde Hetzbriefe erhielt.
Im Finale des Fußball-FDGB-Pokals, der Einheitsgewerkschaft der DDR, im Jahr 1988 saß der Minister für Staatssicherheit Erich Mielke im Berliner Stadion der Weltjugend nahe der Mauer auf der Ehrentribüne, um seinem Klub ‚FC Dynamo Berlin‘ zuzujubeln. Am Ende des Spiels gab es Randale. Hunderte Skinheads und ‚Faschos‘ zerschlugen die Gitterabsperrungen, sangen Nazilieder und strecken die rechten Arme zum Hitlergruß. Ein Hausschwein wurde ausgesetzt. Das verängstigte Tier sollte Mielke darstellen.
Die drastischen Beispiele von Demonstrationen ließen sich fortsetzen. Es gab eine endlose Liste von rechtsradikalen Gewalttaten gegen Menschen die als ‚Feinde‘ galten. ‚Ausländer‘, und ‚Undeutsche‘ waren im Fadenkreuz. Überall im Land gab es Überfälle auf Farbige, Pol/innen, Russ/innen, Vietnames/innen, Linke, Punks, sogenannte ‚Asoziale‘, Schwule. Jüdische Friedhöfe wurden in allen Teilen der DDR oft folgenlos geschändet. Die Friedhöfe sollten ohnehin vergessen werden. Rechtsradikale Gruppen und Netzwerke waren dafür verantwortlich, auch wenn manch ein Schläger eigenen primitiven Impulsen und Motiven folgte.
Im Januar 1988 wurde ohne Eingreifen des Staates die erste politische Organisation in Berlin gegründet: die ‚Bewegung 30. Januar‘ in Ost-Berlin. Sie wurde nicht ernst genommen. Nach dem Fall der Mauer wurde Sie zur ersten ostdeutschen Nazipartei. Die ‚Nationale Alternative‘ wie sie sich nannte, mutierte zu einem Magneten für Sympathisant/innen, Sinn suchende Jugendliche und Nazis aus Europa und Übersee. Eine Kaskade von Hausbesetzungen in Berlin-Lichtenberg eröffnete einen Kleinkrieg mit dem neuen demokratischen Staat und linken Antifa-Gruppen. Die Mission hieß: ‚nationale Revolution‘ und ‚Säuberung Deutschlands‘ überall in der DDR und in ganz Deutschland.
Das letzte Jahrzehnt
Bis zum Beginn der 1980er Jahre waren Nazis in der DDR eher selten, wenngleich immer wieder Grüppchen auftraten, rassistische und Naziideologie sichtbar wurde. Das Bild wandelte sich in den letzten 10 Jahren parallel zu Stagnation und Verfall des vorgeblichen Arbeiter- und Bauernstaates DDR jedoch rasant.
In der jungen Generation regte sich wie in jeder Generation zuvor Protest gegen die Altvordern, gegen die Angepasstheit der Eltern. Die Diktatur der Politik, der SED und der Staatssicherheit stießen auf verbreiteten Unwillen ohne sich zunächst Bahn zu brechen. Abweichung und Protest blieben im Alltag eher symbolhaft, nur Wenige gingen gegen die allgegenwärtige Macht aktiv und politisch vor. Darunter waren viele Kinder, die sozialistisch erzogen worden waren.
Zunehmend jedoch traten politische Vorstellungen und Verhaltensformen jenseits der Macht und ihrer Moral hervor. Es bildeten sich verschiedene Lifestyle-Strömungen, die diese Attitüden von Freiheitsvorstellungen präsentierten. Fußballanhang und Punk waren die dominanten Milieus, in denen der rechtsradikal wirkende Protest zunächst aufwuchs und sich rasant verbreitete.
Schon ab 1980 kam es vermehrt zu rechtsradikalen Artikulationen aus solchen Gruppen heraus. Besonders in größeren Städten kam es zu nazistischen Präsentationen und Gewalt gegen die typischen Opfergruppen von Rechtsradikalen: Ausländer/innen, ‚Undeutsche‘, Homosexuelle. Judenhass war ein Markenzeichen und ein militanter Antikommunismus, der alles Linke traf. Einstmalige Punks prügelten auf ihre ehemaligen Sandkasten-Freunde los, die Punks geblieben waren. Randalen bei Volksfesten und Konzerten wurden üblich: alkoholgesättigte Auftritte von größeren Gruppen, die sich zunehmend überörtlich vernetzt hatten. Gewalt gegen Polizisten war keine Seltenheit mehr.
Aus spielerischem Protest mit Nazisymbolen wurde symbolhafte Randale, dann gezielt rechtsradikale Gewalt. Die Gruppen und Strömungen junger Leute, die rassistischen und nazistischen Vorstellungen anhingen, vermehrten sich.
Neben anderen traten Skinheads auf den Plan und radikalisierten sich in mehreren Phasen besonders nazistisch. Sie erreichten immer höhere Radikalisierungsniveaus in Gewalt, Ideologie und Aktivismus. Es entstand ein Typus von ‚Kämpfer‘, der sich gewalttätig zeigte und sich traute, gegen staatliche Maßnahmen vorzugehen. Es bildete sich eine kleine aber aktive nazistische Bewegung, die den Kampf gegen die Kommunisten und für ein nazistisches ‚ausländerfreies Deutschland‘ als ‚Mission‘ ansahen.
Ab 1986 machten vermehrt sogenannte ‚Faschos‘ von sich reden, die sich als Nazis verstanden, ob als Skinhead oder äußerlicher ‚Normalo‘. In Mode kam Bekleidung, ähnlich der Naziuniformierung und den Haarschnitten wie sie in der ‚Hitlerjugend‘ üblich waren. Skinheads waren nicht immer als Nazis zu erkennen, wenn sie nicht entsprechende Symbole zeigten. Mit der verstärkten Strafverfolgung 1988 tarnte sich die rechtsradikale Szene, ohne ihre Erkennbarkeit zu verlieren. Jedoch: Wer wissen wollte konnte wissen, wer dem rechtsradikalen Geist frönte. Die anwachsende Bewegung konnte trotz Diktatur mit Stasi-Einsatz nicht gebrochen werden. In der Bevölkerung engagierten sich nur wenige dagegen. Viele teilten ausländerfeindliche Vorstellungen.
Das Ende der DDR
Die DDR endete 1990 mit einem regional unterschiedlich ausgeprägten Nazinetzwerk in dem bis zu 15.000 Personen auffällig waren. Etwa 5000 wurden als hartleibige und brutale Gewalttäter aktiv. 1000 davon waren der Polizei als hartnäckige Rückfalltäter/innen namentlich bekannt. SED und Sicherheitsbehörden waren ohne Strategie, wollten alles verheimlichen. Im Antifaschismus konnte es keine Faschisten geben, lautete die Parole. Mahner und Warner wurden dagegen verfolgt. Und: der Westen sei an allem schuld, hieß es in der Propaganda, so wie im Fall des Überfalls auf die Zionskirche 1987.
Es fanden mit dem Fall der Mauer schnelle organisatorische Vereinigungen mit den westdeutschen Rechtsextremisten statt. Mindestens fünf vereinigte Netzwerke und Parteigebilde entstanden, ein Vorgang der nur wenig politische Beachtung fand. Von dort führte seit 1991 eine Entwicklungslinie bis zu ‚Freien Kräften‘, erneuerter NPD und zum ‚Nationalsozialistischen Untergrund‘, der unter staatlicher Beobachtung zehn Jahre später eine Mordserie begann. In der Bevölkerung konnten die Rechtsradikalen mit ihrer Ausländerfeindlichkeit punkten. Sie waren nun keine Bürgerschrecks mehr, wie sich in vielen Pogromen bis 1994 und auch später zeigte.
- |
- Seite drucken
- |
- 15 Okt 2014 - 06:55