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Der Pankower Friedenskreis

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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

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Dr. Marie Anne Subklew, Theologin, Politologin, Stellvertreterin der Beauftragten des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur, Dissertation: Der Pankower Friedenskreis. Geschichte einer Ost-Berliner Gruppe innerhalb der Evangelischen Kirchen in der DDR 1981-1989.

Von Marie Anne Subklew

„An jenem 24.Oktober 1981 entstand - in einem Art Kaleidoskop das Beste was es überhaupt an Befindlichkeit der DDR-Gesellschaft Anfang der 80er-Jahre gab. Das hätte keine Zeitung, das hätte keine Sendung bringen können was hier von ein paar hundert Leuten aufs Papier gebracht wurde..... hier hatte man Volkes-Stimme.“

So erinnert sich Werner Krätschell, damals Superintendant des Kirchenkreises Pankow an jenem Sonnabend, der als Geburtsstunde des Pankower Friedenskreis gelten kann. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Berliner Gemeinde Alt-Pankow hatten zu einem Gemeindetag unter dem Motto „Für den Frieden – Gegen Todsicherheit“ eingeladen.

Die Ängste und Sorgen der Menschen drückten sich auf dem Gemeindetag so aus: „Friedenskunde statt Wehrkunde“, „keine Atomübungen mehr“, „Abrüsten“, „wir haben keine Chance zu überleben“, „Geld für Frieden und Behinderte und nicht für die Rüstung“,  „keinen Krieg - auch nicht für keinen Krieg“. Das sind Sätze, die die Teilnehmer/innen – meist anonym - auf eine große Papierwand im Altarraum schrieben. Immer mehr Menschen hatten zu Beginn der 1980er Jahre Angst vor einem atomaren Krieg in Europa. Aber auch die zunehmende Militarisierung des gesamten Lebens in der DDR wurde für viele immer unerträglicher. An den Schulen wurde unter anderem mit einer Studienplatzgarantie Druck auf junge Männer ausgeübt, für mindestens drei Jahre Soldat der Nationalen Volksarmee zu werden.

Selbst in den Kindergärten stand - auch wenn sich viele Kindergärtnerinnen nicht daran hielten - die Wehrerziehung auf dem Programm.

Wehrerziehung war also nicht auf ein Unterrichtsfach beschränkt, sondern bildete das pädagogische Prinzip der sozialistischen Erziehung. 

In dieser Situation entstand in der DDR die regierungsunabhängige, eigenständige Friedensbewegung. Als eine der ersten Gruppen in Berlin gründete sich 1981 in Pankow ein Friedenskreis. Initiiert wurde dieser Kreis von einer Gruppe von Freund/innen um das Ehepaar Ruth und Hans Misselwitz. Es etablierten sich zwei Bibelkreise sowie Arbeitskreise, die sich unter anderem mit Rüstung und Ökologie, gewaltfreier Kindererziehung und der Entwicklung alternativer Lebensformen befassten. 

In den Bibelkreisen wurden die biblischen Texte mit den eigenen Lebensumständen in Verbindung gebracht. Gerade dabei zeigte sich, dass Theologie immer auf einen Kontext bezogen ist und sich in einem bestimmten gesellschaftlichen Umfeld entwickelt und artikuliert. Die Bibelkreise wurden als das integrierende Zentrum des Friedenskreises verstanden. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) notierte irritiert über den Frauenbibelkreis, dass im Laufe der Diskussionen „auch Bezüge zur Gegenwart geknüpft und besprochen“ wurden.(BStU, ZA 2603, Blatt 42)

Der Pankower Friedenskreis verstand sich von Anfang an als ein Kreis der christlichen Gemeinde. Davon zeugt bereits der erste Text des Kreises von 1981, der als eine Art Grundlegung der Arbeit bezeichnen werden kann.  In den Überlegungen zur Arbeit des Friedenskreises in der Gemeinde heißt es:

„ […] Für einen Christen bedeutet Frieden nicht bloß die Abwesenheit von Krieg. Das Wort 'Schalom' […] umfasst die Gesamtheit des menschlichen Lebens in einer Gemeinschaft. […] Christus hat uns den Weg dieses Friedens gewiesen, indem er ihn selbst gegangen ist. Die Sehnsucht nach diesem Frieden schöpft ihre Kraft aus unserem Glauben, in seine Nachfolge berufen zu sein [...] Der im Evangelium begründete Friedensauftrag verlangt von uns als Christen und Bürger eine nüchterne Prüfung dessen, was in der  gegenwärtigen Weltsituation Spannungen abbaut, Vertrauen fördert und dem Frieden dient.”(Friedenskreis, Überlegungen, Archiv Misselwitz, S. 1) 

Allerdings war diese Grundlegung nicht exklusiv gemeint und so war dieser Kreis immer auch offen für Menschen, sie sich nicht als Christen verstanden. 

Regelmäßig bereitete der Friedenskreis Gottesdienste in der Pankower Kirche vor. Damit ging er sozusagen auf den Markt zu den Menschen, wo die Kirche steht. Und während des jährlich stattfindenden „Festes an der Panke“ wurde die Kirche für Gespräche für zufällig hereinschauende Besucher/innen geöffnet. Neben den Gottesdiensten wurden sogenannte Tischgemeinschaften gefeiert. Ein Teilnehmer erinnert sich: “Wir haben auf sehr archaische Weise das Abendmahl gefeiert, vielleicht so wie man es sich vorstellt, mit langem Tisch in der Kirche und Rotwein und wir haben das Brot gebrochen und haben uns unterhalten und liturgische Nächte gefeiert und ich habe plötzlich gemerkt, dass Kirche wieder leben kann. Wir haben Lieder miteinander gesungen, es gibt ja heute kaum noch eine politische Bewegung, die Lieder singt, oder die offenen Fürbitten in den Gottesdiensten, wo Menschen sich geöffnet haben und von ihren Sorgen, Ängsten und auch Hoffnungen berichteten“ (Interview Friedenskreismitglied A., 2001) 

Alte christliche Traditionen, wie die des Fastens belebte der Friedenskreis für sich neu. So fastete 1983 während der Friedensdekade eine kleine Gruppe für den Frieden. Sie schrieben:

„Mit Entsetzen haben wir vernommen, daß Maßnahmen eingeleitet werden, auf dem Boden der DDR Atomraketen zu stationieren. [… ] Die Sicherheit in Europa wird wesentlich geringer und damit die Wahrscheinlichkeit eines unseren Kontinent vernichtenden Krieges größer.[…]Wir wollen miteinander und mit Dir fasten, als Zeichen unseres Protestes gegen Atomraketen in West und Ost, aber auch als Zeichen für unsere Schuld, daß wir nicht mehr getan haben, eine Stationierung von Atomraketen in Europa zu verhindern. Wir wollen miteinander und mit Dir beten und Gott bitten, das Unheil von uns abzuwenden und uns Kraft und Mut geben, uns weiter für den Frieden einzusetzen.[…] Wir wollen gemeinsam unseren Tagesablauf gestalten, miteinander diskutieren, argumentieren, spielen, singen, meditieren, schweigen und beten.“ (Tage des gemeinsamen Lebens, 1983, Archiv Misselwitz)

Einer der Initiator/innen legte seit dieser Aktion zwei Jahre lang jeden Mittwoch einen Fastentag ein. Das war für die Mitarbeiter in dem DDR-Institut, in dem er damals arbeitete, eine völlig unbekannte Dimension gelebten Glaubens. Der Initiator ist sich sicher, dass er mit diesem Fasten mehr Menschen erreicht hat, als wenn er seinen Kollegen berichtet hätte, was im Friedenskreis gerade für eine Aktion geplant oder durchgeführt worden ist.

Das MfS beobachte den Friedenskreis massiv und führte ihn als sogenannten Operativen Vorgang „Virus“. Selbst die Fürbitten im Gottesdienst erschienen dem MfS bedrohlich, so dass die Stasi akribisch zwischen „negativen“ Fürbitten, solchen die „einen progressiven Charakter oder rein religiös, caritativ bzw. ohne operative Relevanz waren“ [1] unterschied.

Als Kreis der Kirchengemeinde war der Gemeindekirchenrat (GKR) diejenige Instanz, welche die Arbeit des Friedenskreises letztlich zu verantworten hatte. Dieses Miteinander war nicht immer spannungsfrei. Manchen GKR-Mitgliedern erschien das Verhalten des Friedenskreises manchmal zu provokativ, wusste man doch nie wie der Staat reagieren würde. Dennoch entzog der GKR dem Friedenskreis letztlich nie das Vertrauen, was auch daran gelegen hat, dass Pastorin Misselwitz immer versuchte, den GKR von allen geplanten Aktionen des Kreises rechtzeitig und ausführlich zu informieren.

Der Pankower Friedenskreis sah die Kirche als einen Ort an, an dem Lebensformen für eine überlebensfähige Welt ausprobiert und eingeübt werden können. Dazu gehören Toleranz und Konfliktbewältigung, Freiheit und Verantwortung. Diese Aufgabe, Kirche als einen Ort des Engagements für die Welt zu gestalten, unterscheidet sich aber in einem wesentlichen Moment von politischen Bewegungen und Gruppierungen gleichen Zieles. Zur Sozialität christlichen Glaubens gehört nicht nur Kommunikation, sondern auch Kontemplation, nicht nur im Handeln und in der Aktion, sondern auch Reflexion, Besinnung und Gebet, eine Haltung, die menschlicher Eigenmächtigkeit und Eigennutzes keinen Raum gibt. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


[1]           BStU, OV „Virus“ Bd. 3, Blatt 170

 

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