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Streng verboten. Das Tagebuch des Pastors Bartelt

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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

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Arbeitsgemeinschaft Fünfeichen (Hg.): Streng verboten. Das Tagebuch des Pastors Bartelt. Neubrandenburg (2008).

Von Ingolf Seidel

In Fünfeichen, zur Stadt Neubrandenburg gehörend, wurden nach dem Kriegsbeginn 1939, auf dem ehemaligen Gut der jüdischen Besitzerin Olga von Maltzahn, zwei Lager errichtet: das Kriegsgefangenenlager Stalag II A und das Offiziersgefangenenlager Oflag II E. Ab 1941 wurde das Lager erweitert, um sowjetische Kriegsgefangene unterbringen zu können. Im März 1943 erreicht das Lager eine Belegung mit 10193 Menschen. Aufgrund der rassistischen Ideologie der Nationalsozialisten war die Sterblichkeit unter den sowjetischen Kriegsgefangenen am höchsten. 

Nach dem Kriegsende errichtete der sowjetische Geheimdienst NKWD auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) insgesamt zehn Speziallager, die entsprechend der Konferenzen von Jalta und Potsdam der Internierung von NS-Verbrechern dienen sollten. Nominell waren in den NKWD-Speziallagern, der Begriff stammt aus dem NKWD-Jargon,  NSDAP-Mitglieder und Inhaber auch niedriger Parteiämter interniert. Die Speziallager wurden jedoch über die ursprüngliche Planung hinausgehend, recht schnell für den Prozess der Stalinisierung und Inhaftierung von missliebigen oder oppositionellen Personen jeglicher Couleur genutzt. Aufgrund der schlechten Versorgung der Internierten und infolge zum Teil katastrophaler hygienischer Bedingungen, waren die Sterberaten in diesen Lagern immens hoch. Zu diesen Lagern gehörte auch das ehemalige Stalag in Fünfeichen, bezeichnet als Speziallager Nr. 9. In Fünfeichen starben nach Angaben von Jörg Morré 4.900 Menschen, das war bei einer Todesrate von 32% beinahe ein Drittel der gesamten Lagerbelegung. 

Die Arbeitsgemeinschaft Fünfeichen hat sich die Erinnerung an das Speziallager Nr. 9 zur Aufgabe gesetzt. Neben anderen Materialien zur Thematik hat die Arbeitsgemeinschaft den Band „Streng verboten. Das Tagebuch des Pastors Bartelt“ herausgegeben, der um Gedichte und Zeichnungen unterschiedlicher Häftlinge des Speziallagers ergänzt wurde. 

Der Pfarrer Wilhelm Bartelt war bis zu seiner Entlassung aus gesundheitlichen Gründen Ende 1944 Wehrmachtsangehöriger und anschließend Pfarrer im nordwest-mecklenburgischen Friedrichshagen bei Plüschow. Er wurde, wie seine Tochter Brigitte Schweinberger ausführt, gemeinsam mit anderen ehemaligen Wehrmachtsangehörigen und NSDAP-Mitgliedern am 14. Juli zur sogenannten Registrierung einbestellt, kehrt jedoch von dort nicht zurück, sondern wurde nach mehreren Zwischenstationen in das Lager Fünfeichen überstellt. Von dort konnte ein Mithäftling das Tagebuch Wilhelm Bartelts an dessen Frau übergeben, die es unter ihrem Bett aufbewahrte. Dort wurde es erst nach ihrem Tod gefunden. Brigitte Schweinberger erfuhr das genaue Todesdatum ihres Vaters, es war der 6. August 1947, erst nach der Öffnung der Moskauer Archive im Jahr 1996. 

Der vorliegende Band umfasst neben den Aufzeichnungen Wilhelm Bartelts einen in die Thematik einführenden historischen Aufsatz von Jörg Morré, derzeit Leiter des Deutsch-Russischen Museums in Berlin-Karlshorst. Morré betont, dass im Speziallager Nr. 9 zwar zu rund 80% Personen interniert waren, denen eine Verstrickung in das nationalsozialistische Regime vorgeworfen wurde, die jedoch aufgrund ihres Status als Mitläufer hätten eingestuft werden müssen. Die dreijährige Haft unter lebensbedrohlichen Bedingungen, so der Autor, wäre nicht zu rechtfertigen. Zumal es den sowjetischen Behörden nicht um eine Schuldklärung gegangen sei – Gelegenheiten zur Widerlegung der Anwürfe erhielten die Internierten nicht – sondern um eine Entfernung der Verwaltungs- und Wirtschaftseliten. Eine Kontextualisierung des Verhaltens der nach rechtsstaatlichen Maßstäben sicherlich hochproblematischen Internierungen im Zusammenhang des gegen die Sowjetunion mit aller Grausamkeit geführten Vernichtungskrieges der Nationalsozialisten, wäre für eine historische Beurteilung des Sachverhaltes sicherlich ebenso angemessen, wie der Vergleich mit der Politik der Westalliierten. Das zöge keine Relativierung des Leidens der Inhaftierten mit sich, trüge aber zur historischen Urteilsbildung bei.

Die auf farbigem Untergrund gedruckten, teils mit Faksimiles des Tagebuches unterlegten oder illustrierten Einträge von Pastor Bartelt zeigen eindrucksvoll und detailliert die Härte und Unbill seiner Haftbedingungen auf. Man liest nicht nur vom unablässigen Kampf gegen Läuse, sondern auch von politischen Ereignissen, die dem Häftling zur Kenntnis kamen und den Hoffnungen auf Entlassung. Vor dem Hintergrund des allgemeinen Schreibverbotes stellen die Aufzeichnungen ohne Frage einen Akt der Auflehnung gegen die Haftbedingungen dar. Damit verbunden ist ein Akt der Aufrechterhaltung der Individualität und des Bezeugens. Für die historisch-politische Bildung bilden die Tagebucheinträge sicherlich gut nutzbare Quellen, die allerdings sorgsam und mit der gebotenen quellenkritischen Herangehensweise eingesetzt werden sollten.

Das Tagebuch von Pfarrer Bartelt bildet den ersten, ausführlicheren Teil der Publikation. An ihn schließen sich Gedichte und Zeichnungen von unterschiedlichen Internierten des Lagers Fünfeichen. Leider, und dieser Umstand mag der Quellenlage geschuldet sein, bekommt man über die Autoren oder Zeichner keine Informationen. Die Mehrzahl dieser überlieferten Zeugnisse berichten von der Unbill des Lagerlebens und vom Seelenzustand der Autor/innen und Zeichner/innen. Die Sprache verweist in verschiedenen Gedichten auf einen christlichen Hintergrund des Verfassers, es finden sich aber auch vereinzelte nationalistische Chiffren. Hierin zeigt sich die Problematik  der nicht vorhandenen quellenkritischen Aufarbeitung des zweiten Teils des Buches und die Darbietung einer Monoperspektive aus Häftlingssicht, die nicht durch weitere Dokumente angereichert wird. Dokumentarisch bleibt der Wert des zweiten Teils fraglos interessant. Als Quelle für die historisch-politische Bildungsarbeit ist er in dieser Form kaum einsetzbar, da ein multiperspektivischer Zugang verstellt bleibt. Aus der historisch-politischen Bildung zu Nationalsozialismus und Holocaust wissen wir, dass der Versuch, Empathie über Betroffenheit und Opferidentifikation zu erzeugen nicht nur fehlschlägt, sondern darüber hinaus gegen die notwendige Subjektorientierung verstößt.

„Streng verboten. Das Tagebuch des Pastors Bartelt“ kann bestellt werden über:

Arbeitsgemeinschaft Fünfeichen
Dr. Rita Lüdtke
Hopfenstraße 5a

17034 Neubrandenburg
Tel. 0395 555-2426

Bereits vorgestellt wurde auf „Lernen aus der Geschichte“ der Dokumentarfilm „Schicksal Fünfeichen – Das sowjetische Speziallager Nr. 9“.

 

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