Der Militärstandort Prora – ein Praxisbericht
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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
Von Birte Kröncke
Mit dem Zeitzeugenprojekt „Der Militärstandort Prora/Rügen“ will das PRORA-ZENTRUM, die Geschichte des Standortes aus der Perspektive von 32 Zeitzeug/innen dokumentieren, seine Alleinstellungsmerkmale erforschen und die so gewonnenen Erkenntnisse für die Ausstellungs- und Bildungsarbeit verwenden.
Es handelt sich hier um ein Projekt, das es in dieser Form und standortspezifischen Ausrichtung noch nicht gegeben hat. Da die über vierzigjährige Geschichte des Standortes mit 32 Zeitzeugeninterviews natürlich nicht vollständig abzudecken und zu erfassen ist, bilden die Interviews somit den Anfang für unsere weitere Forschungsarbeit. Sie sind die Basis, von der aus die bisherige Forschung und Dokumentation der Militärgeschichte Proras weitergeführt werden. Dies beinhaltet nicht nur die Nachbereitung des Projekts in Form von Auswertung und Transkription. Es gilt ebenso, die gesammelten Informationen, auch im Hinblick auf all die von den Zeitzeugen erhaltenen Hinweise, nachzurecherchieren. Anschließend sollen die Interviews für unsere zukünftige Ausstellungs- und Bildungsarbeit genutzt und ggf. auch die Suche nach weiteren Zeitzeugen fortgesetzt werden.
Nicht zuletzt um Anregungen für die Arbeit der Auswertung und Verwendung zu bekommen und Vorschläge zu diskutieren, wurde vom PRORA-ZENTRUM die Tagung „Konzepte-Erfahrungen-Perspektive“ vom 15. bis 16.11.2012 in der Jugendherberge Prora organisiert.
Vorüberlegungen und Interviewkriterien
Rückblickend auf das Projekt wird hier der Verlauf, die Suche nach potentiellen Zeitzeugen, die Vorbereitungen auf die Interviews, deren Organisation und Ablauf, die Interviewmethode sowie die dabei gemachten Erfahrungen vorgestellt.
Das parallel zum Alltagsgeschäft des PRORA-ZENTRUMs durchgeführte Projekt gestaltete sich von den zeitlichen Planungen manchmal schwierig, da sich keiner der beteiligten wissenschaftlichen Kräfte für dieses Projekt vollständig aus dem laufenden Betrieb zurückziehen konnte. Somit galt es immer, die Interviewtermine so zu koordinieren, dass sowohl der oftmals noch berufstätige Zeitzeuge, der für das Projekt engagierte und für seine Dokumentationen bekannte Filmemacher Jörg Herrmann als auch das PRORA-ZENTRUM einen Termin fanden. Da nicht alle Treffen in Prora möglich waren - etwa zwei Drittel der Zeitzeug/innen wohnen zu weit weg - haben wir die deutschlandweiten Termine möglichst so organisiert, dass gleich mehrere Interviews im Rahmen einer Reise stattfanden.
Was die Auswahl der zu interviewenden Zeitzeug/innen anbelangt, haben wir vorab verschiedene Kriterien festgelegt, anhand derer wir uns auf die Suche nach möglichen Gesprächspartnern gemacht haben. Da die Geschichte des Militärstandorts Prora in seiner Gesamtentwicklung von 1949 - 1990 soweit wie möglich dokumentiert werden sollte, galt es also nicht nur, für diese Zeitspanne von 41 Jahren potentielle Zeitzeugen zu finden, sondern dabei auch noch möglichst verschiedene Perspektiven abzudecken und so einen ersten repräsentativen Querschnitt einzufangen.
Um einen Überblick der abzudeckenden Zeiträume und Entwicklungsphasen zu erhalten, haben wir die 41 Standortjahre anhand der prägenden Aufbauphasen unterteilt und daraus Obergruppierungen gebildet:
1949 - 1952 erste Polizeibereitschaften werden in Prora stationiert und verdeckt militärisch ausgebildet.
1952 - 1956 die Kasernierte Volkspolizei (KVP) gründet sich und baut Prora zum Militärstandort aus.
1956 – 1990 aus der KVP wird die Nationale Volksarmee (NVA) und Prora zu einem der größten Militärstandorte in der DDR.
Die Nutzungsphase Proras durch die Nationale Volksarmee unterteilt sich dabei nochmal in verschiedene Einheiten, Waffengattungen und Einrichtungen, die die wechselvolle Geschichte des Ortes prägten. Exemplarisch seien hier Motorisierte Schützen, Fallschirmjäger, Wehrpflichtige und Bausoldaten, die Offiziershochschule für ausländische Kader und die Technische Unteroffiziersschule/Militärtechnische Schule sowie das Walter-Ulbricht-Heim/Ferienheim Prora genannt.
Bei den ehemaligen Bausoldaten ergab es sich in zwei Fällen, ebenfalls mit den Ehefrauen ein Interview zu führen, was gerade bei dieser Gruppe die besondere Möglichkeit eröffnete, die Perspektive der zuhause gebliebenen Angehörigen – auch die der Kinder - ansatzweise mit zu erfassen.
Hinsichtlich des breiten Zeitraums, den es zu dokumentieren galt, war auch auf die Demographie zu achten. Soweit es zeitlich und örtlich machbar war, wurden darum die Jahrgänge, die ab 1949 in Prora stationiert waren, als Erste interviewt. Gleichzeitig sind diese Zeitzeugen aufgrund der Vielzahl an Veränderungen in den frühen 1950er und 1960er Jahren vielfach Gesprächspartner für mehrere Entwicklungsabschnitte gewesen und haben den Standortprozess, beginnend mit den Polizeibereitschaften bis hin zur Gründung und Stationierung der Nationalen Volksarmee, über Jahrzehnte begleitet. Gerade die frühe Phase des beginnenden Aufbaus ist ein Zeitraum, in dem es noch einige weiße Flecken aufzuarbeiten galt und auch weiterhin gilt.
Wichtig bei der Auswahl war uns, vor allem Unbekannte zu Wort kommen zu lassen, die bisher nichts zum Thema veröffentlicht haben und durch ihre Schilderungen das Mosaik Prora um weitere Steinchen ergänzen können. Wir waren uns bei diesem Entschluss der Tatsache bewusst, dass die häufig medien- und öffentlichkeitsunerfahrenen Interviewpartner eine noch größere Hemmschwelle zu überwinden hatten und auch wir noch mehr in der Verantwortung stehen würden, ihnen diese Unsicherheit zu nehmen.
Die Suche nach Zeitzeugen
Als Projekteinstieg wurde zunächst nach Zeitzeugen in der näheren Umgebung gesucht, um dann vom Ort ausgehend immer größere Kreise um Prora zu ziehen. Da es bereits vor dem Projekt Kontakt zu Ehemaligen des Standorts gab, Offiziere, Ausbilder und Bausoldaten, begann die Suche nach gesprächsbereiten Partnern zunächst in diesem Kreis und dehnte sich dann immer weiter aus. Dabei halfen auch die privaten Kontakte unserer Interviewpartner, Vorschläge von außerhalb und die Internetplattform der Wehr- und Waffendienstverweigerer im Hinblick auf weitere Zeitzeugen. So ergab sich z.B. über das Interview mit einem ehemaligen Bausoldaten der Kontakt zu einem ehemaligen Militärmusiker, der hier in Prora an der Militärtechnischen Schule - der einzigen mit der Fachrichtung Militärmusik in der gesamten DDR - mit 16 Jahren seine Ausbildung nebst 10-jähriger Verpflichtung begann. Natürlich verlief unsere Suche nach Zeitzeugen nicht immer reibungslos und einfach. Manches Mal erwies es sich als große Unterstützung, wenn bei einer Anfrage, ob sich jemand als Zeitzeuge zur Verfügung stellen würde, auf bestehende Kontakte zu einer ihm bzw. ihr bekannten Person verwiesen werden konnte. Es galt aber trotzdem auch immer wieder Rückschläge hinzunehmen. Die Reaktionen auf unsere Anfragen waren recht ambivalent, einige Kontakte verliefen wieder im Sande und längst nicht jeder Angefragte wollte bei dem Projekt kooperieren.
Die Gründe für diese Ablehnung sind dabei sehr unterschiedlich:
Mehrfach wurde das Projektziel bezweifelt und keinerlei Sinn in unserer Arbeit gesehen, O-Ton: „Das interessiert doch heutzutage niemanden bzw. hat bisher niemanden interessiert“. Manchmal wurde auch deutlich, dass die Angefragten nicht über diese Zeit ihres Lebens sprechen können, da der 1989/90 erfolgte Bruch in der eigenen Biographie zu groß war und vielleicht bis heute ist. Die Abwehrhaltung gegenüber dem Projekt und der Beschäftigung mit der eigenen Geschichte wurde bei einem Telefonat sehr deutlich, in dem der Vorwurf geäußert wurde, man wolle „alles in den Dreck ziehen und Biographien zerfleddern“.
Diese Aussage belegt, dass wir mit der unmittelbaren Zeitgeschichte arbeiten und wie groß das Misstrauen und die Angst hinsichtlich einer Wertung von außen sind. Das ist bei jedem Interview auf vielfältige Weise immer wieder deutlich geworden. Diese Interviews sind zwar als subjektive Quellen zu betrachten und die getätigten Äußerungen zum Standort mithilfe von Recherchen schriftlich zu belegen. Aber es ist in keiner Weise Intention dieses Zeitzeugenprojekts, die Biographie der interviewten Personen zu diskreditieren. Andere Angefragte waren dem Projekt mehr zugetan, bei einigen hatte es den Anschein, als hätten sie Jahre darauf gewartet, ihre Geschichte interessierten Zuhörer/innen erzählen zu dürfen.
Wir sind bei diesem Projekt nicht nur interessierte Wissenschaftlerinnen, wir sind auch Lernende. Dieses stetige Lernen unsererseits, den Interviewern und den projektbeteiligten Wissenschaftlern, ist bei dem gesamten Projektverlauf eine große Stütze gewesen:
Mit jeder weiteren Information wurde nicht nur der eigene Kenntnisstand erweitert, sondern auch der vorab entwickelte und auf jeden Interviewpartner zugeschnittene Fragenkatalog spezifischer. Verbindungen, die sich vorher nicht aufzeigten, der Kontext, der manchmal nicht richtig greifbar war, Chronologie und Strukturen haben sich im Verlauf der einzelnen Interviews immer weiter aufgeschlüsselt. Hierdurch konnten wir, die wissenschaftlichen Kräfte des PRORA-ZENTRUMs, in den Gesprächen immer konkreter nachfragen bzw. Äußerungen ganz anders aufgreifen.
Die Vorbereitung der Interviews
Vor jedem Interview wurde mit dem jeweiligen Zeitzeugen oder der Zeitzeugin noch einmal telefonisch der persönliche Kontakt aufgenommen, um vor dem geplanten Interviewtermin den Ablauf gemeinsam durchzugehen und noch offen gebliebene Fragen beiderseits zu klären.
Dieses diente dabei nicht nur dem Informationsaustausch, sondern war uns auch ein Anliegen, um Missverständnissen im Hinblick auf unsere Motive und Interessen vorzubeugen und den Zeitzeugen ein Gefühl der Sicherheit zu geben.
Sicherheit bezogen auf den Verlauf des Interviews, als auch -und das lag vielen unserer Partner besonders am Herzen- im Hinblick auf die Projektintention und die zukünftige Verwendung ihrer Lebensgeschichte und Erzählungen. Viele Interviewpartner hatten anfänglich Sorge hinsichtlich der weiteren Verwendung ihrer Aussagen; sie sahen sich in der Bild-Zeitung zitiert oder in der nächsten Histotainment-Sendung. Hierzu haben wir – ergänzend zu der Erklärung der Bundesstiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur was Nutzung und Archivierung der Interviews anbelangt - eine eigene Einverständniserklärung verfasst. In dieser sind Sinn, Zweck und Ziele der Interviews festgehalten und die weitere Verwendung des Materials geschildert. Diese Unterlagen wurden in doppelter Ausführung ebenso vor dem Interviewtermin dem Gesprächspartner zugeschickt, mit der Bitte, eine Ausfertigung unterschrieben zum vereinbarten Treffen mitzubringen und uns wieder auszuhändigen. Die Rückgabe dieser Unterlagen erfolgte als Einstieg vor den Interviews. Da die Zeitzeugen sich ebenfalls auf das Gespräch vorbereitet und beispielsweise Unterlagen und Erinnerungsstücke aus ihrer Militärzeit nach langer Zeit wieder hervorgeholt hatten, gab es gleich zu Beginn einen regen Austausch.
Obwohl es im militärischen Sperrgebiet und den einzelnen militärischen Objekten verboten war zu fotografieren, haben wir nun auch eine bunte Sammlung von Aufnahmen zum jeweiligen Kasernenleben und den verschiedensten Standortphasen. Dieser Austausch der Unterlagen unmittelbar vor Interviewbeginn wurde für uns zu einem guten und hilfreichen Einstiegsritual. Zum Einen, um die vorhandene Hemmschwelle und Aufregung bei den Zeitzeug/innen, die trotz Vorbereitung und Bereitschaft zum Interview vorhanden war, abzubauen. Zum Anderen waren somit die Formalitäten erledigt und alle Beteiligten konnten sich intensiv auf das Interview konzentrieren. Da die Gespräche zumeist zweieinhalb Stunden dauerten und beide Seiten manches Mal danach ziemlich erschöpft waren, wäre dieses Prozedere am Ende auch nur störend gewesen.
Die Durchführung der Interviews
Als Arbeitsmethode wurde das lebensgeschichtliche Interview gewählt. Bei dieser Form des Interviews gibt der Zeitzeuge oder die Zeitzeugin nach einer kurzen Vorstellung: „Mein Name ist, ich bin geboren in… am…“ zunächst einen selbstbestimmten Abriss seiner bzw. ihrer Lebensgeschichte. Er/Sie schildert dabei selbstständig den persönlichen Werdegang, die biographische Verknüpfung mit Prora sowie seine oder ihre Erlebnisse, Beweggründe, Motivationen und Gedankengänge.
Erst danach steigt die interviewende Person in das Gespräch mit ein, stellt bis dahin noch offen gebliebene Fragen aus dem vorab angefertigten Fragenkatalog und geht auf einzelne Schilderungen genauer ein. Wir haben uns für diese Methode entschieden, um uns nicht möglicherweise selber durch eine zu starre und zu fokussierte Zuspitzung des Gesprächsthemas und des Fragenkatalogs wichtige Informationen oder Hinweise zur Standortgeschichte Proras zu nehmen.
Damit unsere Interviewpartner/innen in dieser für sie sowohl ungewohnten als auch oftmals emotional anstrengenden Situation nicht weiterem Druck ausgesetzt waren, wurde auch der zeitliche Rahmen offen gehalten. Im Schnitt haben wir mit diesem Konzept Interviews geführt, die etwa zwei bis drei Zeitstunden dauerten. Diese offene Interviewstruktur hat es unseren Partnern im Übrigen erleichtert, die mitlaufende Kamera zu vergessen und, was für uns und auch den späteren Interviewschnitt hilfreich war, in einen recht strukturierten Erzählfluss zu kommen.
Verschiedene Äußerungen, wie: „Das hatte ich ja ganz vergessen“ oder „Mir fällt gerade noch ein“, haben uns zudem in unserer Methodenwahl bestätigt. So mancher Zeitzeuge war selber überrascht, was für Anekdoten und Erlebnisse, aber auch Namen und Orte in der Erinnerung wieder zum Vorschein kamen und wie schnell die Zeit damit gefüllt war. Es wurden Einzelheiten und Kleinigkeiten in den geschilderten Erinnerungen benannt, die möglicherweise durch gesteuerte Frage-Antwort-Gespräche wie beispielsweise beim so genannten „Experteninterview“ nicht hätten reaktiviert werden können.
Erste Eindrücke
Auffallend waren bereits bei der Projektdurchführung die unterschiedlichen Erzählstile, die sich durch die Interviews ziehen. Dies fiel besonders im Bezug auf die Einflechtung des persönlich Erlebten in die Geschichte des Standorts auf.
Interessanterweise haben gerade die Zeitzeugen, die über die Anfangsjahre in Prora berichten können, einen ganz anderen Erzählstil als die späteren Jahrgänge. Stehen bei den späteren Interviewpartnern verstärkt sie selbst und ihre persönlichen Eindrücke im Vordergrund, ist es bei den Zeitzeugen der Anfangsjahre genau umgekehrt. Im Vordergrund der Interviews steht hier der Militärstandort Prora, sein Werden und dessen Fortentwicklung. Die frühen Zeitzeugen haben genauso ein lebensgeschichtliches Interview gegeben. Abgesehen vom umrissenen militärischen Werdegang und der jeweiligen Motivation, mit der sie sich zum Dienst bei den Polizeibereitschaften, der Kasernierten Volkspolizei oder der Nationalen Volksarmee meldeten, ist der Erzähler selbst hier allerdings viel weniger greifbar. So wie sich der persönliche Erzählstil verändert, so unterscheiden sich auch mit jedem fortschreitenden Jahr immer mehr die Motivationen, die, bezogen auf die regulär dienstleistenden Kräfte, die Zeitzeugen zum Militär geführt haben.
Bei den frühen Jahrgängen von 1949 bis 1956 ist es zunächst vor allem die Gestaltung einer neuen Ordnung. Geprägt durch gemachte Kriegserfahrungen ist es die Suche nach Struktur und Beständigkeit sowie die Schaffung eines neuen Militärs als Notwendigkeit für Sicherheit.
Bei den nachfolgenden Generationen, die ab 1956 ihren Dienst freiwillig mit langjähriger Verpflichtung in der Nationalen Volksarmee leisten, ist es eine immer stärker werdende Begeisterung für das Militär selbst. Hierbei sind sowohl die Karrieremöglichkeiten als auch das Bild des Klassenfeinds und der Wunsch nach Verteidigung des Vaterlands vor dem faschistischen Westen zu nennen.
Auch bei den ab 1962 eingezogenen Wehrpflichtigen spiegelt sich dies zumeist wider, die sich zwar nicht für Jahre verpflichten, ihre 18-monatige Einberufung aber als begründete Notwendigkeit verstehen. Auch im Hinblick auf Studienplatz und zukünftige Karriere wird der Militärdienst als notwendiges Übel in Kauf genommen. Entsprechend wenig kritisch wird in dieser Zeitzeugengruppe von ihrer Zeit in Prora berichtet.
Anders gestaltet sich das bei den Zeitzeugen, die den Wehr- und Waffendienst sowie alles Militärische für sich ablehnten und als so genannte Bausoldaten eingezogen wurden. In der ehemaligen DDR gab es keine zivile Alternative zum Wehrdienst und Komplettverweigerung wurde mit Gefängnisstrafen geahndet. Ab 1964 gab es die Möglichkeit eines waffenlosen Dienstes als Bausoldat, der allerdings innerhalb des Militärs abgeleistet werden musste. Da er somit keine wirkliche Alternative zum Wehrdienst darstellte und mit vielen Entbehrungen verbunden war, sind sowohl die Schilderungen als auch die Betrachtungen bei diesen Interviews sehr kritisch. Auch hier unterscheiden sich die frühen Jahrgänge von den späteren, allerdings weniger im Hinblick auf die jeweilige Motivation, sondern vor allem im Bereich der zu leistenden Tätigkeiten und den gemachten Erfahrungen mit Vorgesetzten. Waren ab Mitte der 1960er Jahre nur kleine Einheiten von ca. 20 Bausoldaten hier vor Ort als Heizer etc. eingesetzt, nimmt mit der später steigenden Anzahl auch die Überwachung und Kontrolle durch die Vorgesetzten immer mehr zu. Besonders die Jahrgänge, die zum Bau des Hafens Mukran in Bataillonsstärke in den 1980ern nach Prora kamen und ihn somit zeitweise zum größten Bausoldatenstandort der DDR machten, sind von erheblicheren Einschränkungen und Disziplinarmaßnahmen betroffen gewesen.
Es gibt einige Interviews, in denen unsere Gesprächspartner/innen völlig unverhofft von ihren Erinnerungen und wieder aufbrechenden Emotionen überrollt worden sind. Insbesondere die Gespräche mit den zwei zu Beginn erwähnten Ehefrauen ehemaliger Bausoldaten zeichnen dies sehr deutlich nach, gerade weil der Gang ihrer Ehemänner zum Militär kein freiwillig gewollter, sondern ein der Not gehorchender war.
Das Spektrum an Erfahrungen, die Erzählperspektive und der Interviewstil ist bei keiner der vorab angesprochenen Gruppen so heterogen, wie bei den Bausoldaten. Die hier vorgestellten Zeitzeugengruppen waren vielfach zur gleichen Zeit in Prora. Trotzdem hat jeder Einzelne von ihnen seine Zeit hier in einer ganz anderen Intensität erlebt, die Abläufe und Umstände anders wahrgenommen und jeder von ihnen ist verändert aus Prora wieder zurückgekehrt.
Trotz der sehr unterschiedlichen Erzählungen ist ihnen allen eines gemein:
Sie alle schildern Prora als einen für sie auch über die Militärzeit hinaus sehr prägenden Ort. Als Charakteristika wurden hierbei sowohl die abgeschiedene Lage, die militärische Entwicklung als auch die vorherrschende strenge Disziplin bzw. der harte Drill des Standorts Prora benannt. Jedes Interview, ob distanziert oder emotional geführt, hebt durch seine ihm eigene Art und Weise die Besonderheiten des Militärstandortes Prora hervor.
Damit haben wir mit diesen Zeitzeugeninterviews sowohl für die Bildungsarbeit als auch für unsere zukünftige Dauerausstellung eine multiperspektivische Basis geschaffen. Es ist uns gelungen, die ersten Sequenzen zu einem umfassenden und repräsentativen Querschnitt einzufangen, den wir mit der nun folgenden Auswertung und weiteren Interviews fortlaufend vervollständigen werden, um die Geschichte des Militärstandorts Prora in all ihren Facetten dokumentieren und darstellen zu können.
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- 27 Feb 2013 - 10:39