Von Mara Puškarević
Verschiedene Autor/innen besprechen die unterschiedlichen Zielgruppen der politischen Bildung die als „politik-“ und „bildungsferne“ Menschen angesprochen werden können. Sie verfolgen dabei unterschiedliche Konzepte des Politikverständnisses.
Die vorliegende Ausgabe von „Aus Politik und Zeitgeschichte“ (ApuZ) gibt einen Einblick zum Thema „Politische Bildung“. Verschiedene Autor/innen beschäftigen sich mit der Frage, wie „politik-“ bzw. „bildungsferne“ Menschen heutzutage erreicht werden können. Damit einher geht die Frage, was als „politisch“ gilt. Die unterschiedlichen Zielgruppen, über die in diesem Heft geschrieben wird, verdeutlichen, wie heterogen die „politikferne“ Schicht ist.
Milieuabhängiges Politikinteresse
Mit dem Zusammenhang von Milieu und dem Interesse für Politik setzt sich Joachim Detjen auseinander. Anhand eines Milieu-Ansatzes des Heidelberger Sinus-Instituts identifiziert Detjen Zielgruppen der politischen Bildung. Dabei, stellt er zwei Milieus vor, die er als wichtige und schwierige Adressaten für die politischen Bildung benennt: die Konsum-Materialisten und die Hedonisten. Mitglieder dieser Milieus gehören der Unterschicht an. Als besonders schwierig erachtet Detjen das Erreichen der Unterschichten mit politischer Bildung aufgrund des fehlenden Pragmatismus. Dabei geht er davon aus, dass Angehörige der unteren Schichten sich lediglich dann für Bildung interessieren, wenn sie sich beruflich lohnt und einen sozialen Aufstieg verspricht. Damit verdeutlicht Detjen meines Erachtens nach besonders gut, dass eine prekäre Lebenssituation politisches Engagement, auch in Form von Bildung, den Zugang zur Politik erschwert.
Detjen macht verschiedene Vorschläge zur Problemlösung. Erstens sollte Partizipation durch niedrigschwellige Sprache ermöglicht werden, organisatorische und rhetorische Kompetenzen sollten ausgebaut werden. Weiterhin sollte beachtet werden, dass die Fähigkeit Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten bei Angehörigen der bildungsfernen Schichten gering sind. Er unterscheidet die politische Bildung auf zwei Ebenen: auf der Ebene der Psychologik und der Sachlogik. Die Ebene der Psychologik steht für das weit gefassten Konzept der politischen Bildung. Hier geht es darum niedrigschwellige Formen zu finden, um Subjekte für die politische Bildung zu begeistern. Darunter fallen audiovisuelle und digitale Medien, Veranstaltungen mit Eventcharakter oder auch Erlebnis-, Theater- und Medienpädagogik. Ziel dabei ist das Empowerment.
Dennoch macht Detjen sich für die Ebene der Sachlogik stark. Nach ihm soll Politik in das Zentrum der politischen Bildung gerückt werden. Damit ist Detjen Fürsprecher eines eingeengten Politikverständnisses. Die soll allerdings so gestaltet werden, dass es breiten Schichten der Bevölkerung zur Verfügung gestellt werden kann.
Auch wenn der Artikel den Zusammenhang zwischen Milieus aus den unteren Schichten und dem Desinteresse an Politik gut darstellt, sollte sich jedoch vor der Gefahr einer Generalisierung sowie Stigmatisierung der Zugehörigen eines Milieus in Acht genommen werden.
Politische Bildung für „politikferne“ Kinder und Jugendliche
Konkrete Vorschläge für die politische Bildung für „politikferne“ Kinder und Jugendliche werden von Benedikt Sturzenhecker gemacht. Dabei betonte er das Ziel der Jugendarbeit: Subjektwerdung (Selbstbestimmung), gesellschaftliche Mitverantwortung sowie die Erweiterung der (politischen) Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten.
Demnach sind die bildungsfernen Jugendlichen nicht nur in puncto Bildung sondern oftmals auch sozial und ökonomisch benachteiligt. Daraus resultiert eine Distanz zur offiziellen Politik. Zudem sind die Jugendlichen oftmals von geringer Wertschätzung betroffen, die mit einer Defizitunterstellung durch die Ignoranz vieler Pädagog/innen gekennzeichnet ist. Deswegen schlägt Sturzenhecker Strategien vor wie benachteiligte Jugendlichen in der (politischen) Bildung anerkannt werden können. Zuerst sollen die Jugendlichen zuerst in ihrer Interaktion untereinander beobachtet werden. Dabei sollen die Beobachtungen so wenig wie möglich interpretativ notiert werden. Danach soll überprüft werden, welches die Interessen der Jugendlichen sind und was den/die Multiplikator/in selbst interessiert. Wichtig ist es die Themenfelder offen und nicht abwertend zu formulieren. In einem letzten Schritt sollen dann die Themen, zu denen gearbeitet werden soll, festgelegt werden. Wichtig ist dabei einen guten Umgang mit den Interessen der Jugendlichen zu finden ohne dabei die eigenen Ziele zu vernachlässigen.
Ein Ort an dem Demokratie geübt werden kann sind Jugendeinrichtungen. Dort muss die Möglichkeit der Partizipation gegeben werden. Besonders wichtig ist das Vertrauen der Jugendlichen zu gewinnen, um einen gemeinsamen Arbeits- und Auseinandersetzungsprozess zu ermöglichen. Deswegen rät Sturzenhecker dazu skeptisch-diagnostische Blicke gegenüber den Jugendlichen zu vermeiden.
Politische Bildung für Migrant/innen
Eine weitere Zielgruppe der politischen Bildung für sozial Benachteiligte, ist die Gruppe der Migrant/innen. Die Autor/innen Richard Wolf und Stefanie Reiter stellen diese Gruppe als heterogen vor. Dennoch identifizieren sie zwei Grundtypen von Angeboten der politischen Bildung für Migrant/innen. Einerseits werden Kurse und Seminare der Wissensvermittlung wahrgenommen, andererseits beteiligen sich Migrant/innen an Migrantenselbstorganisationen.
Wolf und Reiter identifizieren als einen Grund des politischen Desinteresse die fehlenden rechtlichen Voraussetzungen, wie es zum Beispiel der Fall ist, wenn man nicht im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit ist. Als weiteren Grund nennen sie das fehlende Wissen, um sich an einem aktuellen einem Diskurs zu beteiligen.
Um die Zielgruppe zu erreichen, plädieren die Autor/innen deswegen für eine erweiterte empirische Datenbasis. Damit können die Bedürfnisse und Interessen von Migrant/innen identifiziert und passende Angebote entwickelt werden. Dabei erachten die Autor/innen eine lokale Bedarfsanalyse als besonders wichtig.
Politische Bildung für Grundschüler/innen
Wie oberflächlich und einfach derzeit das Verständnis über das politische Geschehen bei Grundschüler/innen ist, bedauert Dagmar Richter. Die Befürchtung, dass Kinder emotional und kognitive von politischer Bildung überfordert seien, ist heutzutage hinreichend widerlegt. Auch die mangelnde Ausbildung von Lehrkräften bezüglich politischer Bildung, führt zum einer Kontaktscheue sich mit politischer Bildung in Grundschulklassen zu beschäftigen.
Deswegen ist gerade für Grundschüler/innen wichtig Basiskonzepte wie Macht oder Öffentlichkeit vorzustellen und diese Themen miteinander zu verbinden. Diese Konzepte können dazu dienen politische Phänomene zu erklären. Diskriminierende und vorurteilhafte Fehlkonzepte sollten vermieden bzw. so früh wie möglich korrigiert werden. Um die wichtige und sinnvolle politische Bildung in der Grundschule zu stärken sollten zudem Kompetenzdimensionen wie Kompetenz der Kommunikation und Urteilskompetenzen entwickelt werden.
Ökonomische Bildung für sozial benachteiligte
Dirk Loerwald macht sich für eine ökonomische Bildung, die zu gesellschaftlicher Teilhabe führen soll stark. Sein Argument lautet, dass nur ein Mindestmaß an ökonomischer Bildung ein selbstbestimmtes Leben und eine soziale Verantwortung ermöglichen. Er verdeutlicht den, besonders in Deutschland, auffallenden Zusammenhang mit einer prekären Lebenssituation. Daraus schließt Loerwald, dass nicht nur der ausbleibende ökonomische Erfolg die mangelnde Bildung hervorruft, sondern dass auch umgekehrt, der Bildungsnachteil wirtschaftliche Missstände nach sich zieht. Loerwald nähert sich deshalb aus ökonomischer Perspektive den Fragen, was als zentral in den bildungsrelevanten Fächer erachtet wird und wie bildungsferne Menschen erreicht werden können. Darüber hinaus stellt er sein Verständnis des Begriffes „bildungsfern“ vor. Dabei verfolgte er, wie auch Joachim Detjen, den Ansatz der Milieu-Forschung und identifiziert ebenfalls die „Konsum-Materialisten“ und „Hedonisten“ als die Gruppen einer Unterschicht, die stark benachteiligt ist. Um ein Mindestmaß an individueller Selbstbestimmung und sozialer Verantwortung zu erreichen, schlägt Loerwald deswegen vor die Stoffvermittlung adressatengerecht zu gestalten und die Lücken des oberflächlichen Inselwissens zu füllen. Ein starker Bezug zu den jeweiligen Lebenssituationen erscheint hier als besonders wichtig. Die freiwillige Beteiligung an Bildungsangebote sieht er vor allem dadurch gesichert, dass die Teilnehmer/innen einen spürbaren Nutzen vernehmen.
Politische Bildung in der Ausbildung
Reinhard Zedler bemängelt den kaum ausgereiften Politikunterricht in der dualen Berufsausbildung. Gerade der starke Lebensweltbezug einer Ausbildung lädt dazu ein, Politik real zu vermitteln. Dabei verdeutlicht Zedler, dass es auch für Auszubildende von Bedeutung ist politische Zusammenhänge zu verstehen. Nach einer Kurzvorstellung verschiedener Studien zur Einstellung von Jugendlichen gegenüber Politik macht Zedler zwei Vorschläge was in der Ausbildung verbessert werden muss. So sollte die politische Bildung in die Ausbildung integriert und somit die Trennung der beruflichen und politischen Bildung aufgehoben werden. Darüber hinaus muss der Unterricht in Politik handlungsorientiert gestaltet werden. Für Zedler gilt es somit das Ziel zu erreichen, dass Auszubildende die Zusammenhänge der Politik sowie Erkenntnis-, Urteils- und Handlungsfähigkeit zu vermitteln.
Fazit
Das APuZ zur „Politischen Bildung“ beinhaltet verschiedene Artikel, die gut verdeutlichen wie vielfältig das Thema der politischen Bildung für die heterogene Gruppe der „bildungsfernen“ behandelt werden kann. Einerseits setzen sich die Autor/innen mit verschieden betroffenen Gruppen auseinander. Andererseits verfolgen die Autor/innen wechselweise ein enges oder ein weites Politikverständnis. Andere stellen beide Konzepte nebeneinander vor. Daher bietet diese Ausgabe des APuZ eine gute Möglichkeit sich seine eigene Meinung zum politischen Verständnis der politischen Bildung für sozial benachteiligte Menschen zu finden oder die verschiedenen Argumente gegeneinander zu stellen und kontrovers zu diskutieren.
Die vorliegende Ausgabe der Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“ ist leider vergriffen, kann aber als PDF bei der Bundeszentrale für politische Bildung heruntergeladen werden.
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- 23 Jan 2013 - 08:57