Der Zentrale Runde Tisch der DDR und sein Mythos
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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
Von Thoralf Barth
Der Auftakt der ersten Sitzung des Zentralen Runden Tisches der DDR am 7. Dezember 1989 in Berlin-Mitte begann mit Protesten gegen die teilnehmenden Parteien und Gruppierungen. Die DDR hatte im Herbst 1989 viele Proteste und Demonstrationen gesehen. Doch wer vermutete schon, dass ausgerechnet das Gremium, welches nun Demokratie und neue Verhältnisse versprach, lautstark kritisiert wurde? Deshalb sind diese Proteste vor dem Dietrich-Bonhoeffer-Haus, in welchem der Zentrale Runde Tisch tagen sollte, so symptomatisch für die damalige Situation. Denn zum ersten Mal galten die Proteste auch den Bürgerrechtler/innen, welche die alte Macht nun herausfordern wollten.
Der gesamten DDR-Opposition imponierte die polnische Entwicklung. In Polen hatte es die Gewerkschaft Solidarność geschafft, die Regierung an den Verhandlungstisch zu holen. Diese erstmals als Runder Tisch bezeichnete Verhandlungsbasis zwischen Regierung und Opposition ermöglichte im Frühjahr 1989 Neuwahlen und schuf neben dem Sejm eine zweite Parlamentskammer: den Senat. Am 18. Juni 1989 landete die Solidarność dort einen Erdrutschsieg mit 99 von 100 möglichen Sitzen. Am 13. September stellte sie zudem den ersten nicht-kommunistischen Regierungschef des Ostblocks. Das sollte nun auch in der DDR geschehen.
Wer bestimmte in der DDR, wer am Runden Tisch sitzen durfte, um die Zukunft des Landes mitzugestalten? Es gab in der DDR nicht nur eine Oppositionsbewegung. Die Bürgerrechtler waren vielschichtig und zerstreut, gar untereinander zerstritten. Einigkeit herrschte in der Forderung nach einem Runden Tisch, aber schon zur Arbeitsweise gingen die Meinungen weit auseinander. Neu entstandene Oppositionsgruppen erlebten die bereits langjährig agierenden Bürgerrechtler/innen als zu dominant und tonangebend. Daher ist der erste Protest gegen sie ein Schlüsselerlebnis, welches zeigte, dass sie selbst schon einer Oppositionsfront gegenüber standen.
Dem daraus resultierenden Legitimationsproblem begegneten die Bürgerrechtler/innen des Runden Tisches hilflos mit einer nachträglichen Aufnahme der protestierenden Gruppierungen. Allerdings nur bis zur zweiten Sitzung. Danach igelte man sich am Runden Tisch ein, wodurch sich der Eindruck der ungerechten Repräsentation verstärkte und das Legitimationsproblem nie ganz verschwand. Denn andere Handlungsakteure wollten ebenso auf die Entwicklung in der DDR Einfluss nehmen.
Der Sozialwissenschaftler Detlef Pollack arbeitete vier hauptsächliche Handlungsakteure in seiner Analyse zum Herbst/Winter 1989/90 heraus. Der alles auslösende Faktor waren seiner Theorie folgend die Republikflüchtigen, die keine Zukunft sahen und daher keine Veränderungen in der DDR wünschten. Erst dadurch wurden die Massendemonstranten aktiviert, welche mit ihrem ersten Slogan „Wir bleiben hier“ eine Neugestaltung der DDR forderten. Als sie die Straßen der gesamten Republik eroberten und sich über die Medien versicherten, dass sie die Mehrheit im Lande stellten, wurde daraus „Wir sind das Volk!“. Dieser Reformdruck löste Reaktionen bei den beiden anderen Handlungsakteuren aus, den sozialistischen Reformer/innen, welche die SED erneuerten, sowie den Bürgerrechtler/innen, die endlich ihre jahrelangen Reformträume umsetzen wollten.
Was haben die Bürgerrechtler/innen erreicht?
Am 7. Dezember 1989 kamen sie mit der ersten Sitzung des Zentralen Runden Tisches der DDR ihrem Traum ein wesentliches Stück näher. Auf der Tagesordnung standen Neuwahlen, die Erarbeitung einer neuen Verfassung sowie die Abschaffung der Staatssicherheit. Die Massendemonstrant/innen hatten ihre Hauptaktionszeit bereits hinter sich und so entstand das Bild, dass sie nun von den Bürgerrechtler/innen am Runden Tisch vertreten wurden. Beim Kampf um die Auflösung der Staatssicherheit war das zweifelsfrei der Fall. Das entsprach dem allgemeinen Volkswillen. Auch die Ankündigung von Neuwahlen wurde begeistert bei den Menschen im Land aufgenommen. Die Erarbeitung einer neuen Verfassung war bereits das ausschließliche Projekt der Bürgerrechtler/innen und sozialistischen Reformer/innen, welche sich fortan um den Runden Tisch scharrten.
Aus der heutigen Perspektive lassen sich viele kluge Ratschläge erteilen. Doch einen Vorwurf müssen sich die Bürgerrechtler/innen historisch gefallen lassen: Warum haben sie niemals die Machtfrage offen und direkt gestellt? Selbst bei der Verhandlung über Neuwahlen waren es die Altparteien, die schnellstmöglich Neuwahlen forderten und dafür stimmten. Die Bürgerrechtler/innen enthielten sich sogar größtenteils der Stimme, da sie eine halbjährige Frist für Neuwahlen erbaten, welche ihnen nicht zugestanden wurde. Das entlarvt am deutlichsten den langgehegten Mythos, die Bürgerrechtler/innen hätten an der Spitze der Oppositionsbewegung gestanden. Denn in diesem Fall hätten die Bürgerrechtler auf dem schnellstmöglichen Termin bestanden. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass am Ende der DDR ausgerechnet die Parteien, die 40 Jahre lang das undemokratische Blocksystem stützten, die einzige demokratische Wahl der DDR beschließen. Dieser Beschluss der Neuwahlen hätte also auch in der Volkskammer stattfinden können. Es bedurfte dafür nicht ausdrücklich des Runden Tisches.
Durch die zahlreichen Parteien, oppositionellen Gruppierungen und politischen Vereinigungen am Runden Tisch entfiel der in den anderen Ostblockstaaten übliche Gegensatz: Regierung vs. Opposition. Das machte einen Machtwechsel komplizierter. Doch der eigentliche Wille, die propagierte Forderung und der absolute Entschluss fehlten den Bürgerrechtlern. Sie wurden später am Runden Tisch von Hans Modrow, dem SED-Ministerpräsidenten der Übergangsregierung, gebeten mit einem Minister ohne Geschäftsbereich in die Regierung einzutreten. Das entzweite und zerstritt die am Runden Tisch vertretenen Bürgerrechtler völlig. Denn ein Minister ohne einen Geschäftsbereich ist Minister ohne Aufgabe und ohne Macht. Er ist lediglich ein Aushängeschild. Aus den Helden des Herbstes wurden Geister des Winters, welche die Menschen bei der ersten freien Wahl im Frühling abwählten. Nur die ostdeutsche SPD erreichte eine Regierungsbeteiligung als Juniorpartner. Das Schicksal der Wahlniederlage teilten die Bürgerrechtler/innen im gesamten Ostblock nur mit der bulgarischen Opposition.
Ein Blick auf die Samtene Revolution in der Tschechoslowakei verdeutlicht die ostdeutsche Tragödie. In Prag setzte sich die Opposition am 28. November 1989 bei den Verhandlungen am Runden Tisch durch, mit der Forderung nachträglich in das nationale Parlament aufgenommen zu werden. Somit konnte sie eine verstärkte Druckposition aufbauen. Durch den klaren Willen zur Macht gelang es ihr am 28. Dezember 1989 Alexander Dubček als Parlamentspräsidenten sowie am 29. Dezember 1989 Václav Havel als neuen Staatspräsidenten zu inthronisieren. Der Machtwechsel war nach knapp zwei Monaten der ersten Proteste abgeschlossen und die Zeit des Übergangs bis zu den regulären Neuwahlen wurde von der Opposition geleitet, welche später auch die Wahl gewann.
Ein Beitritt – keine Vereinigung
Die Umstände in der DDR waren jedoch viel komplexer. Hier galt es zusätzlich die Deutsche Frage Eine Nation, zwei Länder? zu beantworten. Diese Frage bestimmte zunehmend die politische Agenda. Wieder waren es die beiden Massenakteure, welche die Zeitabläufe dominierten. Zum einen war es so leicht wie nie zuvor die DDR zu verlassen. Zum anderen stürmten die Menschen mit ihren 100 D-Mark Begrüßungsgeld eher die bundesdeutschen Supermärkte als die Straßen und Plätze der DDR. Der Reformeifer erlahmte. Die neue elektrisierende Idee war die deutsche Wiedervereinigung. Damit mussten alle Parteien und Gruppierungen am Runden Tisch umgehen lernen.
Daher entstand am Runden Tisch der DDR etwas Einmaliges: Parteien der alten und der neuen Macht gaben sich die Hand und gingen Wahlbündnisse ein. Das hat es in keinem anderen Ostblockstaat gegeben. Aber in keinem anderen Staat stand eine Veränderung durch die Wiedervereinigung der Nation zur Debatte. Die Deutsche Frage ordnete die politischen Lager völlig neu. Da diese Thematik wieder die Massen im Land bewegte, gewannen die Straßen und Plätze nun als Wahlkampfbühnen abermals an Zulauf. Der Runde Tisch verkam zu einem Nischenobjekt im untergehenden Land. Die ostdeutsche CDU, eine Blockpartei des real existierenden Sozialismus, gewann wegen ihrer Deutschlandpolitik die Wahlen. Die Wiedervereinigung wurde deshalb ein Beitritt, der schnellstmöglich abgewickelt wurde.
Das Vermächtnis des Runden Tisches
Wenn man den Runden Tisch in der DDR historisch bewerten möchte, dann sollten die besonderen ostdeutschen Bedingungen nicht vergessen werden. Erstens ließ die deutsche Zweistaatlichkeit keine handlungsfähige Opposition erstarken, weil unliebsame Regimekritiker/innen als Gefangene mit politischem Hintergrund von der Bundesrepublik „aufgekauft“ worden sind. Zweitens verschwand der Reformwille zur Neugestaltung der DDR, als die Wiedervereinigung Deutschlands der Mehrheitswunsch wurde.
Das historische Vermächtnis des Runden Tisches ist die komplette Auflösung der Staatssicherheit sowie die Sicherung des Aktenbestandes. Es ist weltgeschichtlich einmalig, dass Bürger/innen eines Landes den eigenen Geheimdienst auflösten. Somit war der Runde Tisch eine notwendige und erfolgreiche Institution am Ende der DDR, trotz seiner Probleme und Fehler der beteiligten Personen. Durch diesen Verdienst der Bürgerrechtler/innen avancierte der Zentrale Runde Tisch der DDR zum Meilenstein deutscher Geschichte. Nur wenige Teilnehmer, wie Matthias Platzeck oder Gregor Gysi, sind heute noch politisch aktiv. Der größte Teil von ihnen ist ins bürgerliche Berufsleben zurückgekehrt.
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- 19 Sep 2012 - 10:47