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Emotionalität und Kontroversität in der historisch-politischen Bildung

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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

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Elena Demke ist Referentin des Berliner Landesbeauftragten für Stasi-Unterlagen. Dr. Christoph Hamann ist Referent für Gesellschaftswissenschaften am Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg.
Von Elena Demke und Christoph Hamann

Als eine Bedingung der Weltwahrnehmung und -aneignung gehört die Emotion grundsätzlich schon zur eigenen Erfahrung der historischen Akteure. Aber auch bei Produzentinnen und Produzenten von Geschichten über die Vergangenheit ist Emotion im Spiel. Und auch die Rezipientinnen wie Rezipienten bringen Emotion in die Auseinandersetzung mit diesen Geschichten ein.

Vor allem aber begleiten Emotionen – gerade auch durch ihre Verknüpfung mit motivationalen Lagen - Lern- und Lernprozesse in vielfältiger Form und steuern diese sogar. Man denke nur an die Wirkungen von gespannter Neugier oder gähnender Langeweile, an (Prüfungs-)Angst oder an Hoffnung auf Erkenntnis, Erfolg und Anerkennung, an Freude und Stolz über den Erfolg oder an die Scham über vermeintliches Versagen. Emotionen sind also lernwirksam. Der Besuch von Gedenkstätten als Orten der Verfolgung, von extremer Gewalt und  außerordentlichem Leiden ist dabei mit besonders komplexen emotionalen Situationen verbunden. Zu diesen können Angst gehören, Neugier, Furcht, Voyeurismus, Aggression oder Mitleid. Die domänenspezifische Emotion für die forschende und lernende Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist vermutlich die Empathie. Sie spielt für das historische Lernen eine besondere Rolle. Denn zum hermeneutischen Anspruch des historischen Verstehens gehört die Perspektivübernahme, didaktisch gesprochen: das „Sich Hineinversetzen“. Dies kann, insbesondere im Kontext einer Diktaturgeschichte, Mitleiden meinen, muss es aber nicht. Es kann auch historische Kontextualisierung in einem kognitiven Sinne heißen.

Im Zusammenhang mit dem historischen Lernen verführt der Fokus auf die Förderung von Empathie jedoch auch leicht zu erkenntnistheoretischen Fehlschlüssen. Denn die Vergangenheit ist unwiederbringlich verloren, eine Annäherung erfolgt a) notwendig aus dem Horizont der Gegenwart, ist b) ebenso unausweichlich subjektbezogen und hat damit außerdem c) einen konstruierenden Charakter. Man kann sich also nicht in die Vergangenheit - gar emotional - ‚hineinversetzen’, sondern allenfalls im Heute mehr oder wenig plausible Deutungen über das Früher entwickeln. Dies gilt vor allem auch für die emotional besonders aufwühlende Konfrontation mit den Überlieferungen von Gewalt und menschlichen Extremerfahrungen.

Aber dennoch: Der Anspruch rationaler Auseinandersetzung mit der Vergangenheit wird besonders in populären Darstellungen und mit volkspädagogischem Ansinnen gerne mit der Figur der ‚lebendigen Geschichte’, dem emotionalen Sich-Hinein-Versetzen diskreditiert. Dies ist zwar normativ nachvollziehbar, didaktisch letztlich aber im Sinne eines demokratischen Unterrichts kontraproduktiv: Denn die jungen Menschen sollen ermuntert werden, den Mut aufzubringen ihren eigenen Verstand zu gebrauchen sowie eine eigene hinsichtlich der Quellen reflektierte Interpretation zu entwerfen. Methodische Settings der emotionalen Überzeugung geraten, insbesondere bei der deutschen Diktaturgeschichte, schnell zur Überwältigung und wiedersprechen dem Auftrag auf Entwicklung von Mündigkeit und einer Demokratie-Erziehung. In letzter Zeit wird dagegen das Überwältigungsverbot zuweilen als eine falsch verstandene Gefühls-Abstinenz kritisiert, die eine nachhaltige Aneignung einer ‚richtigen’ Deutung von Vergangenheit verhindere. Kontroversen über die angemessene Deutung der Vergangenheit werden dabei nicht selten ebenso ausgeblendet wie auch die Kontroverse über die angemessene Methode der Geschichtsaneignung.

Die Perspektivität historischer Deutungen setzt jedoch voraus, die eigene Emotion von vermuteten oder überlieferten emotionalen Lagen historischer Akteure zu unterscheiden, und letztere als Aspekt der Deutung von Vergangenheit zu thematisieren und zum Teil der rationalen Verhandlung über konkurrierende Deutungen zu machen. Kontroversität ist letztlich der Antrieb historischer Wissens- und Sinnproduktion. Und kognitive Dissonanzen, die bestehen bleiben dürfen und explizit gemacht werden, sind wichtige Motoren des Lernens. In der Didaktik der Unterrichts- wie pädagogischen Gedenkstättenpraxis eignet sich deshalb gerade Kontroversität als Aufforderung und Motivation zur Bildung rationaler Urteile. Identitätsrelevant werden diese allein dann, wenn sie individuell vollzogen werden.

Das Forum für zeitgeschichtliche Bildung am 8. Juni 2012 widmete sich in Vorträgen, in Stellungnahmen von Expertinnen und Experten, in den Workshops und Darstellungen aus der Schule wie der Gedenkstättenpraxis diesem Spannungsfeld. Die Leitfragen waren also: Wie kann Emotionalität als wichtiger Aspekt des historischen Lernens mit Mittlerinnen und Mittlern historisch-politischer Bildung so reflektiert und berücksichtigt werden, dass eine Balance entsteht zwischen der bewussten Bildung von Emotionen wie auch der notwendigen Distanzierung von ihnen? Wann wird die Grenze zur emotionalen Überwältigung überschritten? Wie viel Emotionalität ist für nachhaltiges historisches Lernen und in Gedenkstätten notwendig? Ab wann polarisiert Kontroversität und hemmt rationale Differenzierung? Oder ist sie per se Antrieb für historische Wissensgenerierung und Sinnbildung? Und schließlich: Inwieweit sind Erfahrungen, die aus der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus stammen, auch für die Auseinandersetzung mit der Geschichte der SED-Diktatur gültig?

 

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