„Ihre Grabstätten befinden sich nicht in hiesigen Bezirken“– Quellen zur Deportation der Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus. Materialien für den Unterricht und die außerschulische Bildung.
Von Tanja Kleeh
Mit „Ihre Grabstätten befinden sich nicht in hiesigen Bezirken“ erscheint im Herbst 2018 im Auftrag des International Tracing Service (ITS) und der Gedenk – und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz (GHWK) eine Publikation, die auf einer wissenschaftlichen Publikation basiert.[1] Sie bildet den Auftakt für eine neue pädagogische Reihe des ITS, „mit der Dokumente zu ausgewählten Themen für die historische Bildung zugänglich gemacht werden sollen“. Entsprechend des Anspruchs der Herausgeber_innen wird zu Beginn ein kurzer zeitlicher Überblick, beginnend in der unmittelbaren Nachkriegszeit, über den Umgang mit den Dokumenten zu Deportationen von Jüdinnen und Juden gegeben. Die Herausgeber_innen sehen in den Deportationen ein Strukturmerkmal des Holocausts. Das Bereitstellen der abgedruckten Quellen soll dessen Besonderheit aufzeigen und Lehrer_innen sowie außerschulischen Lehrkräften dabei helfen, die Deportationen „in einer thematischen Breite als auch in einer inhaltlichen Tiefe“ aufzubereiten. Hier zeigt sich die Besonderheit der Publikation, handelt es sich bei einem Großteil der Quellen doch um historische Dokumente, von denen etliche an dieser Stelle erstmalig veröffentlicht werden. So wird nicht nur der Zugang zu den Dokumenten erleichtert, sondern auch die Arbeit mit ihnen gefördert. Nützlich hierfür ist die komplette Darstellung der Dokumente, in der Regel als ganze Seite, sowie als reine Abbildung in ihrem Ursprungszustand. Ergänzend hinzu gefügte Fotos, Berichte von Überlebende und Zeitungsartikel erleichtern die Einordnung.
Positiv anzumerken ist an dieser Stelle auch die kurze Einführung in die Quellenkritik. Unter der Fragestellung „Wie lese ich ein Dokument?“ wird in die grundlegenden Techniken dieser Disziplin eingeführt und auf die Besonderheiten historischer Materialien eingegangen, etwa das Problem der fehlenden Objektivität. Verdeutlicht werden die essentiellen Bestandteile der Quellenkritik anhand einer beispielhaft ausgewählten Quelle, die mit entsprechenden Anmerkungen versehen wurde.
Eine weitere Erleichterung für Lehrkräfte und Lernende stellt die Vorsortierung der Dokumente dar. Verteilt auf neun Kapitel werden sie nach thematischen Schwerpunkten geordnet. So sind beispielsweise im ersten Kapitel Quellen zur sogenannten „Polenaktion“ 1938 versammelt. Eingeleitet wird das Kapitel von einem kurzen Einführungstext, der die Abschiebung polnischer Jüdinnen und Juden näher erläutert. Daran schließen Arbeitsfragen an, mit deren Hilfe die Quellen erarbeitet werden können. Diese sind bereits den jeweiligen Quellen zugewiesen. Dadurch wird die Arbeit mit diesen erleichtert und gewinnbringend gestaltet. Die als „Impulse“ bezeichneten weiterführenden Ideen zur Bearbeitung der Thematik auch jenseits der Quellen zeigt den Anspruch der Publikation, zur Reflexion und Auseinandersetzung mit der Geschichte der Deportationen anzuregen. An dieser Stelle überzeugen zudem die gemischte Auswahl der Quellen – Fotografien, amtliche Quellen, persönliches Dokument (handschriftlicher Brief) – sowie deren Bearbeitung in Form einer lesbaren Abschrift. Der Zugang zu den Quellen erscheint so auch für bisher mit dem Thema nicht sonderlich vertraute Personen durchaus machbar.
Nach einem ähnlichen Schema wie das erste Kapitel gestalten sich auch die weiteren Abschnitte der Publikation, d.h. es gibt jeweils eine kontextualisierende Einleitung, Arbeitsfragen und weiterführende Impulse sowie eine passende Auswahl an Quellen. Etwas abzugrenzen davon sind die Kapitel Acht und Neun, da sie zeitlich nach 1945 ansetzen. Hinzu kommt, dass im neunten Kapitel eine neue Quellengattung hinzugezogen wird. Es wird sich mit der Frage nach der Entstehung und Bedeutung von Erinnerungsorten an Schauplätzen der Deportationen beschäftigt. Dafür werden beispielhaft Orte in ihrem heutigen Zustand als Erinnerungsort als auch ihre Geschichte vorgestellt. Entsprechend des Konzeptes der Publikation bleiben auch hier die Arbeitsfragen sowie der Arbeitsimpuls bestehen. Damit knüpfen die Herausgeber_innen an die Auffassung an, nicht nur Dokumente als Quelle zu sehen. Gleichzeitig vermitteln sie ein modernes Bild von Geschichtswissenschaft an, die eben nicht nur in Archiven stattfindet.
In der Einleitung gibt es eine allgemeine historische Kontextualisierung, die von den Herausgeber_innen durchgeführt wird. Die wichtigsten Daten und Zahlen zur systematischen Verfolgung der Jüdinnen und Juden werden kompakt zusammengefasst und ergeben mit entsprechenden Verweisen auf Sekundärliteratur versehen einen kompakten Einstieg in die Thematik. Ebenfalls hilfreich für den Einstieg und während der Arbeit mit den Quellen ist die enthaltene Europakarte auf dem Stand des Jahres 1942, auf welcher die Zielorte der Deportationen verzeichnet sind. Somit können Deportationen geographisch nachvollzogen werden.
Fazit
Die Publikation „Ihre Grabstätten befinden sich nicht in hiesigen Bezirken“ eignet sich sowohl für den schulischen Unterricht als auch für außerschulische Seminare, um mittels Quellen einen Zugang zur Thematik der Deportationen der Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus zu schaffen. Durch die zahlreichen Ergänzungen und Anmerkungen für Lehrkräfte und Schüler_innen kann auch bei geringem Vorwissen eine differenzierte Auseinandersetzung mit dieser Geschichte stattfinden. Gerade das eigenständige Erarbeiten von Inhalten wird durch die Fragen und die bereitgestellten Quellen explizit gefördert.
Nach Auskunft der Herausgeber wird die Publikation ab Herbst 2018 sowohl über den Buchhandel zu beziehen sein als auch auf der Website des ITS zum kostenlosen Download angeboten werden.
[1] Akim Jah/Gerd Kühling (Hrsg.): Die Deportation der Juden aus Deutschland und ihre verdrängte Geschichte nach 1945, Göttingen 2016 (Fundstücke, Bd. 4).