Das Verbot der Sklaverei gilt als zwingender Rechtsgrundsatz im Völkerrecht für alle Staaten der Erde. Sklaverei – das Eigentumsrecht eines Menschen an einem anderen Menschen – ist zwar rechtlich weltweit abgeschafft, dennoch sind Verhältnisse faktischer Sklaverei aktuell für viele Menschen auf der Welt Realität.
In Deutschland und Europa leben und arbeiten Menschen unter Bedingungen extremer Abhängigkeit und Ausbeutung, die zum Teil in sklavereiähnliche Verhältnisse münden. Betroffene von Menschenhandel werden in der Prostitution, aber auch in anderen Wirtschaftsbranchen wie z. B. der Gastronomie, der Hausarbeit und häuslichen Pflege, des Baugewerbes oder der Landwirtschaft wirtschaftlich ausgebeutet.
Ursächlich hierfür sind verschiedene Faktoren wie z. B. ein wirtschaftliches Ungleichgewicht zwischen Ländern weltweit, eine Nachfrage nach billiger Arbeitskraft und billigen Produkten in Europa, geschlechtsspezifische Gewalt, Diskriminierung von Migranten sowie restriktive Migrationspolitiken.
Viele, aber nicht alle der Betroffenen sind Migrantinnen und Migranten, häufig mit unsicherem oder ohne Aufenthaltsstatus. Frauen stellen in den industrialisierten Staaten wohl den überwiegenden Teil, aber auch Männer und Kinder sind Opfer faktischer Sklaverei.
Die Täter und Täterinnen stellen Migrantinnen und Migranten in den Zielländern Westeuropas Einkommensmöglichkeiten in Aussicht, die sich nicht realisieren. Bereits mit der Migration haben sich die Betroffenen häufig durch Reise-, Verpflegungskosten oder durch die Kosten zur Beschaffung von Visa und Pässen verschuldet. In Deutschland müssen sie häufig überhöhte Entgelte für Unterkunft und Unterhalt zahlen. Die Täter und Täterinnen konstruieren damit zum Teil über Jahre eine finanzielle Abhängigkeit der Arbeitssuchenden. Diese erhalten nur einen Bruchteil des verdienten Geldes und können nicht frei über Arbeitszeiten, Arbeitsorte und Inhalte oder – im Bereich der Prostitution - über die Auswahl von Kunden und Sexualpraktiken bestimmen. Die Betroffenen halten aufgrund von vorgetäuschter Aussicht auf bessere Arbeitsbedingungen und Verdienstmöglichkeiten in der Situation aus. Setzen sie sich zur Wehr werden sie mit psychischer oder physischer Gewalt ihnen oder ihren Familiengehörigen gegenüber bedroht. Insbesondere fehlende Sprachkenntnisse sowie mangelndes Wissen bzw. gezielte Fehlinformationen über ihre Rechte erschweren den Zugang zum Hilfesystem und Gerichten in den Zielländern.
Die Betroffenen von Menschenhandel befinden sich in Europa in einem Spannungsfeld zwischen Verbrechensbekämpfung, Migrationspolitik und Menschenrechten. Die öffentliche und politische Aufmerksamkeit für das Problem ist im letzten Jahrzehnt erheblich gewachsen. Mittlerweile ist auch weithin anerkannt, dass Menschenhandel nicht nur eine schwere Form der Kriminalität ist, sondern auch eine Menschenrechtsverletzung.
Dennoch ist die Entwicklung von Opferrechten in Deutschland nicht ausreichend vorangekommen. Opferrechte orientieren sich in ihrer Ausgestaltung überwiegend an dem Status als Zeuginnen und Zeugen in Strafverfahren gegen die Täter und Täterinnen. Es fehlt in vielen Bereichen an der Wahrnehmung der Betroffenen als Rechtssubjekte, an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. In diesem Zusammenhang zeigt sich insbesondere eine Lücke bei der Durchsetzung ihrer Rechte auf Lohn für geleistete Arbeit und Schadensersatz für erlittene Verletzungen. Nur sehr wenige Betroffene von Menschenhandel können derzeit diese Ansprüche realisieren. Dabei bleiben die Summen in der Höhe häufig weit hinter dem zurück, was den Betroffenen zusteht.
Vor diesem Hintergrund hat das Deutsche Institut für Menschenrechte in Kooperation mit der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ kürzlich das Projekt „Zwangsarbeit heute – Betroffene von Menschenhandel stärken“ ins Leben gerufen. Das Projekt will die Durchsetzung von Lohn- und Entschädigungsansprüche der Betroffenen von Menschenhandel und zeitgenössischer Zwangsarbeit in Deutschland unterstützen.
Das Projekt umfasst Angebote auf individueller wie auf struktureller Ebene. In ausgewählten Fällen leistet es finanzielle Unterstützung bei der Durchsetzung von Entschädigungs- und Lohnansprüchen Betroffener in gerichtlichen Verfahren sowie außergerichtlichen Verhandlungen mit Arbeitgebern beziehungsweise Tätern. Flankierende Maßnahmen wie Tagungen und Fortbildungen dienen der Sensibilisierung und Qualifizierung der Fachöffentlichkeit.
Die Förderung des Projektes durch die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZ) erfolgt im Rahmen des sich fortentwickelnden menschenrechtlichen Handlungsfeldes, in dem sich die Stiftung aus der historischen Verantwortung heraus aktuellen Menschenrechtsfragen zuwendet. In Deutschland sind die Menschenrechte von Opfern heutiger Formen von Sklaverei bisher nicht gewährleistet. Das Projekt will einen Beitrag zur Durchsetzung dieser Rechte leisten.