Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
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In der Rahmenhandlung dieses Romans freundet sich der 16jährige Daniel mit dem großväterlichen Josef Gerlach an, der ihm die Geschichte der “Edelweißpiraten” mit seinem Tagebuch nahe bringt. Die Edelweißpiraten waren Gruppen von Jugendlichen, die sich der HJ entzogen, die Haare länger trugen, andere Kleidung bevorzugten und durch die Verfolgung durch die Nazis auch in den aktiven Widerstand gingen, was viele von ihnen mit dem Leben bezahlen mussten.
Die autobiografischen Zeugnisse der jugendlichen Widerstandskämpfer gegen Hitler und den Faschismus, die „Edelweißpiraten“ wie Fritz Theilen und Jean Jülich, die vor allem in den 40er Jahren im Ruhrgebiet aktiv waren, sowie verschiedene historische Recherchen und Studien dienen dem Historiker und Jugendbuchautor Dirk Reinhardt als Basis für seinen dokumentarisch-fiktionalen Roman.
Reinhardt widmet seinen Roman Fritz Theilen († 2011) und Jean Jülich († 2012) – beides Edelweißpiraten aus Köln, auf deren Biografien er sich u.a. stützt.
Er verwebt darin zwei Erzählstränge, die durch die Konstruktion einer verbindenden Vergangenheit (Daniels verstorbener Großvater ist das Bindeglied) und der Auseinandersetzung des Jungen mit der Geschichte anhand von Gerlachs Tagebuchnotizen zusammengeführt werden. So kann der Leser/die Leserin mit den Augen Daniels – eines Jugendlichen heute – die Geschichte vom Widerstand und auch dem Leiden und Sterben dieser mutigen und solidarischen Jugendlichen erfahren, die zunächst nur durch ihre alternative Lebensweise, ihr unmilitärisches Aussehen und ihre Prügeleien mit der HJ in eine Opposition gedrängt wurden. Zunehmend wurden sie aber auch politisch und aktiv im Widerstand, unterstützten Flüchtlinge, verbanden sich mit anderen Gruppen und starteten – lebensgefährliche – Flugblattaktionen. In Köln-Ehrenfeld wurden am 10. November 1944 sechs dieser Jugendlichen öffentlich hingerichtet, deren Jüngster gerade mal 16 Jahre alt war – Bartholomäus Schink. 2004 kam der Film „Edelweißpiraten“ von Nico von Glasow über die Edelweißpiraten in Köln in die Kinos, der ein künstlerisch bearbeitetes, aber auch wahrhaftiges Bild zeichnet.
Wie aus dem informativen Nachwort des Buches zu erfahren ist, gelang es erst in den 2000er Jahren hartnäckigen Initiativen von Verwandten und Freunden, dass die Edelweißpiraten als politische Widerstandskämpfer gewürdigt und nicht mehr als Kriminelle verunglimpft wurden. (S. 253f)
Abschließend möchte ich trotz meiner vorwiegend positiven Würdigung doch noch anmerken, dass mir beim Lesen des nicht immer sehr temporeichen Romans, doch öfter durch den Kopf ging, ob und wie Jugendliche ihn lesen. Ich befürchte, dass das Konstrukt (Junge liest Tagesbücher eines fremden alten Mannes) nicht unbedingt als glaubwürdig beim Leser (vor allem den männlichen) ankommt und sie sich mit den Innensichten und Nachdenklichkeiten von Daniel auch nicht immer anfreunden können. Vielleicht würde ein biografischer oder dokumentarischer Text zum Thema interessierten Jugendlichen mehr Leseanreize geben als diese Zwischenform. – Aber das sind Spekulationen und ich möchte die schulische Lektüre (z.B. im fächerübergreifenden Unterricht Geschichte und Deutsch oder als ein Titel von mehreren in einer Bücherkiste) unbedingt anraten.
Jean Jülich, Kohldampf, Knast und Kamelle. Ein Edelweißpirat erzählt sein Leben, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003.
Fritz Theilen, Edelweißpiraten, Emons, Frankfurt/M. 2003.
Alexander Goeb, Er war sechzehn, als man ihn hängte. Das kurze Leben des Widerstandskämpfers Bartholomäus Schink, , Rowohlt, Reinbek, 3.Aufl. 2012.
Dirk Hegmanns, Rheinpiraten, Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1996.
Gertrud Koch, Edelweiß. Meine Jugend als Widerstandskämpferin, Reinbek 2006.
Kurt Piehl, Latscher, Pimpfe und Gestapo. Die Geschichte eines Edelweißpiraten, Brandes & Apsel, Frankfurt/M. 4.Aufl. 2007.
Erstveröffentlichung in der Datenbank der Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien der GEW (AJuM).