"Kinder als Besucherinnen und Besucher in der Gedenkstätte Hadamar, Ein Informations- und Materialheft von Regine Gabriel." Unter diesem Titel ist jetzt ein Heft erschienen, in dem neben einigen einleitenden Gedanken zur pädagogischen Arbeit mit jungen Kindern zum Thema Nationalsozialismus/Holocaust Projekte vorgestellt werden, die in der Gedenkstätte Hadamar durchgeführt wurden. Darüber hinaus werden sowohl methodische Anregungen zur Umsetzung des Themas als auch Materialien aus dem Bestand der in Hadamar vorliegenden Krankenakten angeboten. Um einen Eindruck der durchgeführten Projekte zu erhalten wird das im März 2002 durchgeführte vorgestellt.
Unter diesem Motto stand ein Projekt für Kinder vom 22.03. bis 26.03.2002, an dem 15 Kinder (8 Mädchen, 7 Jungen) im Alter von 9 bis 11 und 13 Jahren teilnahmen.
Zum einen sollten die Kinder die Gedenkstätte Hadamar als authentischen Ort der NS-"Euthanasie"-Verbrechen kennenlernen, zum anderen sollten sie Lebensgeschichten von Kindern die in Hadamar ermordet wurden, vertonen.
Das Vertrautwerden mit dem Ort und dem dort stattgefundenen Ereignissen fand in ähnlicher Weise statt, wie dies anhand der Projekttage mit der Grundschule Mammolshain bereits beschrieben wurde (s. hierzu Literaturhinweis).
An dieser Stelle will ich den "Forschungs"-Teil des Projektes herausheben. In der Vorbereitung stellten die freie Mitarbeiterin der Gedenkstätte Sabine Müller und ich fest, dass wir den Kinder den Zugang zu den Biografien der in Hadamar ermordeten Kindern erleichtern wollten, in dem wir ihnen einen "Forschungsauftrag" gaben. Dieser sah vor, das Wenige, das wir über die ermordeten Kinder wissen, mit eigenen Worten zu formulieren und teilweise mit zusätzlichen Informationen wie Briefwechsel mit den Eltern oder der Anstaltsleitung zu ergänzen. Dieser so entstandene eigene Text sollte dann auf Tonkassette aufgenommen werden. Die Kinder hatten zudem die Möglichkeit, nach jeder Lebensgeschichte ein selbstausgewähltes Musikstück einzufügen oder sogar eigene Klangimprovisationen herzustellen. Durch die Unterstützung des Tontechnikers Clemens Riesser sollte die Kassettenbearbeitung professionell durchgeführt werden.
Ein zweiter "Forschungsauftrag" lag in der Neugestaltung zweier Schautafeln in der Dauerausstellung. Hier konnten die Kinder mit einigen Kinderfotos der Opfer, selbstverfassten Briefen und anderen gestalterischen Möglichkeiten die Schautafeln neu erstellen.
Die Altersstruktur der Gruppe war nicht unproblematisch. Das Gefälle der neun- bis elfjährigen, bzw. dreizehnjährigen ist in der Verhaltens- wie in der Interessenlage sehr groß. Hinzu kommt, dass der Unterschied zwischen Mädchen und Jungen und deren Verhaltensweisen innerhalb ihrer jeweiligen Peergroup für die Teamleiterinnen äußerst anstrengend war. Dennoch zeigen die Arbeitsergebnisse, dass es in diesem Projekt gelungen ist, alle Kinder in den Lernprozess einzubeziehen.
Dienlich war hierfür insbesondere die Kombination aus Lernen und Freizeitgestaltung. Die Kinder konnten dadurch immer wieder den durch die Inhalte bedingten starken emotionalen Anforderungen spielerisch entgegen wirken. Zudem war es dadurch möglich, konzentriert in neue Arbeitsrunden zu gehen, die immer ohne Widerspruch stattfanden. Ohne die engagierte und fachkundige Mitarbeit von Sabine Müller wäre dieser Teil sicher nicht so hervorragend gelungen. Die Tatsache, dass sie seit geraumer Zeit als freie Mitarbeiterin in der Gedenkstätte Hadamar arbeitet und aus der offenen Kinder- und Jugendarbeit kommt, hat es ermöglicht, ein breites Spektrum an Spielen und Bastelideen anzubieten. Ein solches Projekt ist zudem überhaupt nicht leistbar für eine Person. Das unkomplizierte miteinander zwischen Sabine Müller und mir hat auch zu einem entspannten Klima in der Gruppe beigetragen.
Besonders erwähnt werden muss die Methode des "Schwarzen Theaters". Der Ursprung liegt im "Schwarzen Theater Prag". Die Bühne und die Schauspieler sind schwarz und damit so gut wie nicht sichtbar. Nur einige Elemente werden weiß hervorgehoben, wie Hände, Füße oder Utensilien. Die Kinder konnten sich an zwei Abenden damit vertraut machen. Mit Gudrun Dedig stand uns für diese Methode eine Frau zur Verfügung, die seit Jahren innerhalb ihrer Hort- Einrichtrichtung damit arbeitet. Sie stellte am ersten Abend die Methode vor und bot den Kinder die Möglichkeit viel auszuprobieren. Am zweiten Abend sollte die Gruppe Inhalte gestalten. Wir hatten hierfür in der Vorbereitung einige der Kinderrechte von Janusz Korczak ausgewählt, die in vier Gruppen gestaltet werden konnten:
Zuvor war über diese Rechte ausführlich gesprochen worden und die Überleitung zwischen den Kinderschicksalen im Nationalsozialismus und der Situation von Kindern heute - also auch ihrer eigenen - hergestellt worden. Die Methode "Schwarzes Theater" ist gerade für jüngere Kinder gut geeignet, da in kurzer Zeit etwas Vorführbares entsteht. Und somit die Motivation sehr groß ist mit zu spielen.
Die Tonbandaufnahmen, die im Mittelpunkt dieser Tage standen, war für viele Kinder eine echte Herausforderung. In Clemens Riesser, einem Tontechniker, hatten sie einen geduldigen und professionellen Berater, dem es gelang die Kinder auch zu wiederholten Proben zu motivieren bis die endgültige Aufnahme gemacht war.
Bei der Neugestaltung von zwei Schautafeln in der Dauerausstellung standen wieder die Lebensgeschichten der Kinder im Mittelpunkt, die bereits bei den Tonbandaufnahmen von Bedeutung waren. Es war ein besonderes Erlebnis für die Kinder, an einem kleinen Teilbereich der Ausstellung mitwirken zu können.
Die Präsentation fast aller Arbeitschritte am letzten Tag hat den Kindern zum Abschluss noch einmal das gesamte Projekt vor Augen geführt und dem Publikum, den Eltern, einen Einblick in unsere Arbeit gegeben. Am Ende fragten die Kinder mehrfach, ob es im nächsten Jahr wieder ein solches Projekt gäbe.
Mit diesem Lern- und Freizeitangebot für Kinder ab 9 Jahre hat die Gedenkstätte Hadamar Neuland betreten. Im Rückblick kann gesagt werden: Es war eine gelungene Veranstaltung, die erneut gezeigt hat, dass es möglich ist mit jungen Kindern zum Thema NS/Holocaust auch in der Gedenkstätte zu arbeiten, sogar dann, wenn keine schulische Vorbereitung den Weg geebnet hat. Allerdings setzt die Arbeit mit jungen Kindern voraus, dass MitarbeiterInnen in den Gedenkstätten Erfahrungen mit dieser Altersgruppe haben und sich Unterstützung bei Fachleuten aus der Kinder- und Jugendarbeit holen.
Meiner Einschätzung nach werden wir in den nächsten Jahren gar nicht anders können, als diese neue Zielgruppe in unserer pädagogische Arbeit mit einzubeziehen, wenn wir weiterhin Jugendliche und junge Erwachsenen ansprechen wollen und bewirken wollen, dass sie sich für dieses Thema interessieren. Die Diskussionen zeigen inzwischen, dass sich nicht mehr die Frage stellt ob das Thema Holocaust und NS-Verbrechen in Grundschulen unterrichtet werden sollte, sondern wie. In diesem Sinne bin ich überzeugt, dass auch andere bundesdeutsche NS-Gedenkstätten mit der Zeit Projekte für junge Kinder entwickeln werden.
Regine Gabriel: Kinder als Besucherinnen und Besucher in der Gedenkstätte Hadamar, Ein Informations- und Materialheft. Historische Schriftenreihe des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen, Veröffentlichungen der Gedenkstätte Hadamar, Heft 1, 2002, € 7,50
Erhältlich in:
Gedenkstätte Hadamar