Am 23. November 1989 lud die Lila Offensive, eine der neuen Fraueninitiativen in Ost-Berlin, „interessierte und engagierte Frauen“ zu einem „Arbeitstreffen“ in der Gethsemanekirche im Stadtteil Prenzlauer Berg ein (in: RHG/GrauZone). Dieser historische Moment ist fotografisch festgehalten worden und auf der Titeltafel der Ausstellung „Gemeinsam sind wir unerträglich. Die unabhängige Frauenbewegung in der DDR“ zu sehen.
Titelbild der Ausstellung: Frauenforum der Lila Offensive in der Winterkirche der Gethsemanegemeinde Berlin-Prenzlauer Berg, 23. November 1989, Quelle: RHG_Fo_GZ_1859/ Robert-Havemann-Gesellschaft/ Kerstin Baarmann
Worum ging es den versammelten Frauen im Herbst 1989? Es ging um Mitwirkung am Prozess der demokratischen Erneuerung, darum, die Perspektive von Frauen einzubringen. In einem Flugblatt der Lila Offensive heißt es: „Frauen, wißt ihr warum wir heute hier zusammengekommen sind? Es geht um den Umbruch der gesamten Gesellschaft!" (in: RHG/GrauZone) Dieser Aufruf markiert den Beginn eines neuen Kapitels einer Bewegung, die zehn Jahre zuvor ihren Anfang nahm und im Verlauf der 1980er Jahre heranwuchs. Nun, mit dem Zusammenbruch der DDR, gerann diese Bewegung zu einer Struktur und erhielt mit der Gründung des Unabhängigen Frauenverbands wenige Tage später an der Berliner Volksbühne einen Namen. Die Volksbühne war bis auf den letzten Platz gefüllt, es kamen über 1.000 Aktivistinnen und Interessierte aus etwa 60 Frauengruppen republikweit (vgl. Feministische Bibliothek Monaliesa 2021).
Die Wanderausstellung „Gemeinsam sind wir unerträglich“ wurde ins Leben gerufen, um die frauenpolitische Leerstelle in der bis heute geltenden Erzählung über die DDR-Bürger*innenbewegung und die Friedliche Revolution zu füllen. Zwar sind manche Frauen als Protagonistinnen der Bürger*innenrechtsgruppen öffentlich bekannt. Sie standen in der Zeit des Mauerfalls und des politischen Umbruchs in der vordersten Reihe und werden in dieser Rolle auch erinnert. Jedoch sind jene Frauengruppen, die sich mit der Situation von Frauen und Lesben in der DDR und mit der Frage der Geschlechtergerechtigkeit beschäftigten, aber auch solche, die friedens- oder umweltpolitische Ziele verfolgten, bisher zu wenig bekannt und werden in öffentlichen Diskursen kaum thematisiert. Sowohl das Bild der 89er-Revolution als auch das der „68er“-Bewegung wird in Ost und West immer noch zu oft ohne die feministische Komponente gezeichnet: Ob es um die Friedens- und Umweltbewegung, die kritische Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, die Absage an autoritäre Erziehungsformen, den Kampf um Freiheits- und Bürgerrechte oder ganz grundsätzlich die DDR-Bürgerrechtsbewegung geht, frauenbewegte Aktivitäten und Perspektiven fristen in Feuilleton-Debatten oder Ausstellungen eine marginalisierte Existenz. Meist werden sie nur in (queer-)feministisch-akademischen und künstlerischen Kreisen verhandelt und die bisherige Erforschung und Aufarbeitung der Bewegung entspricht nicht ihrer Bedeutung, ihren beeindruckenden Ideen und ihren Errungenschaften (vgl. Bock 2020).
Ein weiterer Befund ist das seit dem 30. Jahrestag des Mauerfalls 2019 wiederholt bemühte Bild der emanzipierten Frau mit DDR-Herkunft oder entsprechender Familienprägung, für das einzelne erfolgreiche Frauen aus Politik, Medien und Wirtschaft Patin stehen: In ihrem Lebensentwurf ist eine erfolgreiche Berufstätigkeit in Vollzeit selbstverständlich. Häufig gelingt es ihnen, Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung zu vereinbaren (vgl. etwa Brandes/Decker 2019). In Publikationen, Zeitungsartikeln und auf öffentlichen Podien wurde konstatiert: Frauen konnten und sollten Vollzeit arbeiten, denn die Betreuung ihrer Kinder war staatlich gesichert, die Unterbrechung einer ungewollten Schwangerschaft war ohne Kriminalisierung und paternalistischen Beratungszwang möglich. Geschlechterforscherinnen wie Hildegard M. Nickel, Irene Dölling und andere haben jedoch schon in den 1990er Jahren differenziertere Beurteilungen herausgearbeitet (Nickel 1995: 51ff.; Dölling 1991: 153ff.). Ihre Analysen ziehen die genannten DDR-Errungenschaften nicht in Zweifel, aber enthalten auch kritische Bewertungen zum Verhältnis der Geschlechter. Doch seltsamerweise sind sie in den Diskussionen des ostdeutschen Frauenbildes in den letzten Jahren zu kurz gekommen. Zudem hat es auch in der sozialistischen DDR-Gesellschaft eine Vielfalt an weiblichen Lebensentwürfen gegeben, bis hin zu Frauen, die durch ihr Anderssein, durch nichtkonformes Verhalten, durch rassistische Ausgrenzung oder auch durch ökonomische Benachteiligungen an den Rand der Gesellschaft gerieten (Rothe et al. 2020). Die Figur der erfolgreichen Karrierefrau aus dem Osten verstellt den Blick auf strukturelle, also politisch definierte Ungleichheiten. So erscheint etwa die Vereinbarung von Fürsorgearbeit und Karriere als Leistung, die von Individuen erbracht werden muss, nicht als gesellschaftliche Aufgabe. Sie ist demzufolge auch kein Dilemma, das politisch gelöst werden müsste. Die kritischen Analysen der nichtstaatlichen Frauengruppen erteilen dieser Sichtweise eine Absage. Sie zeigen uns auf, mit welchen Argumenten und von welchem Standpunkt diese Diskussion eigentlich geführt werden sollte. Insofern haben sie uns ein Erbe weitergegeben, das wir annehmen könnten. Voraussetzung dafür ist, dass wir dieses Erbe überhaupt kennen.
Eine regional übergreifende Gesamtdarstellung aller Frauengruppen im letzten Jahrzehnt der DDR hat bisher lediglich die ehemalige Aktivistin Samirah Kenawi (1995) vorgelegt. Ihr Ansatz war für uns als Ausstellungsmacher*innen richtungsweisend. Unsere Ausstellung erzählt in vier Kapiteln die Geschichte der Frauen- und Lesbenbewegung als die einer sozialen Bewegung in einer Diktatur. Diese Bewegung versteht sich zunehmend feministisch und rückt Lebenslagen und politische Rechte, Diskriminierungen und Dilemmata von Frauen und Lesben problematisierend in den Mittelpunkt. Ihre Geschichte beginnt mit der Gründung erster Gruppen um 1980 (erstes Kapitel der Ausstellung). Viele von ihnen rechnen sich den Frauen für den Frieden zu und protestieren gegen die atomare Aufrüstung und die Militarisierung der DDR-Gesellschaft (vgl. Ilsen/Leiserowitz 2019). In ihrer Gesamtheit betrachtet sind die Motive, Kontexte und Ziele jedoch von Gruppe zu Gruppe unterschiedlich. Gemeinsam ist ihnen, dass sie reine Frauen- und Lesbengruppen sind, die von dem Bedürfnis angetrieben werden, unter sich zu sein, Themen aus der eigenen Perspektive zu betrachten und als selbstständige Gruppen gegen Missstände aktiv zu werden.
Unter der Überschrift „Begrenzte Öffentlichkeit“ zeigt das zweite Kapitel der Ausstellung, was es für die Frauen bedeutete, unter den Bedingungen einer Diktatur aktiv zu sein: etwa welche Aktionen überhaupt möglich waren, um die eigenen Forderungen öffentlich zu machen. Wesentliches Ziel ist es dabei zu verdeutlichen, welche Risiken die Frauengruppen mit ihrem Engagement eingingen und mit welchen Widerständen sie dabei konfrontiert waren. Nur vor diesem Hintergrund lässt sich auch verstehen, warum die Bewegung nicht so groß wie die westlichen Frauenbewegungen werden konnte. Denn der SED-Staat fasste die Frauengruppen schon bald als feindliche Kräfte auf. Dem Ministerium für Staatssicherheit gelang es, Inoffizielle Mitarbeiterinnen in die Gruppen einzuschleusen, die Informationen weitergaben und Misstrauen unter den Akteurinnen säten. Nicht wenige Gruppen wurden dadurch in ihrer Arbeit massiv beeinträchtigt, einige wurden sogar unwiderruflich zerstört.
Im dritten Kapitel wird auf acht Tafeln nachvollziehbar, wie sich im letzten Jahrfünft vor dem Mauerfall eine Bewegung formiert. Noch einmal entstehen viele Gruppen auch abseits der großstädtischen Bewegungszentren: in mittleren und kleineren Städten wie Parchim, Cottbus oder Weißenfels. Regelmäßig werden landesweite Treffen abgehalten, die Gruppen vernetzen sich, sie koordinieren ihre Arbeit, inspirieren sich gegenseitig. Ihre Themen und Positionen sind vielfältig, aber die Frage nach der Situation der Frauen und Lesben in der DDR gerät immer mehr in den Vordergrund. Nun werden auch erste Strukturen etabliert: Forschungsprojekte werden konzipiert, gruppeninterne Bibliotheken entstehen. Frauenzentren und -cafés in Kirchengemeinden sollen feste, institutionalisierte Anlaufpunkte auch für nichtorganisierte Frauen und Lesben werden.
Quellen und Literatur