Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
„Krieg ist eine Ausnahmesituation. Vieles, was im Frieden normal ist, scheint hier nicht zu gelten.“ So der Einleitungstext zur Ausstellung „Menschenrechte im Krieg“, die im Frühjahr 2017 vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge herausgebracht wurde. Die Geschichte der Menschheit ist geprägt von kriegerischen Akten, die immer zum Ziel hatten, die eigenen Interessen gegenüber dem jeweiligen Gegner durchzusetzen. Dabei gilt der Grundsatz, die Opferzahlen der eigenen Seite möglichst gering und die der Gegenseite möglichst hochzutreiben, um den Gegner schnell zum Aufgeben seiner Ziele zu bewegen. Bei der Verfolgung dieses Ziels wurde häufig nicht zwischen kämpfenden und unbeteiligten Personen unterschieden. Aus diesem Grund haben sich Staaten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der Gründung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz und der Verabschiedung der ersten „Genfer Konvention“ zum Schutz von verwundeten Soldaten sowie der so genannten Haager Landkriegsordnung auf erste Regeln der Kriegsführung geeinigt. Diese sollen dem menschlichen Handeln in kriegerischen Situationen einen ethischen Rahmen setzen.
Entwicklung des Humanitären Völkerrechts – ein Prozess permanenter Anpassung
Vor dem Hintergrund zweier Weltkriege, die Opfer in einem vorher noch nicht erreichten Ausmaß hervorgebracht haben, sind die Regeln des Humanitären Völkerrechts (HVR) im Laufe der Zeit immer mehr verfeinert (Verbot bestimmter Mittel der Kriegsführung) und erweitert worden. So enthält das Genfer Abkommen von 1929 zwar Regeln zur Behandlung von Kriegsgefangenen, aber keine zum Umgang mit der Zivilbevölkerung. Eine entsprechende Regelung fand erst 1949 in den Genfer Konventionen ihren Niederschlag. Grundsätzlich ist es so, dass die im Krieg gemachten negativen Erfahrungen die Motivationsgrundlage sind, durch neue humanitäre Regelungen das Leid von Menschen in künftigen Konflikten nach Möglichkeit zu begrenzen. Bezogen auf meine Eingangsthese ist das ein hehrer Anspruch. Die Wirklichkeit ist diesbezüglich leider sehr ernüchternd.
Die Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener – das Versagen des Völkerrechts
Dieses wird am Beispiel des Genfer Abkommens zur Behandlung von Kriegsgefangenen, hier der sowjetischen Kriegsgefangenen im Deutschen Reich besonders deutlich. So regelt das Abkommen die Arbeitspflicht von Kriegsgefangenen. Es sieht vor, dass ein Kriegsgefangener nicht zu Arbeiten herangezogen werden darf, denen er körperlich nicht gewachsen ist (Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen von 1929, 3. Titel, 3. Abschnitt, 2. Kapitel, Art. 29). Diese Verpflichtung wurde im Falle der sowjetischen Kriegsgefangenen nachweislich nicht eingehalten. Auch die Unterbringung entsprach in den meisten Fällen nicht den Vorgaben des Völkerrechts, d. h. Unterbringung in festen und trockenen Unterkünften (Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen von 1929, 3. Titel, 2. Abschnitt, 1. Kapitel, Art. 10). Im so genannten Kriegsgefangenen-Mannschafts-Stammlager (Stalag) XI C (311) Bergen-Belsen beispielsweise mussten die Gefangenen in selbst gebauten Erdhöhlen hausen. Nur so erklärt sich, dass mehr als die Hälfte der ca. fünf Millionen Gefangenen infolge harter Arbeit bei mangelnder Ernährung und unzureichender medizinischer Versorgung verstarb.
Bereits im Vorfeld des Angriffs Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion wurde in einer Rede Hitlers vor hohen Offizieren der Wehrmacht deutlich, dass von vornherein nicht die Absicht bestand, im bevorstehenden Feldzug die Regeln des HVR zu achten. „Wir müssen von dem Standpunkt des soldatischen Kameradentums abrücken. Der Kommunist ist vorher kein Kamerad und nachher kein Kamerad. Es handelt sich um einen Vernichtungskampf [...] Der Kampf wird sich sehr unterscheiden vom Kampf im Westen. Im Osten ist Härte mild für die Zukunft.“ (Rürup 2014: 98) In diesem Zusammenhang sei an die Eröffnung der ersten Wehrmachtsausstellung durch das Hamburger Institut für Sozialforschung 1995 unter dem Titel „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ erinnert. Die in der Öffentlichkeit äußerst kontrovers geführte Debatte darüber drehte sich u. a. auch um die Rolle der Wehrmacht bei der Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener. Das bis dato tradierte Bild von einem „sauber“ geführten Krieg seitens der Wehrmacht war so nicht mehr aufrechtzuhalten (Vgl. Altenmüller 2015).
Die Ausstellung „Menschenrechte im Krieg“ versucht anhand von Einzelbiografien sowohl die Verwirklichung als auch Missachtung der Menschenrechte in Kriegssituationen zu belegen. So ist auch die Biografie des jungen Sowjetsoldaten Aleksej Pavlovskij, der 1942 in deutsche Kriegsgefangenschaft geriet und bei einem Fluchtversuch während eines Arbeitseinsatzes erschossen wurde, in der Ausstellung zu finden. Er hat auf der Kriegsgräberstätte des Dortmunder Hauptfriedhofs seine letzte Ruhe gefunden.
Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge versucht, unabhängig von der aktuellen Ausstellung, im Rahmen seiner friedenspädagogischen Arbeit an Schulen, die Erinnerung an das Leid sowjetischer Kriegsgefangener im Zweiten Weltkrieg lebendig zu halten. 2007 wurde dazu das Namensziegel-Projekt „Wir schreiben eure Namen“ entwickelt. Nachdem in den 1990er Jahren in einem Archiv bei Moskau die Karteikarten aller nach Deutschland verschleppten sowjetischen Kriegsgefangenen entdeckt wurden, ist es im Rahmen eines deutsch-russischen Abkommens möglich geworden, diesen Toten symbolisch Namen, Identität und Würde wiederzugeben. Dazu stellen Schüler_innen niedersächsischer Schulen Tonziegel mit den Namen der Opfer des Kriegsgefangenenlagers Bergen-Belsen her. Die fertigen Ziegel werden dann auf einem kleinen Wall, der den sowjetischen Kriegsgefangenenfriedhof Bergen-Hörsten umgrenzt, in ebenfalls von Schülern hergestellten Metallgestellen befestigt. Bislang sind etwa 2.500 solcher Namensziegel auf dem Hörstener Friedhof angebracht worden. In diesem handlungsorientierten Ansatz liegt der besondere Wert der pädagogischen Arbeit, da die Schüler_innen durch die Auswertung von Personalunterlagen mit dem Leid des einzelnen sowjetischen Kriegsgefangenen unmittelbar konfrontiert werden. Aus den Unterlagen sind neben dem Namen die Geburts- und Sterbedaten, die Todesursache sowie oftmals die Herkunft, der Familienstand o.ä. ersichtlich. Die meisten sowjetischen Kriegsgefangenen waren junge Männer im Alter zwischen 18 und 22 Jahren, die ihr Leben noch vor sich hatten und nur wenige Jahre älter waren als heutige Schüler_innen der 9./10. Jahrgangsstufe. Ihre Träume und Hoffnungen wurden durch das Schicksal des ihnen von Nazi-Deutschland aufgezwungenen Krieges jäh zerstört. Das Projekt wird mittlerweile auch an anderen niedersächsischen Standorten und in anderen Landesverbänden des Volksbundes erfolgreich durchgeführt.
Auch in jüngerer Vergangenheit gibt es Belege sowohl für die Achtung der Menschenrechte im Krieg als auch für ihre eklatante Missachtung. Der kanadische General Roméo Dallaire beispielsweise, der 1993 die „UN Assistance Mission“ in Ruanda führte, widersetzte sich Befehlen zum Abzug seiner Truppen und gewährte so ca. 20.000 Ruander_innen Schutz vor Übergriffen verfeindeter Bevölkerungsgruppen. Ein weiterer Tatbestand ist seit langer Zeit die Ausübung sexueller Gewalt als Teil der Kriegsführung. Sie wird jedoch erst seit
wenigen Jahren als Kriegsverbrechen definiert. Nach dem Balkankrieg in den 1990er Jahren sprachen bosnische Frauen öffentlich über die Vergewaltigungen durch serbische Soldaten. Ihr Mut trug dazu bei, dass sexuelle Gewalt durch das UN-Tribunal für das ehemalige Jugoslawien verurteilt wurde. Seit 1998 gilt sexuelle Gewalt als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ist im Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofes verankert.
Die Ausstellung „Menschenrechte im Krieg“ ist Teil des Bildungspakets „Krieg und Menschenrechte“. Dieses umfasst neben einer pädagogischen Handreichung, die die Einbindung der Ausstellung in das Unterrichtsgeschehen exemplarisch begleitet, insgesamt vier, die Inhalte der Ausstellung vertiefende, Module. Diese werden von den Bildungsreferenten des Volksbundes in Kooperation mit Lehrer_innen sowohl weiterführender als auch berufsbildender Schulen auf Anfrage durchgeführt. Im Einzelnen sind das: „Aus dem Schatten der Erinnerung – Projektarbeit zu sowjetischen Kriegsopfern“, „Flucht – Gestern und heute“, „Kindersoldaten – Gestern und heute“ und „Schutz vor Diskriminierung als Menschenrecht“. In den Modulen als auch in der Ausstellung selbst wird immer der Bogen von der geschichtlichen Erfahrung zur aktuellen Tagespolitik gespannt. Dieser didaktische Ansatz folgt der Überzeugung, dass Verstehen und verantwortungsvolles politisches Handeln in der Gegenwart nur über eine Auseinandersetzung mit der geschichtlichen Erfahrung möglich ist.
Die Wahrung der Menschenrechte im Krieg bleibt ein hehrer Anspruch, dessen Verwirklichung und Weiterentwicklung des Mutes Einzelner bedarf.
In heutigen Kriegssituationen ist der Schutz der Menschen schwieriger geworden. Bürgerkriege, unübersichtliche Fronten, schwache und zerfallende Staaten und Terrorismus verwischen die Grenzen zwischen Krieg und Frieden. Nicht zuletzt divergierende Interessen beteiligter Staaten, wie am Beispiel des Syrien-Konflikts zwischen der Türkei und den USA deutlich wird, erschweren die Kontrolle hinsichtlich der Einhaltung der Menschenrechte. Bei derzeit über 30 kriegerischen Auseinandersetzungen weltweit, von denen wir infolge eingeschränkter Pressefreiheit nicht einmal zur Hälfte über die Medien unterrichtet werden, fällt die Prognose hinsichtlich der Wahrung der Menschenrechte im Krieg nicht nur aufgrund der geschichtlichen Erfahrung ernüchternd aus. Die oben beschriebenen pädagogischen Projekte sollen Schüler_innen dazu befähigen, diese bittere Erkenntnis aus Geschichte und Gegenwart in ihre individuelle Urteilsbildung einzubeziehen.
Altenmüller, Irene: Wie eine Ausstellung die Deutschen spaltete, NDR.de, 05.03.2015, https://www.ndr.de/kultur/geschichte/chronologie/Wie-eine-Ausstellung-die-Deutschen-spaltete,wehrmachtsausstellung100.html (letzter Zugriff 27.04.2018).
Kellerhoff, Sven Felix: Frage nach dem „ob“ eines Angriffs stellte Hitler nicht, Die Welt, 03.03.2016, https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article153794687/Frage-nach-dem-ob-eines-Angriffs-stellte-Hitler-nicht.html
Rürup, Reinhard, Der lange Schatten des Nationalsozialismus, Geschichte, Geschichtspolitik und Erinnerungskultur, Wallstein Verlag, Göttingen 2014.