Wer sich mit den Umbrüchen in Ost- und Mitteleuropa während des Jahres 1989 auseinander setzt kommt nicht umhin, sich früher oder später mit den Entwicklungen der daraus hervorgegangenen Staaten auseinander zu setzen. Das Online-Magazin Ostpol knüpft an diesen Gedanken an und berichtet nach eigenen Angaben täglich über Entwicklungen „aus dem halben Kontinent zwischen Polen und Sibirien."
Ostpol ist ein Online-Magazin. Herausgeber ist n-ost, ein Netzwerk für Osteuropa-Berichterstattung. Aufgeteilt in die Bereiche Länder, Reihen und Dossiers werden auf der Homepage des Magazins von Journalist_innen und Fotograf_innen verschiedene Thematiken bearbeitet. Dabei blicken die Reportagen stets hinter die Fassade, arbeiten die Hintergründe auf und geben einen ansprechenden Einblick in die heutige, tagesaktuelle Situation.
Wie der Titel bereits sagt findet sich unter dem Begriff „Länder“ eine alphabetische Auflistung der bei Ostpol behandelten Länder. Von A wie Albanien bis Z wie Zypern umfasst die Liste insgesamt 33 Länder sowie die Europäische Union. Mit einem Klick gelangt man auf die entsprechenden Artikel. Bereits die hier beispielhaft genannten Länder zeigen, dass Ostpol den Begriff der östlichen Länder etwas weiter fasst als im herkömmlichen Verständnis. So wird auch der Balkan miteinbezogen. Gerade dadurch gewinnt das Magazin jedoch an Stärke, werden durch die Hinzunahme nicht offensichtliche Zusammenhänge offenbart.
Als Beispiel für die Beiträge sei an dieser Stelle trotzdem Polen angeführt. Unter dem Länder-Tag finden sich aktuelle Artikel zum Holocaust-Gesetz, welches die Begrifflichkeit polnische Konzentrationslager verbietet, wie auch zum Antisemitismus in der 68er-Bewegung. Dabei finden sich einige Artikel neben der ursprünglichen Form noch einmal in englischer Übersetzung. Aufgrund des Umfanges und der enormen Bandbreite der Themen, die von Politik über Tourismus bis Fußball reichen, eignet sich der Themenbereich „Länder“ hervorragend für einen ausführlichen, detaillierten Blick auf die heutige Gesellschaft in Ost- und Mitteleuropa.
Anders als im Themenbereich Länder wird hier der Schwerpunkt nach Ereignissen gesetzt, beispielsweise zu den Umbrüchen 1989. Geleitet von einer Fragestellung werden verschiedene Artikel zusammengetragen. Im Beispiel ,,25 Jahre Fall des Eisernen Vorhangs“ steht die Frage nach übrig gebliebenen Idealen und Utopien. An den Ländern Rumänien, Tschechien, Polen, Russland, Estland, Slowakei und Bulgarien fragen die Autor_innen: „Was ist aus der erhofften Freiheit geworden?“ So beschäftigen sich die Beiträge unter anderem mit dem „langen Schatten Ceausescus“. Die heutigen Alltagsprobleme wie massive Armut werden in Verbindung gestellt mit der Diktatur und vor allem ihrem Ende. Aber auch Aspekte der Erinnerungskultur sowie der Aufarbeitung kommen zur Sprache. Die knapp gehaltenen und trotzdem gehaltvollen Artikel, die mit schlichter Sprache auskommen, ermöglichen ein sowohl angenehmes wie auch relatives flottes Lesen. Die Fokussierung auf einzelne Biographien wie in dem mit „Der bulgarische Dämon“ überschriebenen Artikel, der von einem missglückten Fluchtversuch aus der DDR über Bulgarien in den Westen erzählt, geben der abstrakten historischen Erzählung eine persönliche Note und machen sie erfahrbarer. Dass manchmal ein unkonventioneller anmutender Zugang das Thema bereichern kann, beweisen in diesem Dossier die Artikel „Zweite Chance für ein vergessenes Handwerk“ über die Schuhindustrie in der Ostslowakei sowie „Singend in die Freiheit“. In letzterem Artikel wird auf Gesangs-Tradition des Baltikums eingegangen. Insgesamt umfasst das Dossier über die Veränderungen in den postsozialistischen Staaten elf Artikel mit den aufgeführten unterschiedlichen Thematiken. Wie bereits im Themenbereich Länder, zeigt Ostpol auch hier seine Stärke der Vielfalt und der unterschiedlichen Herangehensweisen.
Der Bereich Reihen mit seinen fünf Unterkategorien ist, wenn man so will, für rein Geschichtsinteressierte nur von eingeschränkten Interesse und eher für Politikwissenschaftler_innen sowie am Tagesgeschehen Interessierte geeignet. In den „Innenansichten“ geben osteuropäische Intellektuelle einen persönlichen Einblick auf Entwicklungen in ihren Ländern. Ähnlich funktioniert die wöchentliche Kolumne „Gemischtes Doppel: Ukraine/Russland“ der Ukrainierin Inga Pylypchuk und des Russen Maxim Kireev. Die nicht-deutschsprachigen Texte auf Ostpol werden in der Reihe „International“ zusammengefasst. Neben englischen Übersetzungen gibt es auch unter anderem Texte auf Russisch, Litauisch und Polnisch. Die beiden übrigen Kategorien „Stereoscope“ sowie „Bild und Reflexion“ sind mehr selbstreflexiv und setzen sich auf verschiedenen Ebenen mit dem Journalismus als solchen auseinander.
Ostpol eignet sich hervorragend als Informationsquelle für die aktuelle Situation in den entsprechenden östlichen- und mitteleuropäischen Ländern. Das Magazin bietet umfassende Hintergrundinformationen zu tagesaktuellen Themen. Insbesondere durch seine Themenvielfalt sowie seinen Umfang gewinnt das Magazin. Etliche Beiträge schlagen den Bogen zu einschneidenden Ereignissen in der Vergangenheit, so dass der Bogen zwischen Gegenwart und Vergangenheit geschlagen werden kann. Insbesondere in den Dossiers finden sich kompakt zusammengefasst viele Artikel zu einem Themenkomplex. Auf Grundlage dessen können sowohl Geschichtslehrende als auch Geschichtslernende von dem Magazin profitieren, ergänzt das Magazin doch das bloße Faktenwissen um die Umsturzvorgänge um die teilweise bis heute anhaltenden Veränderungsprozesse in manchen Ländern.