Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
„‚Wer an Europa zweifelt, wer an Europa verzweifelt, der sollte Soldatenfriedhöfe besuchen!’ Nirgendwo besser, nirgendwo eindringlicher, nirgendwo bewegender ist zu spüren, was das europäische Gegeneinander an Schlimmstem bewirken kann.“[1] Diese von Jean-Claude Juncker formulierte Aufforderung aus dem Jahr 2008 hat in ihrer Bedeutung nichts verloren. „Die multiplen Krisen der Europäischen Union haben sich zu einer Situation verdichtet, in der der Status Quo der europäischen Integration und sogar der Fortbestand der Union zunehmend hinterfragt werden.“[2]
Ist das Friedensprojekt Europa angesichts nationalistischer und populistischer Entwicklungen, ja sogar militärischer Auseinandersetzungen auf unserem Kontinent in Gefahr? „Die Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg verblassen wie eine alte Feldpost-Karte. Doch 100 Jahre nach dem großen Morden ist es Zeit, wieder an die Grundidee des Projektes Europas anzuknüpfen“[3], so Georg Matthes. „Für die Verbreitung von Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechten hat die EU 2012 den Friedensnobelpreis bekommen. Das norwegische Nobelkomitee begründete seine Entscheidung mit der stabilisierenden Rolle der EU bei der Umwandlung Europas von einem Kontinent der Kriege zu einem Kontinent des Friedens.“[4]
„70 Jahre Frieden in Europa – das erfolgreichste Produkt der Europäischen Gemeinschaft. Während unsere Väter, Großväter und Urgroßväter noch in den Krieg zogen, dürfen wir heute unseren europäischen Nachbarn vertrauen. Ein Krieg innerhalb der EU ist unvorstellbar, Ost- und Westeuropa sind vereint. Das gemeinsame Haus Europa sichert den Frieden. Noch im 20. Jahrhundert starben im Zweiten Weltkrieg mindestens 55 Millionen Menschen, das alte Europa brach zusammen. Heute leben über eine halbe Milliarde Europäer in Frieden und Freiheit – dank der EU“[5] – so kann man der Internetseite der deutschen Bundesregierung entnehmen.
Wir lesen aber auch über den Ukraine-Konflikt[6], und wir wissen, dass mit dem Zerfall des ehemaligen Jugoslawien eine Serie von Kriegen einherging. „Dabei handelt(e) es sich vor allem um den Kroatienkrieg zwischen 1991 und 1995 und den Bosnienkrieg zwischen 1992 und 1995.“[7] Zudem kennen wir die Weltkarte der Auslandseinsätze der Bundeswehr[8] und können uns regelmäßig über den aktuellen Stand im Internet unter www.einsatz.bundeswehr.de informieren.
“Eine für Streitkräfte weltweit wohl einmalige Gedenkstätte ist am Standort des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr nahe Potsdam entstanden: der Wald der Erinnerung.“[9] Auf dem Gelände der Potsdamer Henning-von-Tresckow-Kaserne wurde ein Ort geschaffen, der an die Bundeswehrangehörigen erinnert, die ihr Leben verloren haben. Der „‚Wald der Erinnerung‘ bietet (…) einen Ort für individuelle Andacht und Trauer. Das Areal ist der interessierten Öffentlichkeit und Hinterbliebenen tagsüber im Passwechselverfahren zugänglich“[10].
Die Bildungsarbeit des Volksbundes will dialogisches Erinnern in Europa ermöglichen und so dazu beitragen, werteorientierte Lotsenpunkte der Europabildung im Wald der konkurrierenden Erinnerungskulturen zu definieren.
Kriegsgräberstätten konfrontieren uns mit den Folgen von Krieg und Gewalt. Sie sind für uns Mahnung aber auch Lernorte. Mit dem Schwerpunktthema „Europa, der Krieg und ich“ stellt sich der Volksbund als spezialisierter Träger politischer Jugendbildung seiner gesellschafts- und bildungspolitischen Verantwortung, mithilfe der Arbeit an Kriegsgräbern für die Folgen von Krieg und Gewalt zu sensibilisieren und Europabildung zu betreiben. Hierzu betreibt er eine eigene schulische und außerschulische Jugendarbeit und unterhält vier internationale Jugendbegegnungs- und Bildungsstätten in Belgien, Frankreich, den Niederlanden und Deutschland.
Kommen wir zurück auf die eingangs zitierte Aufforderung von Jean-Claude Juncker: Was hat Europa mit Kriegsgräbern zu tun? Genauso gut könnte man fragen: Was hat Frieden mit Kriegsgräbern zu tun? "Die Soldatengräber sind die großen Prediger des Friedens", sagte der Arzt und Humanist Albert Schweitzer. Das sind der Hintergrund, der Anlass und die Erklärung der Botschaft. "Darum Europa!" Der Volksbund will zeigen, wohin Nationalismus und Chauvinismus führen können. Als Mitglied der Europäischen Bewegung setzt der Volksbund sich für Versöhnung und Frieden ein –gerade in Zeiten des wachsenden Populismus und unseliger nationalistischer Tendenzen, die Missgunst schüren und Minderheiten ausgrenzen.
Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. hat gemeinsam mit der Europäischen Bewegung Deutschland[11] seit Juni 2017 eine (Plakat-)Kampagne mit dem Titel „Darum Europa“[12] gestartet. Die Plakate waren im Juni und September 2017 bundesweit zu sehen. Inzwischen wurden die Plakate und ihre Botschaft von vielen anderen Organisationen, Bildungs- und Kultureinrichtungen übernommen. Das Motiv der Kriegsgräberstätte Ysselsteyn mit der Mahnung DARUM EUROPA wird von den Landesverbänden im Volksbund für die friedenspädagogische Arbeit genutzt, es hängt aber auch an und in Rathäusern.
„Europa ist mehr als ein geographischer Begriff. Die europäische Dimension umschließt in all ihrer Vielfalt auch ein gemeinsames historisches Erbe und eine gemeinsame kulturelle Tradition. Die leidvollen Erfahrungen zweier Weltkriege sowie die divergenten Entwicklungen in West- und in Osteuropa seit 1945 haben den Europäern Anlass gegeben, sich auf ihre gemeinsamen Grundlagen zu besinnen und im Bewusstsein ihrer Zusammengehörigkeit neue Wege der Zusammenarbeit und Einigung, zu beschreiten, nicht zuletzt um Voraussetzungen für einen dauerhaften Frieden in Europa zu schaffen“[13] – so lesen wir im Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) zur Europabildung.
Weiter heißt es in dem Beschluss: „Zur Erschließung der europäischen Dimension in Unterricht und Erziehung sollen grundsätzlich alle Fächer und Lernbereiche der Schule einen Beitrag leisten. Die Lehrpläne und Bildungspläne der Länder enthalten dazu in differenzierter Weise konkrete Ziele und Themen sowie Hinweise auf geeignete Lerninhalte, zweckmäßige Arbeitsformen und wünschenswerte Einstellungen.“[14] Die KMK verpflichtet weiterhin auf eine Auseinandersetzung mit europäischen Fragen in den Fächern Geschichte und Politische Bildung und zudem in Fächern mit geographischen, wirtschafts- und rechtskundlichen Inhalten[15] und präzisiert: „Dabei geht es im Fach Geschichte um die Herkunft der europäischen Völker und Staaten und die Ursprünge der ihren Weg bestimmenden politisch-sozialen, weltanschaulichen und religiösen Bewegungen, Machtkämpfe, Ideen und Kulturschöpfungen sowie um die Geschichte der europäischen Integration; in der Fächergruppe der Politischen Bildung um die bestehenden und sich verändernden politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Abläufe und Ordnungssysteme, ihre Werte, Normen und Realitäten.“[16]
„Ein gegenwartsbezogener Geschichtsunterricht fragt nach Phänomenen und Ereignissen aus der Vergangenheit in Bezug auf deren Ursachen, Bedeutung und Auswirkungen auf die Gegenwart und die Zukunft und stellt sie in Beziehung zu aktuellen Geschehnissen. Darüber hinaus erforscht er die Präsenz von Historie im gesamtgesellschaftlichen Rahmen und orientiert sich an den Erfahrungen und Bedürfnissen von Schülern.“[17]
Im 15. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung ist folgerichtig zu lesen, dass es einen wachsenden Bedarf an politischer Bildung im Jugend- und Erwachsenenalter gibt. „(...) Rechtspopulismus, Skepsis gegenüber der Demokratie, Vorbehalte gegenüber Rechtsstaat und Pressefreiheit, wachsende Komplexitäten im Gefolge von Globalisierung und dem Zusammenwachsen Europas, die neue Rolle der sozialen Medien im Bereich öffentlicher Meinungsbildungsprozesse (...)“[18] – mit diesen Stichworten wird diese Forderung im Bericht begründet.
Der Bundesausschuss politische Bildung e. V., in dem der Volksbund Mitglied ist, begrüßt, dass die Bundesregierung es als gesamtgesellschaftliche Aufgabe betrachtet, „Jugendliche vor allem durch politische Bildung, Prävention und Partizipationsangebote für eine Teilhabe an der Demokratie zu begeistern“[19]. Als Kernherausforderungen an die Lebensphase Jugend werden drei Begriffe formuliert: Verselbstständigung; Selbstpositionierung; Qualifizierung[20].
Der Volksbund fördert Begegnungen und historisch-politische Bildungsangebote an Kriegsgräberstätten. In seinen Workcamps und internationalen Jugendbegegnungs- und Bildungsstätten sowie vielfältigen Projekten im In- und Ausland regt er zur Auseinandersetzung mit historischen und aktuellen Ereignissen an. Hierbei sind die Schulen und Träger politischer Bildung wichtige Partner. Der Volksbund ermöglicht in Verbindung mit seinen Jugendbegegnungs- und Bildungsstätten und Jugendprojekten den Besuch europäischer Institutionen, er unterbreitet Angebote in der Lehreraus und -fortbildung.
In seiner Bildungsarbeit vermittelt der Volksbund die Werte von Menschenrechten, Demokratie und Frieden. Er setzt sich mit Extremismus, Nationalismus, Rassismus und willkürlicher Gewalt auseinander. Er trägt dazu bei, dass junge Menschen Erinnern und Gedenken selbstständig gestalten. Sie erhalten Raum für verantwortliche Mitwirkung. Dies ist eine Voraussetzung für die Kriegsgräberfürsorge der Zukunft.
[1] Juncker, Jean-Claude. Rede zum Volkstrauertag am 16.11.2008 im Deutschen Bundestag: https://www.volksbund.de/fileadmin/redaktion/Landesverbaende/Niedersachsen/7_Volkstrauertag/Reden_u_Beitraege/vtt_2008_rede_jean-claude_juncker.pdf (12.2.2018).
[2] Die europäische Integration in der Krise: https://www.swp-berlin.org/swp-themendossiers/europaeische-integration-in-der-krise/ (12.2.2018).
[3] Kommentar: Friedensprojekt Europa: http://www.dw.com/de/kommentar-friedensprojekt-europa/a-41321298 (12.2.2018).
[4] Fragen und Antworten zu Frieden in Europa: https://www.bundesregierung.de/Content/DE/StatischeSeiten/Breg/Europa/60-Jahre-Europa/2017-04-12-faq-frieden.html (12.2.2018).
[5] Ebda: https://www.bundesregierung.de/Content/DE/StatischeSeiten/Breg/Europa/60-Jahre-Europa/2017-04-12-faq-frieden.html (12.2.2018).
[6] Nervenkrieg um die Ukraine: https://www.lpb-bw.de/ukrainekonflikt.html (12.2.2018).
[7] Jugoslawienkrieg. Antwort auf die zehn wichtigsten Fragen: http://www.spiegel.de/einestages/jugoslawien-krieg-antworten-auf-die-wichtigsten-fragen-a-1099538.html (12.2.2018).
[8] Auslandseinsätze der Bundeswehr: http://www.bpb.de/politik/grundfragen/deutsche-verteidigungspolitik/243585/weltkarte-auslandseinsaetze (12.2.2018).
[9] Neue Gedenkstätte der Bundeswehr bei Potsdam. „Wald der Erinnerung“: http://www.tagesspiegel.de/politik/neue-gedenkstaette-der-bundeswehr-bei-potsdam-wald-der-erinnerung/10985462.html (12.2.2018).
[10] Ebda.
[11] Netzwerk Europapolitik in Deutschland; https://www.netzwerk-ebd.de/ (12.2.2018).
[12] Darum Europa! Kriegsgräber mahnen – Plakatkampagne des Volksbundes an über 1.200 Standorten: http://www.volksbund.de/meldungen/meldungen-detail/artikel/darum-europa.html (12.2.2018).
[13] Europabildung in der Schule. Empfehlung der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland: https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/1978/1978_06_08_Europabildung.pdf(12.2.2018).
[14] Ebda. S. 7
[15] Vgl. Ebda. S. 7
[16] Ebda., S. 8.
[17] E-Tutorium Geschichtsdidaktik: http://gd.e-learning.imb-uni-augsburg.de/node/1012 (12.2.2018).
[18] 15. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung: https://www.bmfsfj.de/blob/115438/d7ed644e1b7fac4f9266191459903c62/15-kinder-und-jugendbericht-bundestagsdrucksache-data.pdf , S. 425.
[19] Ebda., S. 14.
[20] Stellungnahme des Bundesausschusses Politische Bildung (bap) e.V. zum
Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland: http://www.bap-politischebildung.de/wp-content/uploads/2017/05/bap-Stellungnahme-zum-15.-KJB.pdf (12.2.2018).