Staatliches Erinnern, Gedenkstätten und politische Bildungsarbeit nähern sich der DDR vom Standpunkt, eine Diktatur zugunsten von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit überwunden zu haben. Sie wollen der Opfer des SED-Regimes gedenken, zudem entspricht diese normative Perspektive den Forderungen vieler DDR-Oppositioneller und ist untrennbar mit dem demokratischen Umbruch von 1989 verbunden.
Den erinnerungskulturellen Alltag prägt dagegen oftmals die Wahrnehmung des sozialen Abstiegs und der wirtschaftlichen Unsicherheit, oft drückt sie sich in „Ostalgie“ aus. Lücken im Gedächtnis lassen sich dabei sowohl im offiziellen als auch im alltäglichen Erinnern feststellen: Vor allem die Erfahrungen von Migrant_innen in der DDR und nach der Deutschen Einheit gehen in der vereinfachenden Erzählung vom Ende einer Diktatur und dem Beginn der Freiheit unter. Das betrifft nicht nur die Diskriminierung und Gewalt in Ostdeutschland vor und nach 1989. Dass z. B. bis heute die Bundesrepublik Lohn- und Rentenansprüche vieler ehemaliger „Vertragsarbeiter“ aus der DDR ignoriert, hat im von der „Friedlichen Revolution“ überlagerten Geschichtslernen zur DDR keinen Platz.
Akteure der historisch-politischen Bildung weisen daher schon seit den 1980er-Jahren darauf hin, dass eine vom Normativen überlagerte, formalistische Gegenüberstellung von „totalitärer“ DDR und „freiheitlich-demokratischer Grundordnung“ gerade dem Anliegen historischen Lernens entgegensteht: dem Erwerb historischer Urteilskraft. Das heißt, es besteht die Gefahr, dass die Fähigkeit zur reflexiven Analyse des Zeitgeschehens gerade nicht erworben wird. Die Gegenwart erscheint als alternativlos, ihr normativer Bezug auf Freiheit und Mitbestimmung wird mit deren Verwirklichung verwechselt und letztlich eine ahistorische Vorstellung vom Ende der Geschichte gelehrt (vgl. dazu den Beitrag von Cornelia Siebeck in diesem Heft).
Aus der fehlenden Reflexion auf Werthaltungen mit Blick auf die DDR und ihr Ende resultieren wissenschaftlichen Kontroversen; und eine Reihe politischer Debatten sind eng mit gedächtnispolitischen Perspektiven verknüpft. Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) hat einige Mitarbeiter des Sonderforschungsbereichs Universitäten Halle und Jena „Gesellschaftliche Entwicklungen nach dem Systemumbruch“ für das Dossier „Lange Wege der Deutschen Einheit“ schreiben lassen.
Im Unterricht lassen diese Artikel sich mit einer entsprechenden Frage gut als Teil einer Rechercheaufgabe oder als Arbeitstext für Referate, Einzel- oder Gruppenarbeiten ab Klasse 10 verwenden.
Welche Berechtigung die Wahrnehmung hat, das Ende der DDR habe für viele ihrer ehemaligen Bürger_innen Nachteile gebracht, stellt Stephan Lessenich anhand verschiedener Studien und Statistiken dar. Tatsächlich hat die ostdeutsche Bevölkerung bemerkenswerte Wohlstands- und Wohlfahrtsgewinne erfahren, während die Lebenserwartung rapide gestiegen ist. Zugleich hat der grundlegende Wandel der Sozialordnung zu massiven Statuseinbußen für Viele geführt, ist die Arbeitslosigkeit weiterhin doppelt so hoch wie in den Alten Bundesländern und sind Vermögensbestände signifikant niedriger.
Der Anspruch der DDR, sozial gerecht zu sein, sorgte dafür, dass das Risiko des sozialen Abstiegs relativ gering war, so Axel Salheiser. Zwar nahmen zum Ende der DDR Chancengleichheit und Aufstiegsmöglichkeiten ab. Doch mit der sozialen Mobilisierung nach der Deutschen Einheit öffnete sich die Schere sozialer Ungleichheit erheblich.
Wirkt sich diese sozial-ökonomische Entwicklung auf die Beurteilung der DDR als „Unrechtsstaat“ aus? Everhard Holtmann zufolge beurteilen viele die DDR insgesamt positiver, weil ihr sie ihr Privatleben bis 1989 als relativ gelungen wahrnehmen. Tatsächlich aber, so argumentiert Holtmann, ging die SED mit allgemeinen Rechtsnormen willkürlich um, hat das Strafrecht politisch instrumentalisiert, ohne dass es die Möglichkeit gab, den politischen Aktionen rechtsgebunden entgegenzuwirken. Die DDR sei somit ein Unrechtsstaat gewesen.
Teil der DDR-Geschichte und der gesellschaftlichen Entwicklung nach dem Systemumbruch waren auch die sogenannten Vertragsarbeiter und -arbeiterinnen aus Mosambik, Vietnam, Kuba und anderen sozialistischen Ländern. Auf ihre Arbeit konnte die Industrie und der internationale Export der DDR nicht verzichten. Trotzdem waren sie besonders starken Einschränkungen und Drohungen ausgesetzt, privater Kontakt zwischen den Zugewanderten und den Staatsbürger_innen wurde möglichst unterbunden – und mit der Wende verloren die Vertragsarbeiter_innen jeglichen Rechtsstatus, also auch das Bleiberecht, und viele büßten Ansprüche auf Lohnanteile ein, die die DDR einbehalten hat (hier ein Beitrag im Deutschlandfunk), und von Rentenansprüchen kann keine Rede sein. Bleibt die Geschichte der Migrant_innen in der DDR ausgeblendet, können Fragen nach den „Kosten der Einheit“, nach sozialer Gerechtigkeit im SED-Regime und dem Charakter eines Unrechtsstaates auch im Unterricht nicht hinreichend behandelt werden.
Das Jugendmagazin der bpb, „fluter“, hat dazu knappe Erfahrungsberichte von ehemaligen Vertragsarbeiterinnen gesammelt. Sie passen gut auf ein Arbeitsblatt. Die Fernsehdokumentation „Honneckers Gastarbeiter – Fremde Freunde“ des Mitteldeutschen Rundfunks ist ebenfalls sehr empfehlenswert, sie zeigt die Geschichte der Vertragsarbeit von den 1960er-Jahren bis zu ihren Folgen in der Gegenwart. In der Ausgabe „Praxis Geschichte“ zu „Einwanderung – Migration in Deutschland“ stellen einige Arbeitsblätter die Geschichte der „Vertragsarbeiter und Gastarbeiter“ einander gegenüber. Das Material richtet sich an die 9. und 10. Klasse, ist präzise, didaktisch abwechslungsreich aufbereitet und benötigt ca. zwei Unterrichtsstunden. Außerdem kann eine von der Amadeu-Antonio-Stiftung geförderte Ausstellung zum Thema entliehen werden.
Literatur: http://www.bpb.de/geschichte/deutsche-einheit/lange-wege-der-deutschen-einheit/47524/kontroversen
http://www.fluter.de/de/DDR/thema/7555/
Film: https://www.youtube.com/watch?v=IzBDz70zP8c
Ausstellung: http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/projektfoerderung/gefoerderte-projekte/arbeit-mit-betroffenen-rechter-gewalt/neues-leben-in-der-ddr/
http://www.praxisgeschichte.de/heft/62150400/Ausgabe-Juli-Heft-4-2015-Einwanderung-Migration-nach-Deutschland