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Der Gedenkort SA-Gefängnis Papestraße erzählt zwei Geschichten, die für die historisch-politische Bildungsarbeit interessant sind. Zum einen erzählt der Gedenkort Papestraße die Erinnerungsgeschichte: 80 Jahre mussten vergehen, bis in den weitestgehend in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten Hafträumen einer ersten NS-Terrorstätten 1933 eine Dauerausstellung über die Geschichte des Ortes informiert.
Ein Grund für die späte Eröffnung des Gedenkortes ist, dass bis Anfang der neunziger Jahre unbekannt war, in welchem der zahlreichen ehemaligen Kasernengebäude sich das SA-Gefängnis befunden hat. Erst der Hinweis eines ehemaligen Wurstverkäufers, zu dessen Kundschaft 1933 auch SA-Feldpolizisten gehörten, half 1992 den ehrenamtlich engagierten Mitgliedern der „Geschichtswerkstatt Papestraße“, die Haftkeller eindeutig zu lokalisieren.
Anschließende historische Recherchen, beständiges Engagement und jahrelange Ausdauer führten schließlich dazu, dass der Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg den Wunsch der Geschichtswerkstatt und des Fördervereins aufnahm und sich der Einrichtung eines Gedenkortes annahm. 2011 wurde in den zuvor jahrzehntelang privat vermieteten Kellerräumen ein über 300 m² großer Gedenkort eröffnet, der seit März 2013 um eine Dauerausstellung ergänzt werden konnte. Heute sind die ehemaligen Hafträume der einzige Ort des frühen NS-Terrors in Berlin, in welchem noch Spuren aus dem Jahr 1933 zu finden sind. Vor allem dem Bildhauer Rolf Scholz – einem der Gründer der Geschichtswerkstatt – ist es zu verdanken, dass die an den Wänden befindlichen Zeichnungen, Datumsangaben und Wörter aus der Nutzungszeit als SA-Gefängnis seit ihrer Entdeckung – bis auf vier Tageszählungen, die bedauerlicherweise bei Malerarbeiten überstrichen wurden – gesichert werden konnten. Vor allem dank der bürgerschaftlichen Initiative besteht heute die Möglichkeit, sich am historischen Ort über die frühen Verbrechen der Nationalsozialisten eindrücklich zu informieren und sich mit ihnen auseinanderzusetzen.
Die zweite Geschichte erzählen die historischen Spuren und die Ausstellung im Gedenkort. In dem ursprünglich als Wirtschaftsgebäude für die Preußischen Eisenbahntruppen errichteten Haus befand sich von März bis Dezember 1933 ein frühes Konzentrationslager unter Führung der SA-Feldpolizei. Die SA-Männer inhaftierten, verhörten und folterten hier vor allem politisch Andersdenkende, Juden und andere vom NS-Regime verfolgte Gruppen aus dem gesamten Stadtgebiet und der Provinz Brandenburg. Zu den inhaftierten Personen gehörten unter anderem Kommunisten wie der Reichstagsabgeordnete Max Herm oder die Glühlampenspannerin Martha Plenzdorf. Ebenfalls gefangen gehalten wurden der sozialdemokratische Gewerkschaftsvorsitzende Martin Plettl sowie der Vorsitzende des Freidenker-Verbandes Max Sievers.
Im Zuge der antisemitischen Verfolgungspolitik der Nationalsozialisten wurden auch Juden in der Papestraße inhaftiert, wie beispielsweise der Arzt Max Leffkowitz, die Rechtsanwälte Fritz und Kurt Ball sowie der Kaufhausbesitzer Wilfrid Israel. Zeugenaussagen belegen, dass Juden besonders brutal behandelt und schikaniert wurden.
Die inhaftierten Personen mussten in den unbeheizten Hafträumen entweder stehen oder auf dem Kellerboden sitzen. Die wenigen vorhandenen Pritschen waren für Schwerverletzte vorgesehen. Die hygienischen und sanitären Verhältnisse waren vollkommen unzureichend und auch die Versorgung mit dünnem Kaffee, zum Teil verschmutztem Wasser sowie Brot oder Suppe war ungenügend und unregelmäßig.
Jederzeit musste mit Gewalt und Quälereien von Seiten der verantwortlichen SA-Männer gerechnet werden. Exerzierübungen bis zur Erschöpfung und körperliche Arbeiten bestimmten den Tagesablauf ebenso wie gewaltsame Verhöre.
Die Dauer der Haft variierte zwischen wenigen Tagen, mehreren Wochen oder Monaten. Eine Entlassung oder eine Überstellung beispielsweise in ein anderes frühes KZ oder ein Polizeigefängnis war hier im Gegensatz zu den späteren Konzentrationslagern noch üblich.
Bislang sind knapp 500 Personen, die in der Papestraße in Haft waren, namentlich bekannt. Es wird vermutet, dass die Gesamtzahl der Häftlinge deutlich größer ist, doch ist eine lückenlose historische Aufarbeitung heute kaum mehr möglich. Rund 30 Personen kamen während der Haft oder als unmittelbare Folge der Haft ums Leben.
Das pädagogische Angebot im Gedenkort ist eng mit dem Jugend Museum in Berlin-Schöneberg verknüpft und profitiert so von der jahrzehntelangen Erfahrung in der Arbeit mit Jugendlichen. Die Bildungsangebote im Gedenkort sind als Lernwerkstätten aufgebaut. Sie bieten den Jugendlichen ausreichend Raum und Zeit, um sich Schritt für Schritt der Geschichte des frühen NS-Terrors zu nähern und sich aktiv mit ihr auseinanderzusetzen. Die Lernwerkstätten sind ein- oder mehrtägig konzipiert und bieten verschiedene miteinander kombinierbare Module an. Die Angebote beinhalten eine Vorbereitung auf das historische Thema in den Räumen des Jugend Museums, eine begleitete Spurensuche im Gedenkort, eine Führung durch die Ausstellung, Vertiefungs- und Recherchemöglichkeiten im Archiv des Gedenkorts zu Themen wie Häftlingsbiographien, Haftbedingungen oder juristische Aufarbeitung. Es besteht auch die Möglichkeit, dass die Jugendlichen Interviews mit Passanten führen, um sich aktiv mit der Bedeutung und den verschiedenen Formen von Erinnerung auseinanderzusetzen.
Eine weitere Option ist es, die 200-jährige Geschichte des gesamten ehemaligen Kasernenkomplexes mit Hilfe des Geschichtsparcours Papestraße zu thematisieren. Auf vierzehn auf dem Gelände verteilten Informationstafeln lassen sich die ursprüngliche Nutzung und die vielfaltigen Wandlungen des Areals gut erkennen. Ebenso ist es möglich, den in Fußnähe zum Gedenkort gelegenen Informationsort Schwerbelastungskörper miteinzubeziehen. Der Schwerbelastungskörper aus dem Jahr 1941 ist Zeugnis der monströsen nationalsozialistischen Stadtplanung unter Regie des „Generalbauinspektors für die Reichshauptstadt“ Albert Speer.
Die Lernwerkstätten enden mit dem Austausch über die gemachten Erfahrungen und einer Vorstellung der Ergebnisse. Diese können anschließend in einem eigens dafür vorgesehenen „Ausstellungstisch“ im Gedenkort präsentiert werden.