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Dr. Malgorzata Kaczorowska über "1989" in Polen

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Beitrags-Autor: AHomann

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Dr. Malgorzata Kaczorowska ist Politologin an der Universität Warschau. Deutschland kennt sie aus eigener Erfahrung während des Studiums. Ihr Spezialgebiet ist Polen nach 1989. Sie ist Autorin zahlreicher Artikel und Publikationen.

Ein Gespräch mit der Warschauer Politologin Dr. Malgorzata Kaczorowska über die Wahrnehmung der Wende in Polen.

Lernen aus der Geschichte (LadG): 20 Jahre sind seit dem Fall der Berliner Mauer vergangen. Öffentliche Großkampagnen in Deutschland konzentrieren sich fast ausschließlich auf dieses Ereignis, blenden seinen langen Vorlauf fast vollständig aus. Wie stehen Sie zu der Debatte in Deutschland?

Dr. Malgorzata Kaczorowska (MK): Die Berliner Mauer war und ist in Deutschland und Westeuropa das Symbol der Teilung schlechthin! Zudem gibt es sehr emotionale Fernsehbilder von der Nacht des Mauerfalls. Deshalb kann ich diese Wahrnehmung verstehen. Doch dass die Wende schon früher, nämlich 1980 in Polen begann, ist in Deutschland weniger bekannt.

Im August 1980 wurde die erste freie Gewerkschaft Solidarność (Solidarität) gegründet. Daher wird der Mauerfall in Polen auch eher als eine Folge der Solidarność-Bewegung wahrgenommen. Hier ist der Jahrestag des 4. Juni 1989 wichtiger. An diesem Tag fanden vor 20 Jahren die ersten halbfreien Wahlen in Polen statt, die mit einer herben Niederlage der Kommunisten endeten und die Wende einläuteten. Man spricht in dem Zusammenhang auch von einer „Lawine“, die nicht mehr aufgehalten werden konnte.

LadG: Der Anteil von Lech Wałęsa und der Solidarność an der Wende in Polen wird in Deutschland hoch eingeschätzt. Welche Bedeutung wird Walesa und der Solidarnosc heute in Polen zugestanden?

MK: In Polen besteht ein Konsens darüber, dass Lech Wałęsa das Symbol der Transformation ist. Danach gehen die Meinungen aber auch schon auseinander. Die Kritik an seiner Person ist aber auch an jene Anhänger der damaligen Opposition gerichtet, die am Runden Tisch (6. Februar bis 5. April 1989) angeblich die Ideale der Solidarność verrieten, indem sie mit den Kommunisten überhaupt erst sprachen. Die Kernfrage zielt darauf ab, ob man sich überhaupt zusammen an den Verhandlungstisch hätte setzen sollen. Man muss jedoch auch sagen, dass diese Debatte eine Generationsfrage ist.

Für jüngere Menschen ist diese Frage von geringerer Bedeutung. Ihrer Meinung nach war ein gewisser Grad an Kompromissbereitschaft notwendig. Was die Person Wałęsa angeht, so sieht die junge Generation in ihm keinen perfekten Helden, sondern eher einen Menschen mit Stärken und Schwächen, der viel für Polen geleistet hat. Die Solidarność-Bewegung zerfiel hingegen nach dem siegreichen vereinten Kampf gegen den Kommunismus in verschiedene Splittergruppen und verlor somit auch ihre Macht. Heute ist die Solidarność eine, der rechtskonservativen Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) nahestehende, Gewerkschaft von geringer Bedeutung.

LadG: Welche Bedeutung hat das Jahr 1989 in der polnischen Debatte zur „Wende“ in Mittel- und Osteuropa?

MK: 1989 wird in Polen vielseitig wahrgenommen. Zum einen gilt das Jahr als der Beginn der Transformation, des Runden Tisches und der ersten halbfreien Wahlen. Die Jahre 1980 (Gründung der Solidarność) sowie 1981 (Ausruf des Kriegszustandes) sind aber ebenso in der Öffentlichkeit präsent.

Die Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag sind in Polen zur Zeit sehr umstritten. Es herrscht Uneinigkeit darüber, wo gefeiert werden soll, ob in Danzig oder Krakau. Außerdem werfen die aktuellen Schließungspläne der Danziger Werft einen dunklen Schatten auf die öffentlichen Feierlichkeiten. Die polnische Politik möchte der Welt nämlich keine Bilder von streikenden Werftarbeitern präsentieren. Das historische Datum wird also eher für gegenwärtige politische Zwecke vereinnahmt.

LadG: Wie bewerten Sie das historische Lernen über die Geschichte 1944/45 bis 1989 im heutigen Polen? Woher beziehen Schüler/innen vorrangig ihr Wissen und welche Rolle spielt die Schule bei der Vermittlung?

MK: Die Geschichte der Volksrepublik Polen (1944 bis 1989) wird in der Oberschule als letztes Thema behandelt. Oft bleibt am Ende allerdings keine oder nur wenig Zeit übrig, so dass von einer umfassenden Information über die kommunistische Vergangenheit keine Rede sein kann. Wer sich jedoch sehr interessiert, hat die Möglichkeit, sich außerhalb des Unterrichts in Arbeitsgemeinschaften mit dem Thema zu beschäftigen.

Ansonsten ist der Geschichtsunterricht in Polen noch immer sehr auf den Zweiten Weltkrieg konzentriert. Die junge Generation weiß demnach relativ wenig über die Volksrepublik. Dabei sollte, meiner Meinung nach, die Schule doch ein Einstieg ins Thema sein. Dort sollte das Interesse geweckt werden, Namen und Fakten vermittelt werden. Doch in der Praxis ist alles stark von der Person des Lehrers oder der Lehrerin abhängig.

LadG: Welchen Stellenwert besitzt die historisch-politische Bildung (in und außerhalb der Schule) in Polen? Was sind mögliche zukünftige Entwicklungen?

MK: In den polnischen Schulen wird überwiegend enzyklopädisches Wissen vermittelt und weniger die Fähigkeit zu genauen Analyse gelehrt. Dabei ist doch besonders in der Geschichte nicht alles schwarz/weiß! Es sind die Grautöne dazwischen, die unter die Lupe genommen werden müssen. Nicht die Fragen nach dem „was“, sondern nach dem „warum“ bilden doch letztlich die Grundlage für eine produktive Diskussion über Polens Geschichte. Nun ist es aber leider so, dass Lehrer/innen in Polen schlecht bezahlt werden und der Beruf mit geringem Prestige verbunden ist. Zudem hängt der Unterricht stark vom Interesse der Lehrenden ab.

Doch ein Generationswechsel zeichnet sich ab. Junge Menschen strömen in die Schulen. Die alten Lehrer/innen, die ihren Beruf noch in der Volksrepublik erlernten, gehen langsam in Rente. Das ist ein Grund zur Hoffnung! Noch kurz zur politischen Bildung in Polen. Leider fehlt eine Art polnische Bundeszentrale für politische Bildung. Junge Menschen sehen in historisch-politischer Bildung keine Priorität. Allerdings könnte man sagen, dass viel im Rahmen eines Ehrenamtes vermittelt wird. Soziales und politisches Engagement bei Greenpeace oder Amnesty International bietet eine Art Ersatzmöglichkeit für die politische Bildung.

LadG:  Frau Dr. Kaczorowska, wir danken Ihnen herzlich für das Interview.

Wir möchten Sie noch auf das Magazin P+ (ehemals Polenplus) verweisen, dessen Ausgabe 9/2009 sich mit dem 20-jährigen Jubiläum der Ereignisse von 1989 beschäftigt.
Weitere Informationen: http://www.polenplus.eu

 

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