Gedenkstätten mit doppelter Vergangenheit verbinden die Chance, die Lernen an historischen Orten bietet, mit der Möglichkeit, vergleichende Aspekte von staatlichen Unrechtssystemen thematisieren zu können. Prominente Beispiele sind das Konzentrationslager und Speziallager Nr. 7 Sachsenhausen in Brandenburg oder das Konzentrationslager und Speziallager Nr. 2 Buchenwald in Thüringen. Die Gedenkstätte Buchenwald stellt auf ihrer Homepage Unterrichtsmaterialien zum Download bereit, die von Lernen aus der Geschichte ebenfalls vorgestellt werden. Aber auch kleinere, weniger bekannte Orte politischen Terrors der beiden unterschiedlichen deutschen Diktaturen bieten Möglichkeiten für die historische Bildungsarbeit.
Gedenkstätte Roter Ochse, Halle
Das ehemalige Gefängnis Roter Ochse in Halle ist solch ein Ort mit doppelter Vergangenheit. Im Nationalsozialismus war er Zuchthaus und Hinrichtungsstätte, seit Herbst 1950 Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit. Heute befindet sich im Roten Ochsen eine Gedenkstätte, die mit zwei Dauerausstellungen an die Opfer von zwei Diktaturen erinnert.
Die Geschichte des Gefängnisses reicht allerdings noch weiter zurück. Bereits seit 1848 fungierte das Gebäude als Haftanstalt; im 19. Jahrhundert genoss es als Reformgefängnis Bedeutung weit über die Grenzen des preußischen Staates hinaus. In der Zeit des Nationalsozialismus waren hier sowohl kriminelle und kriminalisierte sowie politische Häftlinge inhaftiert, während des Zweiten Weltkrieges auch ausländische Gefangene. Zwischen 1942 und 1945 wurden hier außerdem über 500 Gefangene hingerichtet. Unmittelbar nach Kriegsende diente der Rote Ochse dem sowjetischen NKWD als Haftanstalt und wurde 1952 den deutschen Stellen übergeben. Neben Kriminellen waren auch nun wieder politisch Verfolgte inhaftiert, zu Anfang vor allem Zeugen Jehovas, in der Ära Honecker dann auch so genannte „Republikflüchtlinge“ und „Übersiedlungsersuchende“.
Die Gedenkstätte Roter Ochse hat es sich heute zum Ziel gesetzt, „den Verlust von Menschenrechten und rechtsstaatlichen Prinzipien in Folge des Herrschaftsanspruches demokratisch nicht legitimierter Regierungs- und Staatsformen“ zu thematisieren und „vergleichende Aspekte, aber auch […] solche der Singularität in der Entwicklung derartiger Unrechtssysteme“ herauszustellen.
Die Gedenkstätte bietet zwei Dauerausstellungen, die sich der politischen Justiz in den Jahren 1933 bis 1945 und 1945 bis 1989 widmen, Sonderausstellungen, verschiedene Veranstaltungen sowie eine Bibliothek mit einem großen Sammlungsbestand an Zeitzeugendokumenten und einem Zeitzeugenbüro. Das Bildungsangebot umfasst neben geführten Rundgängen und Fortbildungen für Multiplikator/innen auch Schüler/innenprojekte unterschiedlicher inhaltlicher Ausrichtung und Dauer.
In Kleingruppen erschließen sich die Jugendlichen mit Hilfe von Dokumenten, Verordnungen, Fotos und Zeitzeugenaussagen die Inhalte des jeweiligen Themas selbständig. Alle Projekte sind produktorientiert und modulartig angelegt. Sie können so auf die jeweilige Gruppe zugeschnitten werden. Für die abschließende Präsentation können die Lernenden eine Variante aus einem Pool von Möglichkeiten wählen. Zurzeit werden 6 verschiedene Themen angeboten: „Geschichtshappen – Arbeit mit Themenblättern“ (ca. 2h), „Tatbestand… Justiz und Nationalsozialismus“, „Blick hinter die Effektennummer. Der „Rote Ochse“ als Untersuchungshaftanstalt des MfS“, „Der 17. Juni 1953. Der Arbeiteraufstand im Spiegel der regionalen Medien“ (jeweils 5-6h), „Herbst 1989. Die Friedliche Revolution in Halle (1989/1990)“ sowie „Die doppelte Vergangenheit. Systemvergleich der zwei Diktaturen in Deutschland“ (jeweils drei Tage). Die Jugendlichen sollen sich die politischen Strukturen erarbeiten, das Handeln der Täter einschätzen und Ermessungsspielräume der politischen Justiz beurteilen können. Das Ziel des Projektes ist es, dass die Lernenden argumentativ verdeutlichen können, was der Unterschied zwischen Leben in der Diktatur und Demokratie bedeutet.
Alle Schüler/innenprojekte sind für die 9. bis 12. Klasse der allgemein bildenden Schulen geeignet. Der Eintritt in die Gedenkstätte ist frei, die Bildungsangebote sind kostenlos. Nähere Informationen erhalten Sie auf der Homepage der Bildungsstätte Roter Ochse.
Gedenkstätte Münchener Platz, Dresden
Die Gedenkstätte Münchener Platz in Dresden beschäftigt sich mit der politischen Strafjustiz und ihren Opfern während der nationalsozialistischen Diktatur, der sowjetischen Besatzungszeit und der frühen DDR. Bis Ende 1956, als die DDR-Justiz das letzte Todesurteil am Münchner Platz vollstrecken ließ, wurde das 1907 als Königlich-Sächsisches Landgericht eröffnete Gebäude als Gerichtsort, Haftanstalt und Hinrichtungsstätte genutzt. Bereits 1959 wurde eine Gedenkstätte eingeweiht, die den Opfern nationalsozialistischer Strafjustiz gewidmet war, so dass auch die Geschichte der Gedenkstätte selbst einen interessanten Einblick in die Gedenkkultur in DDR und BRD bieten kann.
Die Gedenkstätte bietet Führungen, Lehrer/innenfortbildungen, Filmvorführungen und Projektarbeit für Lernende ab der 8. Klasse an. Wegen Umbaumaßnahmen und der Vorbereitung einer ständigen Ausstellung ist das Angebot der Gedenkstätte zurzeit eingeschränkt. Es werden keine Schüler/innenprojekte oder Sonderausstellungen angeboten. Geführte Rundgänge sind nach Absprache möglich und für Schulklassen und Gruppen von Studierenden kostenlos. Die Dauerausstellung wird voraussichtlich 2012 eröffnet werden.
Dokumentations- und Informationszentrum, Torgau
Das Dokumentations- und Informationszentrum Torgau widmet sich der Geschichte verschiedener Torgauer Haftstätten aus der Zeit des Nationalsozialismus, der sowjetischen Besatzungszeit und der DDR. Mit den beiden Militärgefängnissen »Fort Zinna« und »Brückenkopf« und dem Reichskriegsgericht entwickelte sich Torgau während des Zweiten Weltkriegs zur Zentrale des Wehrmachtstrafsystems. 1945 richtete die sowjetische Geheimpolizei NKWD im »Fort Zinna« und in der benachbarten Seydlitz-Kaserne die Speziallager Nr. 8 und Nr. 10 ein. Die DDR-Volkspolizei nutzte das Gefängnis von 1950 bis 1990 für den Strafvollzug. In den fünfziger und sechziger Jahren saßen insbesondere politische Gefangene hier ein.
1991 gründete sich das DIZ Torgau, deren Sitz und Ausstellung sich heute im Schloss Hartenfels befindet, da der zentrale Haftort »Fort Zinna« heute als Justizvollzugsanstalt des Freistaates Sachsen genutzt wird. Die Dauerausstellung informiert über die Geschichte der Torgauer Haftorte, zudem gibt es Sonderausstellungen, Führungen, Filmvorführungen und Lehrerfortbildungen.
In eintägiger Projektarbeit können sich Schulklassen mit folgenden Themen auseinandersetzen: „Torgau im Hinterland des Zweiten Weltkriegs. Militärjustiz, Wehrmachtgefängnisse, Reichskriegsgericht“, „»Feindliche Elemente sind in Gewahrsam zu halten«. Die sowjetischen Speziallager Nr. 8 und Nr. 10“, „»Heute: Haus der Erziehung«
Der Strafvollzug der DDR in Torgau 1950 bis 1990“ oder an einem dreitägigen Theaterprojekt teilnehmen.
Dauer, Ablauf und inhaltliche Schwerpunkte können individuell abgesprochen werden, die Projekttage außerdem mit historischen Stadtrundgängen bzw. –fahrten, Filmvorführungen oder Zeitzeugengesprächen mit ehemaligen Häftlingen kombiniert werden. In längerfristigen Projekten des forschenden Lernens führen Lernende mit Unterstützung des DIZ Torgau selbstständig Recherchen zu Aspekten der Torgauer Haftstättengeschichte bzw. zu Biografien von ehemaligen Häftlingen durch
Nähere Informationen zum Angebot erhalten Sie auf der Homepage des DIZ Torgau.
Gedenkstätte Bautzen
In der sächsischen Kleinstadt Bautzen befindet sich ebenfalls ein Gedenkort mit doppelter Vergangenheit: Die Gedenkstätte Bautzen (http://www.stsg.de/cms/bautzen/startseite) dokumentiert die Geschichte der beiden Bautzener Gefängnisse im Nationalsozialismus, der sowjetischen Besatzungszeit und der SED-Diktatur. Lernen aus der Geschichte hat die Gedenkstätte Bautzen bereits ausführlich in einem anderen Beitrag vorgestellt.