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Comic lesen hat Konjunktur. Das gilt für die Rezeption durch breite Leser/innenschichten von Jung bis Alt, wie auch für den Einsatz in der historischen und politischen Bildung. Sicherlich liegt das letztgenannte Interesse unter anderem darin begründet, dass Pädagog/innen sich mittels des intermedialen Charakter der sequentiellen Geschichten des Comics mit ihrem intermedialen Charakter einen Zugriff auf die vielzitierten jugendlichen Lebenswelten erhoffen, der scheinbar zwangsläufig tief gehende Bildungsprozesse ermöglicht. Sicherlich kann festgehalten werden, dass Comics „als Träger geschichtspolitischer Positionen“ (S.44) ernst zu nehmen sind.
Schon der Titel des vorliegenden Bandes „Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in Comic“ zur gleichnamigen internationalen Tagung im März 2010 weist uns darauf hin, dass dem Comic nicht nur eine aufklärerische und emanzipatorische Seite zu eigen ist. Der Herausgeber, Ralf Palandt, selbst Comic Zeichner und ein profilierter Lobbyist des Mediums, stellt fest, dass wer sich mit den titelgebenden Problemfeldern befasse, nicht an Comics vorbei käme (S. 6). Gerade weil Bilderwelten eine große Wirkungsmacht entfalten und weil selbst in Fachkreisen die Meinung vertreten wird, es gäbe keine rechtsextreme Comickultur, bzw. diese wegen ihrer schlechten handwerklichen Ausführung nicht ernst genommen wird, erscheint eine vertiefende Auseinandersetzung ratsam. Dazu liefern, um die Würdigung vorwegzunehmen, die sechsundzwanzig Aufsätze mehrheitlich sehr gute Anregungen auf wissenschaftlichem Niveau und die liebevolle Ausstattung des Bandes mit vielen mehrfarbigen Beispielen aus der gezeichneten Welt macht das Ganze zu einem besonderen Leseerlebnis.
Die ausführliche Einleitung des Herausgebers bietet denn auch mehr als nur einen Überblick zu den folgenden Aufsätzen. Palandt skizziert, dass sich stereotype Darstellungen in den Bereichen Antisemitismus und Rassismus nicht ausschließlich auf Comics beschränken, die aus dem rechtsextremen Milieu stammen, bzw. die im Faschismus ihre Wurzeln haben. Die Beschränkung auf den Begriff Faschismus, wie durch Palandt verwendet, irritiert auf den ersten Blick und wirft doch ein Schlaglicht auf eine Lücke, denn leider steht ein geplantes Forschungsprojekt zum Comic im Nationalsozialismus noch aus. Dessen Umsetzung scheiterte bisher an fehlender finanzieller Förderung.
Auffallend in der Konzeption des Bandes ist die relativ breite Problematisierung des Antisemitismus, die mehrere Autor/innen vornehmen. Wurde vor wenigen Jahren noch Antisemitismus bestenfalls als besondere Ausformung von Rassismus betrachtet, so spiegelt sich eine veränderte gesellschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Ressentiment auch im vorliegenden Band wider. Die Analyse von judenfeindlichen Stereotypen in italienischen Comics von Giulio C. Cuccolini legt den Schwerpunkt auf den italienischen Faschismus. Damit tritt er einem verbreiteten Irrglauben entgegen, dass der Antisemitismus im italienischen Faschismus kaum eine Rolle gespielt habe. Die Bildsprache des Alltagsmediums Comic zeigt hier deutlich andere Facetten. Cuccolinis Fazit lautet, dass „Italian anti-Semitism has been one oft the worst and most criminal acts oft the Fascist regime“ und „the behaviour of Italians towards the Jews under Fascism was characterized by paradox and ambiguity“ (S. 98). Die Verwendung von antisemitischen Stereotypen in beliebten Comicreihen wie Tim und Struppi von Hergé oder Asterix, in denen sich nebenbei auch zahlreiche rassistische und kolonialistische Motive finden lassen, thematisieren unter anderem der Zeichner Ole Frahm und Regina Schleicher in ihren Aufsätzen. Frahm macht auf eine Besonderheit des Comics und zugleich auf die Problematik von Bildsprache aufmerksam: So sei es „kein Geheimnis, dass alle Figuren im Comic stereotypisiert sind“ und Figuren „auf bestimmte Eigenschaften reduziert werden“ (S. 152). In Bezug auf die Antisemitismus-Problematik bei Hergé geht Frahm ausführlich der These nach, dass der französische Zeichner die durch rassistische Klischees charakterisierte Figur des Bankiers Blumenstein/Bohlwinkel braucht, „um das antisemitische Stereotyp selbst als wahnhafte Vorstellung zu reflektieren“ (S.152). An die komplexe Analyse anknüpfen lässt sich auch mit Isabel Enzenbach vom Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung, die sich in ihrem äußerst lesenswerten Beitrag mit der antisemitischen Ikonologie in populären Medien auseinandersetzt. Enzenbach hält fest, dass die „Deutung visualisierter Judenfiguren“ nicht beliebig sei, sondern sich aus der „ikonologischen Auseinandersetzung mit den Motivtraditionen und -kombinationen“ sowie den „Entstehungs – und Rezeptionszusammenhängen der Bilder“ (S. 169) ergebe. „Ironisierungen und satirische Zuspitzungen“ (ebd.) seien aber als solche wahrzunehmen und die Vielschichtigkeit der Entstehungsgeschichte von Bildern nicht durch schnelle und letztlich vereinfachende Antworten zu ignorieren.
Breit diskutiert werden in unterschiedlichen Kapiteln selbstverständlich auch Einsatzmöglichkeiten des Comics als (Bildungs-)Medium, das gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wirksam sein soll, aber auch der Einsatz als Geschichtsmedium im Schulunterricht oder in Geschichtswerkstattprojekten zu den Themen Nationalsozialismus und Holocaust. Unter der erstgenannten Kapitelüberschrift finden sich auch die einzigen beiden Aufsätze, die gegenüber dem sonst hohen Niveau der Essays abfallen. Das gilt für den Beitrag des Politikwissenschaftlers Thomas Grumke in mehrfacher Hinsicht – formal und inhaltlich. Thomas Grumke stellt Andi, einen „Bildungscomic für Demokratie und gegen Extremismus“ vor und Peter Schaaf beschreibt in einem Text die Entstehung der Andi-Hefte. Eigentlich handelt es sich bei Andi um eine dreibändige Reihe im Mangastil für deren Text Grumke verantwortlich zeichnet. Die Bilder stammen aus der Feder von Peter Schaaf und die Herausgeberschaft der Reihe liegt beim nordrheinwestfälischen Landesamt für Verfassungsschutz, dessen Mitarbeiter Grumke ist. Die drei Hefte befassen sich mit Rechtsextremismus, Islamismus und Linksextremismus und wollen sich „dezidiert positiv auf die Demokratie“ (S.182) beziehen und das „Thema Extremismus zielgruppengerecht“ (ebd.) aufarbeiten. Zu den Heften sind inzwischen verschiedene Unterrichtsentwürfe erhältlich. Kritisch ist das Heranziehen des Extremismusbegriffs anzumerken, der wenig tauglich ist so unterschiedliche Phänomene wie Rechtsextremismus, Islamismus und Linksradikalismus zu fassen und wissenschaftlich als umstritten gilt. In der Logik von Geheimdiensten mag eine solche Kategorie nützlich sein, für Lern- und Bildungsprozesse ist sie es kaum. Und hier scheint gleich die nächste Problematik auf. Sie besteht darin, dass ein Amt wie das Landesamt für Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen, wie im Übrigen auch in anderen Bundesländern, zunehmend stärker in die politische Bildungsarbeit drängt, während gleichzeitig der Bundeszentrale für politische Bildung Mittel in Millionenhöhe gestrichen werden oder Landeszentralen für politische Bildung gleich ganz aufgelöst wurden. Grumke reflektiert diese gesamte Problematik in seinem Beitrag nicht einmal im Ansatz. Im Gegenteil. Kritik wird hinweggewischt. So wird eine grundsätzliche Kritik seitens des Leiters der Aussteigerinitiative EXIT Bernd Wagner in einem Atemzug mit Äußerungen rechtsextremer Blätter zu Andi genannt und als „diffuser Text“ (S. 185) abgetan. An anderer Stelle verortet Grumke Kritiker/innen ganz selbstverständlich im Spektrum von „radikal und extremistisch linken Zusammenhängen“ (S. 188) und wirft dabei undifferenziert die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN/BdA), das globalisierungskritische Webportal indymedia, die Zeitschriften Jungle World und konkret mit der Autonomen Antifa und der Zeitung Junge Welt in einen Topf (ebd.). Das einzelne der aufgeführten Medien sicherlich problematisch sind, wie beispielsweise die Junge Welt mit ihrer antisemitisch grundierten Israelfeindschaft, sei unbenommen. Doch Grumkes Aufzählung hat sichtlich vor allem denunziatorischen Charakter. Eine notwendige Heranführung Jugendlicher an die Demokratie, mit der Reflexion ihrer Stärken und Schwächen, sieht anders aus. Grumke betreibt letztlich Propaganda, das Gegenteil von einer dem Kontroversitätsprinzip verpflichteten Bildungsarbeit. Der Erfolg von Andi, den der Autor beschreibt, dürfte vor allem darauf beruhen, dass die Hefte kostenfrei abgegeben werden, mit großem Aufwand vertrieben werden und simplifizierte Darstellungen von komplexen jugendlichen Lebenswelten geben. Das Medium Comic bietet hierbei letztlich nur eine austauschbare Hülle. Das scheint auch dem Herausgeber Ralf Palandt ersichtlich, der die Beiträge von Grumke und Schaaf vorsichtig kritisch würdigt und zu dem Schluss kommt, es täte „sich eine Kluft auf zwischen dem Comic und der Realität, bzw. der erlebten Wirklichkeit von Jugendlichen“ (S. 39).
Ausführlich wird der Einsatz von Comics zu Nationalsozialismus und Holocaust diskutiert. Allein zwölf Beiträge beschäftigen sich mit verschiedenen (geschichts-)didaktischen, philosophischen und populär-kulturellen Aspekten der Thematik. Vorgestellt werden inzwischen bekanntere Projekte wie der Geschichtscomic Die Suche des Berliner Anne Frank Zentrums durch Julia Franz und Patrick Siegele, deren Beitrag durch einen Blick von Christine Gundermann auf die „Geschichtspolitik in niederländischen Comics“ flankiert wird. Es kommen kritische Aspekte einer Unterhaltungsindustrie zur Sprache, der die Benutzung von Nationalsozialismus und Holocaust als „sinnentleertes Zitat“ (S. 411) dienen und bei der die gesamte populäre Spannbreite zwischen reflektierter Information und Unterhaltung, inklusive Sex & Crime ausgeschöpft wird, wie Hendrik Buhl eindrücklich belegt. Der Medienwissenschaftler Jacob F. Dittmar sieht im unterrichtlichen Einsatz von Comics ein großes Potential, da das Medium über die Schriftsprache hinaus „eine große Menge von Bild – und Zeichensprachen“ (S. 419) bietet und Bilder die Möglichkeit böten, Zustände zu beschreiben, „die in Worten nur schwer und aufwändig zu vermitteln“ (ebda.) seien. Allerdings sieht Dittmar auch die Problematik der Mythisierung des Nationalsozialismus im Comic, die unter anderem durch die entkontextualisierte und historisch nicht eingebettete Verwendung von NS-Symboliken in den Superheldengeschichten á la Batman oder Hellboy vorangetrieben wird. Dadurch würde der Holocaust eine „narrative Verhandlungsmasse, bevor er historische auch nur in den Grundzügen aufgearbeitet“ (S. 424) sei. Der Autor zieht das Fazit, dass es für den Einsatz von Comics in der Bildungsarbeit kein Patentrezept gibt. Elemente der Arbeit mit dem Medium sind das Dechiffrieren der unterschiedlichen Elemente der Bildsprache, auch solcher Teile der Erzählung, die nicht handlungsleitend sind, die Reflexion auf den hohen Glaubwürdigkeitsgehalt von Bildsprache im Allgemeinen und vor allem die individuelle Selbstreflexion der Inhalte durch die (jugendlichen) Leser/innen anzuregen.
Der Band wird durch die Reflexion von Comicworkshops in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte/Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen von Mirko Wetzel abgeschlossen, der einen Einblick in die außerschulische kulturelle Bildungsarbeit mit gezeichneten Geschichten gibt. Im Rahmen des Modellprojekt kunst-raum-erinnerung wurden Comics nicht nur rezipiert, sondern durch die Teilnehmer/innen selbst entworfen und gezeichnet. Dabei wurde die eigene „gestalterische Arbeit auch zu einer Auseinandersetzung mit den Grenzen künstlerischer Freiheit angesichts der Verbrechen.“ (S. 444)
Notgedrungen muss die hier vorgestellte Auswahl an Aufsätzen lückenhaft bleiben. Allen am Comic Interessierten sei daher der Band ausdrücklich ans Herz gelegt und für jene, die Comics in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit einsetzen erscheint das Werk beinahe als ein Muss, da es den Stand der Diskussion um Kunstform, Populärkultur und Didaktik umfassend dokumentiert.