Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
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Das Konzept der Projekte „Ein Stadtteil entdeckt seine NS-Geschichte“ verweist deutlich auf die Einrichtung, die es entwickelte: Das NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln, in dem lokalhistorisch die NS-Zeit dokumentiert, präsentiert und vermittelt wird. Die Erfahrungen der pädagogischen Arbeit flossen hier mit ein. Diese hatte gezeigt, dass über Alters- und Nationalitätengrenzen hinaus die Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit dazu geeignet ist, Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens zu diskutieren und zu erfahren, wohin es führt, wenn diese durch eine rassistische Ideologie geprägt werden.
Dabei lag das Ziel der Arbeit nicht allein darin, einzelne Aspekte der Lokalgeschichte zu beleuchten, sondern vor allem auch darin, den Gemeinsinn vor Ort zu stärken. Nicht die jeweiligen Unterschiede sollten betont werden, sondern der Blick lag auf einer Gemeinsamkeit: dem Ort, an dem wir leben. Es wurde Wert darauf gelegt, sowohl die verschiedenen Generationen als auch möglichst viele soziale Schichten und Nationalitäten einzubinden.
Die lokale Einheit, die gewählt wurde, sollte eine überschaubare Größe haben, um so spürbaren Einfluss auf das Klima ausüben zu können. Es ging darum, in die „Nachbarschaften“ zu wirken, hier Verbindungen herzustellen. Wenn die Rede von „Stadtteilarbeit“ ist, bezieht sich das auf die Verwaltungseinheit „Stadtbezirk“. Dies erleichterte die Einbeziehung politischer und sozialer Gremien, die als Bezirk organisiert sind. Als Bewohner allerdings empfindet man sich als Angehöriger eines Stadtviertels, und dieser Bezeichnung wurde hier der Vorzug gegeben.
Nicht alles wird übertragbar sein, und selbst in Köln gab es von Stadtteil zu Stadtteil wesentliche Unterschiede. So findet sich eine Bandbreite von Herangehensweisen, in der sich sicherlich der eine oder andere Ansatz für die eigene Arbeit vor Ort finden lässt.
Der Ansatz der Stadtteilarbeit richtete sich ausdrücklich an alle Bewohnerinnen und Bewohner eines lokal begrenzten Gebietes. Der Blick sollte nicht auf die Unterschiede zwischen den Menschen gerichtet sein, sondern auf die Gemeinsamkeit: die Gemeinsamkeit des Lebensortes. Die Beschäftigung mit der NS-Thematik sollte ermöglichen, Mechanismen und Konsequenzen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu analysieren – und dies im Austausch zwischen den Generationen und zwischen den Anwohnern ungeachtet ihrer familiären Herkunft. Das Konzept hatte ausdrücklich nicht die Zielgruppe „Jugendliche mit Migrationshintergrund“.
Soweit die Planung. Was wurde erreicht? Zunächst einmal: Trotz der Unterschiede in den einzelnen Stadtbezirken gab es überall intensive Begegnungen zwischen alten und jungen Menschen, zwischen Einheimischen und Zugewanderten. Allerdings waren altersmäßig gemischt zusammengesetzte (Arbeits-)Gruppen nicht zustande gekommen, da es wenige gemeinnützige Träger gibt, die diese Struktur aufweisen. Und von denen, wo dies der Fall ist (Sportvereine, freiwillige Feuerwehr u.ä.), hatte sich niemand auf unser Angebot hin gemeldet. Das könnte bei der Durchführung vergleichbarer Projekte in eher ländlich geprägten Gebieten durchaus anders sein als in einer Großstadt.
Die beteiligten Gruppen waren auch insofern recht homogen, als es sich bei den meisten Teilnehmenden um Menschen mit einer Zuwanderergeschichte handelte. Selbst bei vielen der beteiligten Schulprojekte war dies der Fall. Hier spielt natürlich eine Rolle, dass die ausgewählten Stadtbezirke eine überdurchschnittlich hohe Quote von Menschen mit Migrationshintergrund haben – unter anderem deshalb wurden sie ja ausgewählt. Und auch die Art der beteiligten Schule spielte eine Rolle: In Grund- und Hauptschulen überwogen in allen Stadtbezirken die Zuwandererkinder. Nur in Köln-Mülheim zeigte sich auf Grund der dortigen Trägerstruktur ein etwas anderes Bild. Sowohl in der Geschichtswerkstatt als auch in den beiden Einrichtungen MüTZe und Kulturbunker waren auch viele einheimische Deutsche am Werk. Das Thema NS-Geschichte sowie die Arbeit mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen führte dann aber doch überall zu dem gewünschten Ergebnis: Kontakte zwischen den Generationen wurden hergestellt, es wurden Gespräche geführt und es wurde zugehört – ein erster Schritt zur Annäherung, zum gegenseitigen Kennenlernen und zum Überwinden von Fremdheit.
Die Methode der Spurensuche erwies sich aus mehreren Gründen als geeignet. Zunächst versprach sie Eigenaktivität, die Entdeckerfreude wurde geweckt. Diejenigen, die nichts oder nur sehr wenig von der NS-Geschichte wussten, erfuhren hier vieles für sie Neue, Interessante, und diejenigen, die schon gut informiert waren, erhielten einen vertiefenden Einblick in die Lokalgeschichte, von dem sie häufig überrascht waren: So etwas geschah hier, in ihrer Straße, an ihrem Wohnort! „Ich sehe die Stadt, in der ich lebe, nun mit anderen Augen“, zog ein Schüler Bilanz aus dem Erfahrenen – eine Einschätzung, die von vielen geteilt wurde.
Bei einer ganzen Reihe von Menschen mit Migrationshintergrund, besonders deutlich bei den zahlreichen Einwanderern aus der früheren Sowjetunion in der Synagogengemeinde Chorweiler, half die Aneignung von Geschichte aber auch dabei, mit dem Wohnort überhaupt erst einmal vertraut zu werden und sich diesen Wohnort als neue Heimat zu erschließen. Wenn ein Baum verpflanzt wird und wieder anwachsen soll, muss er den Boden erkunden, dem er sich anpassen soll. Wenn dieser gelockert wird, können die Wurzeln leichter einen Halt finden. So ergeht es auch den Menschen: Wenn sie an einen fremden Ort kommen und sich dort irgendann heimisch fühlen sollen, müssen sie sich mit der Vergangenheit dieses Ortes vertraut machen. Wir können dies erleichtern, indem wir ihnen Wege hierzu aufzeigen, beispielsweise durch die Begegnung mit Zeitzeugen oder vermittelt durch Experten und Geschichtswerkstätten.
In Köln leistete dabei auch das NS-Dokumentationszentrum im EL-DE-Haus mit dem Gestapo- Gefängnis und der Dauerausstellung „Köln im Nationalsozialismus“ eine wichtige Hilfestellung. Die Führungen im Rahmen der Projektarbeiten halfen mit, die häufig vorhandene Schwellenangst vor kulturellen Einrichtungen – wie es ein Museum ist – zu überwinden. Selbst wenn das EL-DE-Haus schon einigen wenigen durch Besuche mit der Schulklasse bekannt war, so war es im Rahmen der eigenen Forschungen doch noch einmal in anderer Weise präsent. Es wurde deutlich: Die Einrichtung steht allen Menschen zur Verfügung, die sich über Fragen der NS-Zeit informieren wollen. Forschungsmittel wie Bibliothek und Datenbanken wurden kennengelernt, und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des NS-Dokumentationszentrums als freundlich und hilfsbereit erfahren. Die meisten der Beteiligten gaben an, das Haus nun häufiger besuchen zu wollen, da es ja noch so viel zu entdecken gebe. Aber schon jetzt zeigte es sich, dass die Projektbeteiligten häufig selbst zu „Experten“ geworden waren und am Ende mehr über die Geschichte des Wohnortes wussten als die Anwohner, die ihnen begegneten! Das verhalf besonders den beteiligten Kindern zu einem gestärkten Selbstbewusstsein. Vor allem ihr offenes Zugehen auf die seit langem ortsansässige Bevölkerung überwand soziale Barrieren und half mit, mögliche Vorurteile abzubauen. Und, was vielleicht das Wichtigste war: Sie erlebten sich nicht als Objekte pädagogischer Bemühungen, sondern als aktive Subjekte, die sogar in der Lage waren, durch die Info- und Gedenktafeln für alle sichtbare Spuren an ihrem Wohnort zu hinterlassen. So wird die Stadt auch ein wenig mehr „die ihre“, das Gefühl von Fremdheit wird geringer – ein kleiner Schritt in Richtung auf die immer wieder beschworene „Integration“ wurde so möglich.
Eine Voraussetzung für den Erfolg der Projekte war die Motivation der Beteiligten. Hier zeigte sich deutlich: Wenn die Verantwortlichen in den Trägertreffen voll hinter der Idee standen und selbst neugierig waren auf das, was zu entdecken war, dann gelang es auch, den Funken überspringen zu lassen. „Es muss Herzblut im Spiel sein“, betonte eine Kollegin des Teams. Wenn die Projekte dagegen nur routinemäßig beantragt und abgewickelt wurden, bedurfte es einiger Unterstützung von Seiten der Koordinierungsstelle, um mehr zu erreichen als eine Hochglanzbroschüre – nämlich Menschen anzusprechen, ihr Interesse zu wecken, sie selbst tätig werden zu lassen.
Die einzelnen Stadtbezirke unterschieden sich vor allem durch die beteiligten Träger-Institutionen. War zu Beginn des Förderzeitraums in Köln-Ehrenfeld noch sehr viel organisatorische Unterstützung durch die Koordinierungsstelle nötig, so verringerte sich dieser Einsatz in Köln-Mülheim durch den Einsatz eines lokalen Koordinators, der für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sorgte und die Trägertreffen organisierte. Er war auch die Verbindungsstelle zwischen den einzelnen Projektträgern und der Koordinierungsstelle. Diese Konstruktion trug sehr zur Entlastung der Koordinierungsstelle bei. Allerdings schweißte die Notwendigkeit, alles selbst organisieren zu müssen, die Ehrenfelder Gruppen enger zusammen, und dass die Arbeit noch einen eher experimentellen Charakter hatte, empfanden die Beteiligten durchaus als positiven Freiraum, den es nun mit eigener Kreativität zu füllen galt. Und es gab ja so viel zu entdecken!
In Köln-Mülheim hatte sich mit der dortigen Geschichtswerkstatt ein Träger beteiligt, der schon über lokalhistorisches Wissen verfügte. So bot sich für die anderen Teilnehmer eine gute Anlaufstelle für die Informationssuche, gleichzeitig wirkte die Geschichtswerkstatt bei der Durchführung vieler Einzelprojekte mit. Ein Ergebnis war, dass in diesem Stadtbezirk die meisten im Stadtbild sichtbaren Zeugnisse der Aufarbeitung der NS-Geschichte entstanden sind. Auch die Infrastruktur mit den beiden beteiligten Bürgerzentren Kulturbunker und MüTZe unterschied sich von den anderen beiden Stadtbezirken. Das erleichterte vor allem die Gestaltung des Abschlussfestes, da sehr zentral gelegene geeignete Räume, perfekt ausgestattet, zur Verfügung standen. Ein kleiner Wermutstropfen bestand allerdings darin, dass das Vorhandensein so vieler „Profis“ es den übrigen Beteiligten manchmal abnahm, selbst auf historische Spurensuche gehen zu müssen.
Köln-Chorweiler war mit Abstand das „riskanteste“ Unternehmen. Würde der Ansatz auch in einem Stadtbezirk funktionieren, in dem weite Teile zur NS-Zeit noch gar nicht bestanden hatten? Hier war Kreativität gefragt, die vor allem durch das organisierende Medium des Dokumentarfilms gegeben war. Die Jugendlichen begaben sich auf Recherchetour in die einzelnen Dörfer und zu einzelnen landwirtschaftlichen Betrieben des Stadtbezirks, die schon in der NS-Zeit bestanden hatten, oder sie befragten die Menschen in der Einkaufszone des „neuen“ Chorweiler Zentrums. Durch die Methode des Filmens wurden die einzelnen Projekte miteinander verbunden und erhielten eine besondere Gewichtung. Dass die Zusammenarbeit mit Jugendlichen eines Jugendzentrums und den Besucherinnen und Besuchern der Begegnungsstätte der Synagogengemeinde nicht zustande kam, hatte niemand vorausgesehen. Aber die weitere Arbeit hat uns gezeigt: Wenn man merkt, dass es Widerstände und Probleme gibt, ein ursprünglich geplantes Ergebnis zu erreichen, so ist das kein Grund, die Flinte ins Korn zu werfen. Manchmal kommt man über Umwege besser zum Ziel, auch wenn es länger dauert.
Sehr gut bewährt hat sich der Aufbau der Arbeit als „Kampagne“. Das Merkmal dieser Vorgehensweise besteht darin, dass es eine klare zeitliche Begrenzung und ein geplantes und koordiniertes Zusammenwirken mehrerer Personen gibt. Das auf ein Jahr terminierte Projektpaket in einem Stadtteil hat einen klaren Anfang und ein klares Ende. Im ersten Jahr wurde der Anfang noch nicht so deutlich kenntlich gemacht, was die Akquise doch erschwerte. Die Auftaktkonferenzen in den Folgejahren erleichterten die Arbeit erheblich. Und auch das Zusammenwirken der Personen war über die regelmäßig stattfindenden Trägertreffen gegeben, die sich als wirkliches Arbeitsgremium entwickeln mussten, denn es galt ja, auf das gemeinsame Abschlussfest hinzuarbeiten. So blieb die „Vernetzung“ nicht nur eine Worthülse. Und auch wenn die Abschlusspräsentationen und die Broschüren, die im Laufe der Projekte entstanden, wichtig waren, war es doch vor allem die Erfahrung der Gemeinsamkeit: die gemeinsame Arbeit an der Geschichte des gemeinsamen Wohnortes. Auf diese Weise war nicht die Erfahrung der Differenz bestimmend, sondern die der Gemeinsamkeit. Und das ist eine gute Grundlage für die Zukunft.
Die Projektreihe wurde gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Programms „Vielfalt tut gut“.
NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln