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Unter dem (diskussionswürdigen) Titel „Vergangenheitsbewältigung und Wiedergutmachung“ bietet die Zeitschrift „Geschichte lernen“ Unterrichtsentwürfe zur juristischen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen, zur Frage ihrer „Wiedergutmachung“ und zu Lebensläufen von Tätern und Opfern nach 1945. Die Herausgeber betonen die Bedeutung, die der Umgang der Deutschen mit dem Nationalsozialismus in der Nachkriegszeit für die zwischenstaatlichen Beziehungen hat(te) und schlussfolgern daraus die Notwendigkeit, jenseits einer „Schlussstrich-Debatte“ das Bewusstsein Jugendlicher für demokratische Rechtskultur und völkerrechtliche Normen zu stärken.
Die Zeitschrift bietet dazu praxisnahe Tipps und Unterrichtsmaterialien in drei Kapiteln. Der Basisartikel von Franziska Conrad stellt den - leider nur bundesdeutschen - Umgang mit dem NS dar, wobei die Autorin vor allem auf den Einfluss beispielsweise der alliierten Entnazifizierung und der Strafprozesse auf die Haltung der Gesellschaft zur Beschäftigung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit eingeht. Neben der Phase der alliierten Vergangenheitspolitik thematisiert der Artikel die Debatten der 50er über die „Wiedergutmachung“ und die NS-Gewaltverbrechen, die Reaktionen auf die Gerichtsprozesse der 60er, die „Verjährungsdebatten“ im Bundestag sowie das Thema „Wiedergutmachung“ bis heute. Der Beitrag wird abgerundet durch didaktische Überlegungen, in denen Conrad argumentiert, warum die Auseinandersetzung mit den Debatten der Nachkriegszeit für Jugendliche heute von Bedeutung ist.
Der zweite und umfangreichste Teil der Zeitschrift besteht aus konkreten Unterrichtsentwürfen, deren Themen mit einem inhaltlichen Beitrag eingeführt werden. Zielgruppe, Hauptmethode und Zeitbedarf werden genannt und der jeweilige Autor kommentiert Lernchancen und didaktische Aspekte für den Unterricht. Die Unterrichtsmaterialien liegen als fertige Kopiervorlagen vor.
Unter dem Titel „Neuartige Verbrechen – neue Ahndungsmöglichkeiten“ hat Wolfgang Form einen Unterrichtsentwurf entwickelt, der die Neuartigkeit der nationalsozialistischen Verbrechen und der damit zusammenhängenden Probleme ihrer Bestrafung behandelt. Er stellt hierzu verschiedene Erklärungen, Gesetze und Urteile aus der unmittelbaren Nachkriegszeit als Quellen zur Verfügung und formuliert entsprechende Arbeitsaufträge.
Ein weitere Unterrichtsentwurf von Peter Lotz und Franz Josef Schäfer beschäftigt sich mit dem Leben des Kommunisten und ehemaligen Buchenwaldhäftlings Jakob Kindinger, in der Nachkriegszeit im Westen. Das Kapitel thematisiert damit exemplarisch, wie Antifaschisten sich in der Nachkriegszeit politisch engagierten und wie die BRD mit ihnen umging. Auszüge aus der Biographie und Stellungnahmen Kindingers sowie Quellen zur Entfernung von Kommunisten aus dem öffentlichen Dienst auf Grundlage des „Adenauer-Erlasses“ vom 19. September 1950 werden von den Autoren als Materialien an die Hand gegeben.
Mit dem Untertitel „Ein Blick in deutsche Biografien“ fokussiert ein Unterrichtsentwurf zum Auschwitz-Prozess die Auseinandersetzung mit dem am Prozess beteiligten Personen. Anhand von Kurzbiographien, Fotos, Aussagen und Urteilen aus dem Prozess können Schülerinnen und Schüler sich mit drei Angeklagten und dem hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer auseinandersetzen.
Weitere Unterrichtsentwürfe beschäftigen sich mit der Rolle des Reichswirtschaftsministers Hjalmar Schachts im Dritten Reich, der bei den Nürnberger Prozessen freigesprochen wurde, mit dem Auerbach-Prozess, der die schwierige Situation überlebender NS-Opfer und die breite Integration ehemaliger Nationalsozialisten in den Staatsapparat der Bundesrepublik deutlich macht sowie mit der öffentlichen Auseinandersetzung um die Zentrale Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen.
Mit diesen Unterrichtsentwürfen bietet das Heft vielfältige Möglichkeiten der Beschäftigung mit der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der Nachkriegszeit, die über die Fokussierung auf die drei prominenten Kriegsverbrecherprozesse (Nürnberger-, Eichmann- sowie die Auschwitz-Prozesse) hinaus geht. Weniger bekannte Fälle und biographische Zugänge zeigen die Vielfalt der gesellschaftlichen Debatten. Wünschenswert wäre allerdings die Einbeziehung von Unterrichtsentwürfen zum Umgang der DDR mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Gerade der Anspruch der Zeitschrift, bei Schülerinnen und Schülern das Bewusstsein zu schärfen für die Bedeutung der Nachkriegs-Auseinandersetzung macht es unverständlich, warum der Umgang mit dem NS in einem Teil der heutigen Bundesrepublik schlicht ignoriert wird.
Die Zeitschrift wird abgerundet mit der Vorstellung der Außenstelle Ludwigsburg des Bundesarchivs als außerschulischen Lernort sowie Internettipps zur „Bewältigung“ der nationalsozialistischen Vergangenheit. Das Heft kann online direkt beim Friedrich Verlag bestellt werden.