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Am 11. April 2011 jährte sich der Beginn des Prozesses gegen den ehemaligen SS-Obersturmbannführer und Leiter des „Judenreferates“ IV B 4 im Reichssicherheitshauptamt Adolf Eichmann in Israel zum fünfzigsten Mal. Dieser Jahrestag war für drei maßgebliche Berliner Institutionen auf dem Feld - der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, der Stiftung Topographie des Terrors und der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas - Anlass für ein gemeinsames Ausstellungsprojekt zur Dokumentation des Prozessgeschehens und dessen medialer Wirkungsgeschichte. (Zur Konzeption der Ausstellung lesen sie bitte den Beitrag des Kurators Ulrich Baumann in dieser Ausgabe des LaG-Magazins.)
Der in englischer und deutscher Sprache gehaltene Ausstellungskatalog führt mit Hilfe von vier Essays in die Thematik ein. Professor David Cesarani, Professor für Geschichte am Royal Holloway College in London, beschreibt in großen Linien den Ablauf des Prozesses. Zu dieser historischen Rekonstruktion gehört die Beschreibung der Prozessstrategie des Angeklagten und seines Verteidigers Robert Servatius, der bereits Fritz Sauckel vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg verteidigt hatte, die Legalität der Entführung Eichmanns aus Argentinien und damit die Rechtsgrundlage des Verfahrens im Grundsatz anzuzweifeln. In der Folge präsentierte sich Eichmann als untergeordnetes, kleines Rad im Getriebe, nur für Transportangelegenheiten zuständig und sogar als „Freund der Juden“ (S.14). Die internationale Gemeinschaft hatte die Zuständigkeit des israelischen Gerichts eher stillschweigend akzeptiert und eine eigens dafür geschaffene Polizeieinheit, das Büro 06, sammelte Dokumente und Zeugenaussagen vor allem um Eichmann Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen nachzuweisen sowie als spezifisches Moment Verbrechen gegen das jüdische Volk. Dem Chefankläger, Generalstaatsanwalt Gideon Hausner, ging es jedoch um mehr. Er wollte mit dem Prozess alle Aspekte und Phasen der Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden dokumentieren. Dementsprechend wuchs die Zahl der Augenzeugen, die im Verlauf des Verfahrens aussagten. Sowohl Hausner als auch den befragenden Richtern gelang es im Prozessverlauf mehrfach die Selbststilisierung Eichmanns zu durchbrechen und ihm Eingeständnisse zu entlocken, die auf seinen antisemitischen Charakter hinwiesen und seine Verantwortlichkeit offen legten. Bekanntlich endete der Prozess mit der Verkündung des Todesurteils am 11./12. Dezember 1961. Die Hinrichtung Eichmanns fand am 31. Mai 1962 statt.
Anette Wieviorka, Forschungsdirektorin am Pariser Centre National de la Recherche Scientific unternimmt eine weiter gehende Einordnung des Prozesses gegen Adolf Eichmann in die Historiographie des antijüdischen Völkermords und kategorisiert ihn als „Beginn der Ära des Zeugen, die bis heute andauert“ (S. 23.). Der Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher hatte vor allem auf Dokumenten beruht, zu deren Präzisierung auch Zeugen vorgeladen wurden. Die sich daraus ergebende Nüchternheit des Prozesses führte kaum zu einer breiteren emotionalen Aufladung. Genau darum ging es Gideon Hausner mit seiner Prozesskonstruktion, die er auf zwei Säulen aufbaute: auf den Aussagen der überlebenden Augenzeugen und den Dokumenten. Für Hausner lag „der einzige Weg, die Katastrophe überhaupt zu konkretisieren, [...] darin, so viele überlebende Zeugen aufzurufen, wie der Rahmen des Prozesses es überhaupt zuließ, und jeden zu bitten, ein winziges Bruchstück dessen zu erzählen, was er gesehen und erlebt hatte“ (S. 24). Am Ende waren es über hundert Personen, die aussagten und der Eichmann-Prozess hatte für die israelische Gesellschaft eine „kathartische Wirkung“ (S. 27). Das bis dahin anhaltende Schweigen über die Shoa wurde gebrochen und die Überlebenden wurden zu wichtigen Trägern der Geschichte. Damit bekamen sie eine Identität und wurden zu „Subjekten der Erinnerung“ (S.27). Auf der Kraft des Zeugnisablegens beruht nicht nur die Oral History, wesentliche Bereiche der historisch-politischen Bildung fußen auf der Autorität der Überlebenden, die nie nur rein juridische Zeugen waren.
Der Historiker und Geschichtsdidaktiker Gerhard Paul beschreibt „Die Wandlungen des Eichmann-Bildes in Öffentlichkeit und Wissenschaft“ von der Dämonisierung in den 1960er Jahren über Hannah Arendts Sicht auf Eichmann als Prototyp eines bürokratischen, banalen Schreibtischtäters bis hin zu neueren Studien. Zu den Letzteren gehört Hitlers Bürokraten von Yaakov Lozowick, ehemaliger Archivdirektor der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, der in den Angehörigen des Referats IV B 4 „eifrige Deportationsspezialisten“ (S. 37) sah, sowie die erste wissenschaftlich fundierte Eichmann-Biografie von David Cesarani, der Eichmann als „Manager des Völkermords“ (S. 38) porträtiert. Einigendes Moment der neueren Arbeiten zur Täterforschung ist, dass die Rekonstruktion eines komplexen Bildes von Männern, die ihre mörderische Arbeit mit Engagement und Spaß an der Sache verrichteten, sich dabei bereicherten und so der Shoa ihre „ungebremste Dynamik“ (S. 39) verschafften.
Der vierte Aufsatz stammt vom Ausstellungkurator und stellvertretenden Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Ulrich Baumann und analysiert den Charakter medialer Repräsentanz des Prozesses durch die Filmaufnahmen des New Yorker Filmemachers Leo T. Hurwitz, der das Geschehen durch vier Kameras aufzeichnen ließ. Das entstandene Material schuf Schlüsselbilder des Verfahrens, so das Motiv des in seiner schusssicheren Glaskabine sitzenden Eichmanns, und diente als Grundlage für Fernsehsendungen und den die Rezeptionsgeschichte wohl prägendsten Dokumentarfilm Ein Spezialist von Eyal Sivan und Rony Brauman.
Die weiteren Teile des Kataloges dokumentieren die Ausstellung. Dazu gehört die Biografie Eichmanns, ein Kapitel über die Zerstörung der jüdischen Gemeinden und die Einordnung des Verfahrens in die Zeitgeschichte. Breiten Raum nimmt die Gegenüberstellung der Zeugenaussagen von Überlebenden der Shoa ein, die den Aussagen Eichmanns und seiner Selbstinszenierung gegenübergestellt werden. Hiermit folgt der Katalog dem Aufbau der Ausstellung und macht den zentralen Charakter der Aussagen der Überlebenden deutlich.
Der Katalog „Der Prozess – Adolf Eichmann vor Gericht“ lässt wenige Wünsche offen und schafft eine sehr gute Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit einem der wichtigsten Verfahren zu NS-Täterschaft. Einzig aus einer pädagogischen Perspektive wäre die Möglichkeit didaktische Materialien online zu erwerben, die vielleicht Ausschnitte aus den gezeigten Prozesssequenzen beinhalten könnten wünschenswert. Eine Vor- und Nachbereitung des Ausstellungsbesuchs im Unterricht würde damit erleichtert werden. Der Katalog bietet allerdings auch dazu bereits eine gute Grundlage.