Die Erinnerungen von Überlebenden des Holocaust sind zu einer eigenen Literaturgattung geworden. Davon ausgehend wurde 1998 am Institut für Neuere deutsche Literatur der Universität Gießen die Arbeitsstelle für Holocaustliteratur eingerichtet. Der Leiter der Arbeitsstelle, Dr. Sascha Feuchert hat eine Zusammenstellung von Texten aus diesem Genre herausgegeben. Unter dem Titel „Holocaust Literatur: Auschwitz“ ist der Sammelband in der Reihe „Arbeitstexte für den Unterricht“ des Reclam-Verlages erschienen.
In der Einleitung reflektiert Feuchert über einige Besonderheiten der Holocaust-Literatur als Genre. Einführend erläutert er die Diskussion, die seit Ende der 1970er Jahre über die Metapher „Holocaust“ geführt wird und verweist damit auf den Konstruktcharakter des heute (auch in der Schule) meist unreflektiert und wenig präzise verwendeten Begriffes. Versteht man mit ihm den Begriff „Holocaust“ als „die Gesamtheit der nationalsozialistischen Repressions- und Vernichtungspolitik gegen alle Opfergruppen“ (S. 15) ergebe sich immer noch die Problematik, was in diesem Fall unter „Literatur“ zu verstehen sei. Aus der „Nähe von `authentischen´ Berichten der Überlebenden und von fiktionalen Werken“ (S. 19) ergebe sich, dass fiktionale Werke und Berichte von Überlebenden gleichermaßen unter dem Begriff „Holocaustliteratur“ zusammen gefasst werden. Wichtig ist dabei, sich den Charakter des Konstruierten beider Textsorten vor Augen zu halten. Die Chance einer so verstandenen Holocaust-Literatur bestehe darin, sie in hohem Maße als Interpretationen zu verstehen und somit als einen Bestandteil der allgemeinen Erinnerungskultur lesen zu können.
Ausgewählt wurden nur Texte von Überlebenden des Lagers Auschwitz. Dies begründet Feuchert nicht nur mit dem stark metaphorischen Charakter des Begriffes „Auschwitz“, sondern auch mit der pragmatischen Überlegung, dass Auschwitz das wohl am besten erforschte Lager ist. Aus diesem Grund wird die Einleitung von Feuchert ergänzt durch den Abdruck eines längeren Ausschnittes aus der „Enzyklopädie des Holocaust“ von Israel Gutman, Eberhard Jäckel und Peter Longerich. Der Artikel stellt die wichtigsten Informationen zur Geschichte und zur Bedeutung des Konzentrationslagers Auschwitz dar. In dem Ausschnitt könne man außerdem erkennen, „wie und in welchem Maße die Geschichtswissenschaft auch auf die `Zeugnisse`der Überlebenden Bezug nimmt“ (S. 29).
Die ausgewählten Texte sind sortiert nach den drei Teillagern Auschwitz-Stammlager, Auschwitz II-Birkenau sowie Auschwitz III-Monowitz. Sie enthalten ausschließlich literarische Zeugnisse von Menschen, die selbst die Realität in den Lagern erlebt haben und dann entweder direkt oder in der Retrospektive darüber geschrieben haben. Viele Texte stammen von bekannten Persönlichkeiten wie Primo Levi, Eli Wiesel, Tadeusz Borowski oder Władysław Bartoszewski, aber es finden sich auch Zeugnisse weniger bekannter bzw. unbekannter Autorinnen und Autoren. Mit Rudolf Höß und Johann Kremer sind auch Texte von zwei Tätern vertreten. Feuchert empfiehlt den Einsatz der Texte ab der Jahrgangsstufe 9.
Der Band wird abgerundet durch einen umfangreichen Anhang: ein Glossar erklärt Begriffe des Lagersystems und des Lageralltages und ein Quellen- und Literaturverzeichnis vereinfacht die weitere Recherche. Hervorzuheben sind zudem die Arbeitsvorschläge, die zur Auseinandersetzung mit den abgedruckten Texten anregen wollen. Zu jedem Text wurden Fragen erarbeitet, die neben der Inhaltssicherung auch der Interpretation der Texte Raum bieten sollen.
Das Reclam-Heftchen bietet also eine wertvolle Arbeitshilfe sich im Unterricht mit dem Genre der Holocaust-Literatur zu beschäftigen.