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Dieser Artikel ist Dogan Akhanli gewidmet - einem langjährigen Mitstreiter in der Arbeit gegen Antisemitismus und Rassismus und einem Aktivisten für die Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern, der während eines Besuchs in der Türkei verhaftet wurde. (Informationen unter http://gerechtigkeit-fuer-dogan-akhanli.de) Zahlreiche Träger und Einzelpersonen der Task Force haben ihren Protest bekundet.
Die Task Force Education on Antisemitism (TF Education) ist ein Netzwerk von Projekten, Institutionen und Einzelpersonen, das sich in der pädagogischen Prävention und Bearbeitung von Antisemitismus engagiert. Es wurde aus der Not geboren und ist heute ein wichtiger Träger der Weiterentwicklung und Qualitätssicherung pädagogischer Arbeit gegen aktuellen Antisemitismus. Die konstitutive Sitzung der Task Force Education on Antisemitism fand im September 2002 auf Anregung von Deidre Berger / American Jewish Committee (AJC) und Bernd Fechler / Jugendbegegnungsstätte Anne Frank statt. Hintergrund waren die, im Zusammenhang mit der Eskalation im Nahostkonflikt, in Europa zutage tretende antijüdische Gewalt und die Zunahme antisemitischer Einstellungen und Äußerungen sowie die Tatsache, dass man in Pädagogik und Bildungsarbeit darauf zunächst keine Antwort hatte.
Ausgelöst unter anderem durch antisemitische Stimmungsmache im Kontext der UN Weltkonferenz gegen Rassismus 2001 in Durban, den Anschlägen vom 11. September 2001 sowie den Ereignissen von Bethlehem und Jenin im Frühjahr 2002, war es im Frühjahr und Sommer 2002 zu einem Anstieg antisemitischer Übergriffe gekommen. Bei den ausgemachten Tätern handelte es sich u.a. um unterprivilegierte Jugendliche, deren Familien ursprünglich aus verschiedenen muslimischen Ländern stammten – also um Personen, die selbst einer diskriminierten Gruppe angehörten. Auch aus Sorge, die Benennung der Tätergruppe werde ihrerseits Rassismus schüren, gab es unter Pädagog/innen teilweise erhebliche Widerstände die Tatsachen anzuerkennen. Im Rahmen des European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia (EUMC) führten diese Bedenken zunächst zu der Tendenz, Antisemitismus möglichst als eine eher geringfügige Gefahr unter Diskriminierung, Rassismus und Xenophobie zu subsumieren und damit weder seinen Besonderheiten noch seiner Wichtigkeit gerecht zu werden.
In Deutschland kam ein Phänomen hinzu, das in der Folge wissenschaftlich als „Bruch der Kommunikationslatenz" (Wilhelm Heitmeyer 2005) beschrieben wurde. Plötzlich war es öffentlichkeitsfähig, antisemitische Meinungen zu äußern, besonders wenn diese als israelbezogener Antisemitismus im Gewand vermeintlicher Kritik an Israel daher kamen. Zu dem bereits problematischen Bild „des Juden als ewiges Opfer“ gesellte sich jetzt eine gerade in Deutschland entlastend wirkende Inszenierung „des Juden als Täter“.
In Pädagogik und Bildungsarbeit war man auf diese Situation nicht eingestellt. Die Probleme waren sowohl konzeptionell, als auch in eigenen Einstellungen und fehlender Sensibilisierung bei Pädagog/innen begründet.
Letzteres wurde z.B. daran deutlich, dass antisemitische Vorfälle als solche gar nicht wahrgenommen wurden. So verstrickten sich manche Pädagog/innen, subjektiv wohlmeinend, selbst in die gesamtgesellschaftlich im Aufwind befindlichen antisemitischen Argumentationen, indem sie beispielsweise israelische Politik mit NS-Taten gleichsetzten. Auch Angriffe auf Symbole des Staates Israel wurden nicht in ihrer möglicherweise antisemitischen Dimension verstanden. Lehrer/innen ‚dachten sich nichts dabei‘, wenn auf Plakaten wiederholt die israelische Fahne - als einzige - durchgestrichen wurde.
Konzeptionell wurde auch im wiedervereinigten Deutschland Antisemitismus in Pädagogik und Bildungsarbeit primär als Thema der sogenannten Vergangenheitsbewältigung aufgefasst. Die dekontextualisierte Übernahme der aus den USA stammenden universalistischen Auffassung des Holocaust führte in der Praxis teilweise dazu, dass man der Tatsache der deutschen Täterschaft hierzulande pädagogisch nicht gerecht wurde. So fand unter dem Label des „aus der Geschichte Lernens“ in manchen Fällen nur eine allgemeine Moralerziehung statt. Über die konkreten Verbrechen des deutschen Nationalsozialismus - und seiner Nachgeschichte – wurde dagegen fast nichts gelernt. Darüber hinaus fehlten auch Konzepte, den Holocaust als Bezugspunkt gesellschaftlicher Verantwortung für heutige Generationen in Deutschland auch für die Kinder der Migrant/innen relevant zu machen. Dies führte zu pädagogischen Formen des Ausschlusses diesen Jugendlichen gegenüber.
Ansonsten wurde Antisemitismus in der politischen Bildung im Kontext des Rechtsextremismus thematisiert, was ihn am Rand der Gesellschaft – nicht aber in ihrer Mitte – verortete. Oder Antisemitismus wurde als eine Spielart des Rassismus verstanden, was seine Spezifika ignorierte. Konzeptionell problematisch war auch das noch fehlende Bewusstsein über veränderte Erscheinungsvarianten des Antisemitismus.
In dieser Situation machte es sich die TF Education zur Aufgabe, den aktuellen Antisemitismus in den Blick zu nehmen.
Die Teilnehmer/innen des ersten Treffens waren an Projekten beteiligt, die begonnen hatten, pädagogisch auf die skizzierte Situation zu reagieren. Sie stammten aus Schule, professionalisierter Zivilgesellschaft, politischer und gewerkschaftlicher Bildungsarbeit sowie einer Jugendbegegnungsstätte - aus Arbeitszusammenhängen in Berlin, Brandenburg, Frankfurt am Main und Thüringen - und waren damit trotz der gemeinsamen Ausgangslage mit sehr heterogenen Ausprägungen der Situationen vor Ort konfrontiert. Unter diesen Akteuren herrschte großer Austauschbedarf, auch weil man sich selbst in einer Versuchs- und Orientierungsphase befand.
Seitdem hat in diesem Feld ein enormer Entwicklungs- und Ausdifferenzierungsprozess stattgefunden und die TF Education ist eine breit aufgestellte, offene, aber verbindlich arbeitende Netzwerkstruktur geworden. In ihrem aktiven Kern sind aktuell gut dreißig Personen tätig, die wissenschaftlich, publizistisch und praktisch pädagogisch zu Fragen der Pädagogik gegen aktuelle Phänomene des Antisemitismus und zum Lernen über den Nationalsozialismus in diesem Kontext arbeiten.
Seit Gründung der TF Education stehen Fragen der Entwicklung pädagogischer Konzepte gegen aktuellen Antisemitismus im Zentrum ihrer Arbeit. In den ersten Jahren war es zudem wichtig, die Anerkennung des aktuellen Antisemitismus als eigenständiges Problem und als pädagogisches Arbeitsfeld zu erreichen. Dazu war es notwendig, sowohl an der weiteren Verbesserung des eigenen Problemverständnisses zu arbeiten, als auch zu einer gesellschaftlichen und staatlichen Problemwahrnehmung beizutragen und gezielte Gegenmaßnahmen auch im pädagogischen Feld zu fordern.
In diesem Sinne trat die TF Education im Vorfeld der Berliner Antisemitismuskonferenz der OSZE 2004 an diese mit einem Eckpunktepapier heran, um der Problemsicht und Forderungen aus der pädagogischen Praxis Gehör zu verschaffen. Unmittelbar vor der Konferenz veranstaltete die TF Education einen Europäischen Workshop mit dem Titel “Antisemitismus – eine Herausforderung für die politische Bildung“. Bewusst wurden dazu auch Partner aus Ländern mit einem fortgeschrittenen postkolonialen Diskurs und Kolleg/innen aus postsozialistischen Staaten eingeladen. Zentrale Ergebnisse des Workshops konnten dann auf der Berliner OSZE Konferenz präsentiert und außerdem publiziert werden.
Auch auf lokaler Ebene mischte sich die TF Education in die Debatte um angemessene Formen von Pädagogik gegen Antisemitismus ein. 2008 überarbeitet eine Arbeitsgruppe beispielsweise frühere, grundlegende Überlegungen zu einer pädagogischen Arbeit gegen Antisemitismus mit Jugendlichen aus Familien mit Migrationshintergrund aus muslimischen Ländern. Das Ergebnis wurde u.a. in einer Handreichung der Amadeu Antonio Stiftung publiziert und in einer Podiumsveranstaltung der Öffentlichkeit präsentiert.
Darüber hinaus hat sich die TF Education immer wieder für angemessene Rahmenbedingungen pädagogischer Arbeit gegen aktuellen Antisemitismus engagiert u.a. durch Petitionen an Abgeordnete wegen problematischer Entwicklungen im Rahmen der Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus oder im Gespräch mit dem Berliner Integrationsbeauftragten zu Fragen der Vernetzung der Projekte im Arbeitsfeld.
Basis der Arbeit sind bis heute alle sechs Wochen stattfindende Veranstaltungen, in denen über die eigene Arbeit reflektiert wird. Zu politischen, pädagogischen und theoretischen Fragen werden auch externe Expert/innen zur Diskussion geladen und Forschungsdebatten mit Erkenntnissen aus der Praxis verbunden. Die besondere Qualität dieses Austausches liegt auch darin, daß Unfertiges und kritische Fragen an die eigene Arbeit bearbeitet werden und die Wahrnehmung fachlich relevanter Themen nicht durch die Auswahlkriterien von Förderprogrammen beschränkt wird.
Wichtige Säulen dieser Arbeit sind:
Zu den zentralen Aufgaben im Arbeitsfeld gehört es heute der Tendenz entgegen zu treten, den aktuellen Antisemitismus weiterhin nicht als Problematik der Gesamtgesellschaft aufzufassen, sondern ihn - abgesehen vom Rechtsextremismus - inzwischen fast ausschließlich bei „Muslimen“ und in linken Strömungen zu verorten. Diese Darstellung entspricht, wie auch die jüngste Studie der Friedrich Ebert Stiftung erneut zeigt, nicht der Realität.
Prävention und Bearbeitung des Antisemitismus sind gesamtgesellschaftlich notwendig und müssen daher endlich auch praktisch als pädagogische Querschnittsaufgabe durchgesetzt werden. Dies ist nur möglich, wenn auch Förderpraxen dementsprechend ausgestaltet werden. Darüber hinaus ist es politisch, ethisch und pädagogisch notwendig dem Ausspielen von Rassismus und Antisemitismus zu widersprechen!
Für die Qualität der praktischen Arbeit wird es wichtig sein, dem Arbeitsfeld die professionalisierten Akteure aus der Zivilgesellschaft zu erhalten und mit ihnen das persönlich und politisch fundierte Engagement und die Sachkenntnis über spezifische Lagen vor Ort. Darüber hinaus muss die Weiterentwicklung der Qualität der Arbeit im Zentrum stehen – u.a. durch Schließen pädagogikrelevanter Forschungslücken im Basiswissen zu aktuellem Antisemitismus und durch verstärkte Reflexion über mögliche unerwünschte Effekte in der bisherigen pädagogischen Bearbeitung des Antisemitismus. Ein Ort, um an diesen Herausforderungen zu arbeiten, wird weiterhin die TF Education sein.
Schäuble, B., Thoma, H.: Ergebnisse des Europäischen Workshops “Antisemitismus – eine Herausforderung für die (politische) Bildungsarbeit”. In: Fechler, B. u.a. (Hg.): Neue Judenfeindschaft? Perspektiven für den pädagogischen Umgang mit dem globalisierten Antisemitismus (Jahrbuch 2006 zur Geschichte und Wirkung des Holocaust). Frankfurt/M., New York, 2006, S. 233-241.
Fried, B., Gryglewski, E., Ehricht, F., Thoma, H., Seidel, I., Müller, J., Lagodinsky, S.: "Überlegungen für eine pädagogische Arbeit zum Thema Antisemitismus mit Jugendlichen aus Familien mit Migrationshintergrund aus muslimisch geprägten Ländern“ In: Amadeu Antonio Stiftung (Hg.): „Die Juden sind schuld“. Antisemitismus in der Einwanderungsgesellschaft am Beispiel muslimisch sozialisierter Milieus. Berlin, 2008, S.42-46.