Den meisten Historikern, die über den Zweiten Weltkrieg schreiben, ist das Schicksal der in den Krieg einbezogenen Soldaten aus Afrika, Asien und Ozeanien noch immer nicht wichtig. Doch auf den europäischen Kriegsschauplätzen fanden Hunderttausende Kolonialsoldaten aus überseeischen Gebieten den Tod. In den Statistiken der Gesamtzahl der Kriegstoten werden sie falls überhaupt nur summarisch ohne Nachweis ihrer Herkunft und den europäischen Opfern nachgeordnet erwähnt.
Dass es trotz der Fülle an wissenschaftlicher Literatur über die NS-Verbrechen und den Zweiten Weltkrieg doch noch unerforschte „blinde“ Flecken gibt, zeigt die Untersuchung „Hitlers afrikanische Opfer - Die Massaker der Wehrmacht an schwarzen französischen Soldaten“ des deutschen, in den USA lehrenden Historikers Raffael Scheck.
Der Hinweis auf ein Massaker der deutschen Wehrmacht an schwarzen französischen Kolonialsoldaten bei Lyon in einem Buch über die Vichy-Zeit und die Feststellung, dass in den Debatten um die Verbrechen der Wehrmacht in Deutschland nirgendwo etwas über Kriegsverbrechen im Westfeldzug von 1940 erwähnt wurde, gaben den Anstoß zu seinem Forschungsprojekt. Bald stellte sich heraus, dass es nicht an Quellen in französischen und deutschen Archiven mangelt. Das Massaker bei Lyon war kein Einzelfall, sondern es hatte eine Reihe ähnlich verlaufender Ereignisse gegeben, für die kein übergeordneter Befehl nachweisbar war, aber eine auf höchster NS-Ebene angeregte massive rassistische Hetzkampagne gegen schwarze Offizieren und Soldaten in den deutschen Medien.
Scheck veröffentlichte 2006 erstmals einen Artikel über seine Recherchen in der Wochenzeitschrift DIE ZEIT, der Unglauben bis gehässige Ablehnung bei dem die deutsche Wehrmacht verherrlichenden Spektrum hervorrief, jedoch in Deutschland, dem europäischen Ausland und im französischen Afrika auf große positive Resonanz stieß. Weitere Forschungen ergaben, dass es auch deutsche Wehrmachtsverbände gegeben hatte, die gegenüber den schwarzen Gefangenen die Genfer Konvention eingehalten hatten. Die Aufdeckung der Verbrechen an Schwarzen inspirierte in Frankreich einen Dokumentarfilm, den Spielfilm Indigènes über Rassismus in den französischen Streitkräften sowie eine Bürgerinitiative, die das von Deutschen 1940 zerstörte Denkmal für die schwarzen Truppen bei der Verteidigung von Reims 1918 wieder errichtete.
Der Westfeldzug 1940 galt bislang im Vergleich zum Vernichtungsfeldzug in Osteuropa als „zivilisiert“, bei dem die Deutschen das Kriegsrecht eingehalten hätten. Anliegen dieses Buches ist es, wie Scheck überzeugend nachweist, zu zeigen, dass bereits die Offensive1940 in Frankreich schon in Richtung Barbarisierung dieses Krieges wies.