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Die bundesdeutsche Gesellschaft tat sich über Jahrzehnte schwer, ihren Zustand als eine Einwanderungsgesellschaft zu reflektieren und sich von Konstruktionen einer Homogenität zu verabschieden, die mit ihren Anleihen an das Völkische noch zur Erbschaft des Nationalsozialismus gehörten. Nicht weniger schwer scheint der Schritt zu fallen, die real existierende gesellschaftliche Vielfalt institutionell zu verorten. Eine Folge dieser mangelnden Flexibilität ist der bisher fehlende Niederschlag eines ganz schlichten Umstands in Lehrplänen. Nämlich, dass ein nicht geringer Teil der Lernenden einer der unterschiedlichen Konfessionen der islamischen Religion angehören. Langsam und nicht ohne Verstörungen und Konflikte beginnt sich dieser Zustand zu ändern.
Einen wichtigen Anteil daran hat das Forschungsprojekt „Mobilisierung von Religion in Europa“ im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Es wurde durch den Lehrstuhl für Islamwissenschaft an der Universität Erfurt mitgestaltet und der vorliegende Band „Islamunterricht - Islamischer Religionsunterricht – Islamkunde“ fasst Zwischenergebnisse der didaktischen Diskussion zusammen.
Die zwölf Aufsätze des Buches werden im Wesentlichen von den beiden Islamwissenschaftler/innen Irka-Christin Mohr und Michael Kiefer verantwortet. Nur ein Beitrag über die (verfassungs-)rechtlichen Problematiken eines staatlichen Religionsunterrichts stammt von Klaus Gebauer, Referent am Landesinstitut für Schule und Weiterbildung in Nordrhein-Westfalen.
Einleitend nähert sich Michael Kiefer grundsätzlichen Herangehensweisen der Religionspädagogik und -didaktik über die in Frageform formulierte Didaktikdefinition nach Werner Jank und Hilbert Meyer: „wer was wann mit wem wo wie womit warum und wozu lernen soll“ (S. 21). Problematische Zustände bescheinigt Kiefer vor allem dem Verhältnis von Religionspädagogik und Theologie. Er bemängelt, dass in den entsprechenden Ausbildungsgängen für islamische Religionspädagogik der Universitäten Osnabrück und Erlangen gerade auf die Bereiche Fachdidaktik und Religionspädagogik kaum Wert gelegt werde, während der theologische Schwerpunkt der Ausbildung dominant sei. Dementsprechend sei „bislang in methodischer Hinsicht kein eigenständiges fachdidaktisches Profil zu erkennen“ (S. 33).
Die folgenden Aufsätze von Kiefer und Mohr beschäftigen sich mit dem Bereich der Lehrpläne. Michael Kiefer untersucht in „Islamische Quellen in staatlichen Lehrplänen für den Islamunterricht“ die Curricula von Modellprojekten der Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, Bayern, wobei in Bayern gleich zwei unterschiedlich angelegte Modellversuche bestehen.
Der Autor systematisiert die Untersuchung nach Modellen mit so genannten Bekenntnisanteilen, wie in Baden-Württemberg, Niedersachsen und einem bayerischen Versuch sowie nach Modellversuch der Islamkunde, die auf „verkündende und habituelle Elemente“ (S. 44) verzichtet und sich auf Informationen über den Islam beschränkt. Deutlich wird aus Kiefers Analyse wie sehr am Anfang die Bemühungen um die Ausgestaltung von religiösen Unterweisungen über den Islam derzeit noch stehen. So fehlt eine Transparenz darüber, nach welchen Kriterien Quellentexte ausgesucht und in die Lehrpläne integriert werden. Immerhin existiert eine ganze Reihe von Koransuren, die kaum von einem Geist der Toleranz inspiriert sind. Wie mit problematischen und judenfeindlichen Suren umgegangen werden soll, wie Quellenkritik geübt wird und in welcher Altersstufe sie stattfindet, darüber müssten Lehrpläne Auskunft geben. Ebenso wäre es notwendig, eine mehrheitlich auf den Koran und die Sunna ausgerichtete Beschränkung der Modelle zu korrigieren. Mit einer solchen Ausrichtung wird nicht nur das einheitliche und ungenügende Bild eines monolithischen Islam in der Mehrheitsgesellschaft bestätigt, sondern gleichzeitig andere minoritäre Konfessionen wie Schiiten oder Aleviten benachteiligt.
Ilka-Christin Mohr problematisiert in ihrer detaillierten Untersuchung der niedersächsischen Rahmenrichtlinien für den Schulversuch „Islamischer Religionsunterricht“ vor allem die Ausrichtung darauf, „die Kinder in der muslimischen Gemeinschaft und zugleich in einer ihrer Strömungen“ zu verorten, „ohne jedoch ihren ethnisch-kulturellen Hintergrund zu berücksichtigen“ ( S. 65). Dieser Umstand ist der Autorin zufolge dem Bemühen geschuldet, den Islam von Traditionalismen zu befreien, um ihn zu vereinheitlichen und zu einer „Religion in Deutschland“ zu machen. Andere lebensweltliche Bezüge der Kinder werden mit diesem Ansatz ignoriert. Eine derartige Homogenisierung des Islam hat die beinahe logische Folge der Begründung eines Unterrichtsfachs, dass von einem „muslimischen Wir“ und einem „nicht-muslimischen Anderen“ ausgeht, also auf einer bipolaren Weltdeutung beruht und ihr Vorschub leistet.
Im Anschluss an die Untersuchung der Lehrpläne widmen sich die Herausgeber/innen der Unterrichtspraxis. Im Vergleich der Modellprojekte Islamkunde in Nordrhein-Westfalen und dem Schulversuch Islamischer Religionsunterricht sind nach Kiefer beide Modelle „hybrid, und verfügen in der Praxis sowohl über religionskundliche als auch konfessionelle Anteile“ (S. 98). Die Bewertung der Versuche durch den Autor fällt ambivalent aus. Den nordrhein-westfälischen Lehrkräften bescheinigt er zum Teil „exzellente islamwissenschaftliche und theologische Kenntnisse“ (S. 115), während die pädagogischen Kompetenzen unter vergleichbaren Standards liegen würden. In Baden-Württemberg scheinen die Kompetenzen von Lehrer/innen genau entgegengesetzt verteilt.
Herauszuheben sind ferner die Ergebnisse aus Gesprächen, die Irka-Christin Mohr mit Berliner Lehrerinnen und Lehrern des islamischen Religionsunterrichts geführt hat. Es ist der Landesverfassung geschuldet, dass im Stadtstaat der Religionsunterricht Sache der Kirchen, Glaubens- und Religionsgemeinschaften ist. Diese müssen die Rahmenpläne und die Unterrichtsinhalte nicht mit den staatlichen Institutionen absprechen oder gar die Inhalte genehmigen lassen. Die Verantwortung für den islamischen Religionsunterricht liegt in Berlin bei der „Islamischen Förderation in Berlin e.V.“ (IFB), der eine große Nähe zu der islamistischen „Islamischen Gemeinschaft Mili Görüs“ (IGMG) nachgesagt werden kann. Fachlich sind die Gespräche von Mohr aufschlussreich und eindeutig erscheint ihre fachliche Einschätzung, dass die Lehrkräfte mit einem dekulturalisierten Islamunterricht „schnell an die Grenze des im Unterricht Verhandelbaren“ (S.152) stoßen würden und in der Vermittlung von Normen stecken bleiben würden. Dennoch hätte man sich als Leser dieses Aufsatzes zusätzliche Hintergrundinformationen über die IFB und eine eindeutigere politische Einschätzung gewünscht.
Dieses Manko schmälert nicht den insgesamt hohen Wert der Publikation. So lässt sich dem Fazit der Herausgeberin und des Herausgeber folgen, dass die „gemeinsam getragenen Absichtserklärungen zur Einführung eines islamischen Religionsunterrichts nicht darüber hinwegtäuschen (können, IS), dass staatliche und muslimische Akteure Religion zu unterschiedlichen Zwecken mobilisieren“ (S.205).
Eine Leseprobe finden Sie hier.