Der vorliegende Begleitband entstand im Rahmen der Ausstellung „Verfolgung homosexueller Männer in Berlin 1933-1945“, die in der Gedenkstätte Sachsenhausen sowie im Schwulen Museum Berlin zu sehen war. Die 24 Beiträge des von Joachim Müller und Andreas Sternweiler herausgegebenen Buches versuchen, eine breite Themenpalette abzudecken. Zentral ist dabei das Anliegen, individuelle Schicksale vor dem historischen Hintergrund zu betrachten.
Andreas Sternweiler stellt in seinem Eröffnungstext die verschiedenen Phasen der Verfolgung vor und zeichnet ein Bild der spezifischen Lagerhierarchie im KZ Sachsenhausen. Dabei kann er sich auf Berichte ehemaliger Häftlinge stützen - eine Ausnahme, denn die Quellenlage zum Thema wird allgemein als unzureichend bemängelt. Weitere Artikel beschreiben die nationalsozialistische Politik gegenüber Homosexuellen samt ihrer Verschärfung und diversen Widersprüche. In einem anderen Beitrag skizziert Sternweiler die Schwulenbewegung im Berlin der Weimarer Republik. Hier spielt der Sexualwissenschaftler und Gründer der ersten homosexuellen Selbstorganisation Magnus Hirschfeld eine wichtige Rolle. An seinem und an weiteren Fällen zeigt Sternweiler auf, wie die Nationalsozialisten antisemitische und homophobe Stereotype gezielt verbanden. So wurden der verschärfte Paragraph 175 und die im gleichen Jahr entstandenen „Nürnberger Rassengesetze“ oftmals vermischt, um Homosexualität zu diffamieren und zu kriminalisieren.
Die Beschreibung des Lageralltages in Sachsenhausen ist ein weiteres zentrales Thema des Buches. Joachim Müller stellt dar, wie die „Strafkompanie Schuhläufer“ mit Lederschuhen auf einer besonders präparierten Strecke für die Wehrmacht zur Probe laufen mussten. Auch die lebensbedrohlichen Arbeitsbedingungen auf dem Großareal Klinkerwerk und die zahlreichen Mordaktionen werden vorgestellt.
Einige Artikel widmen sich der Beschreibung von Einzelschicksalen im KZ Sachsenhausen. So wird von dem politisch aktiven Künstler Richard Grune berichtet, der nach dem Krieg versuchte, seine Zeit in Sachsenhausen in Bildern zu verarbeiten – und von der Öffentlichkeit weitgehend ignoriert wurde. Oder vom Fall des schwulen „Blockältesten“ Karl Schwerbel, der als SS-Angehöriger wegen des Verstoßes gegen den § 175 nach Sachsenhausen eingewiesen wurde und dort selbst Teil des Terrorsystems war.
Einen Einblick in die Diskriminierung Homosexueller im Nachkriegs-Berlin gibt der Beitrag von Susanne zur Nieden. Sie schildert, wie sich schwule Männer nach der Befreiung aus den KZs vergeblich um Entschädigungen als Opfer des Nationalsozialismus bemühten. Jener Kampf ist auch Thema von Rainer Hoffschildts Beitrag über den Widerstandskämpfer Paul Hahn. Hahn verbrachte fast sechs Jahre in Haft, davon über ein Jahr nach Kriegsende wegen Verstoßes gegen § 175. Seine Anträge auf Entschädigung wurden auf Grund des vorgeblich kriminellen Charakter seines „Vergehens“ vollständig abgelehnt. An der Biographie von Walter Schwarze beschreibt Joachim Müller exemplarisch den langjährigen Kampf um Anerkennung als Verfolgter des Faschismus in der Bundesrepublik Deutschland.
Das Buch „Homosexuelle Männer im KZ Sachsenhausen“ ist das Ergebnis verdienstvoller Arbeit. Vielerorts leisten die Autorinnen und Autoren hier Grundlagenforschung. Zudem weiß der Band durch zahlreiche Quellenabbildungen, Photographien und Zeichnungen zu überzeugen. So stellt das Buch nicht nur einen wertvollen Beitrag für die historische Forschung dar, sondern eignet sich durch die vielen Quellen und biographischen Skizzen auch für die Arbeit mit Jugendlichen bei der Vorbereitung eines Besuchs in der Gedenkstätte Sachsenhausen.
Der Ausstellungskatalog ist beim Schwulen Museum Berlin erhältlich.