Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
Untersuchung zu Repräsentationsformen des Holocaust in Spielfilmen.
Mit „Der Holocaust als Herausforderung für den Film“ liegt die Dissertation von Catrin Corell vor, die als Band der Schriftenreihe des Fritz Bauer Instituts erschienen ist. Untersucht werden sieben Filme über den Holocaust, die beispielhaft für eine Geschichte der cineastischen Auseinandersetzung mit dem Holocaust im stehen sollen. Corell behandelt das Material sowohl in einer chronologischen Reihenfolge wie auch synchron.
Dementsprechend steht die Auseinandersetzung mit der Dokumentation „Die Todesmühlen“ (USA 1945) von Hanuš Burger am Beginn der Reihung. Der Film stand unter dem Vorhaben der Reeducation der deutschen Bevölkerung durch die Alliierten unter Devise einer Schockpädagogik, die, wie Corell schreibt, mit dem Bild des Unmenschlichen die Deutschen aufrütteln wollte (vgl. S. 49).
Nicht gänzlich folgen muss man Corell in ihrer Einschätzung die Bildpolitik der Alliierten im Zusammenhang mit den Bemühungen um Re-education seien „kontraproduktiv“ (S.55) gewesen. Die Abwehrmechanismen der deutschen Bevölkerung aus dem Motiv einer Schuldabwehr heraus werden von der Autorin hier schlicht übersehen. Leider stellt sie an dieser Stelle nicht die Frage nach der Abwesenheit eines moralischen Sinns (Sofsky) in der deutschen Bevölkerung. Dies ist soll nicht als Plädoyer für eine Schockästhetik gelesen werden, wie sie sich auch in „Nacht und Nebel“ (F 1955) von Alain Resnais findet. Nur ist auch hier das Ausbleiben der erhofften Rezeption nicht ausschließlich den kaum erträglichen Bildern geschuldet. Er bleibt das Geheimnis der Verfasserin, warum sie im selben Zusammenhang der Kollektivschuldthese Raum gibt. Die Annahme einer umstandslos gleichen Verstrickung der deutschen Bevölkerung war keine offizielle Politik der Alliierten. So sind die Nürnberger Prozesse ein Ausdruck dafür, wie von alliierter Seite die individuelle Ahndung der Schuld betrieben wurde.
Mit Claude Lanzmanns inszeniertem Opus „Shoah“ (F 1985) wird ein weiterer Dokumentarfilm in den Blick genommen. Lanzmann beteiligt die Zuschauenden mittels seiner Inszenierungen direkt am Prozess der Zeugenschaft. Zu Recht kritisiert die Autorin die Schaffung von Bildikonen von Schienensträngen und das „effekthascherische Heranzoomen an den Zeugen“ (S. 144) in „Shoah“. Deutlich zeigen sich die Grenzen der rezeptionsästhetischen Herangehensweise der Arbeit, wenn Correll dafür eintritt, dass Lanzmanns Film in einer 120 Minuten Fassung „erträglicher“ gewesen wäre. Es ist zu vermuten, dass das attestierte „wirkungsmächtige Ansteckungspotential“ „in den Gefühlsausbrüchen der Zeugen“ (S.138) - gemeint ist unter anderem deren Weinen – einer leicht konsumierbaren Kurzfassung von „Shoah“ auf der Ebene von Betroffenheit bei den Zusehenden stecken bleiben würde.
Mit „Auf Wiedersehen Kinder“ von Louis Malle (F 1987) liegt der Studie zufolge ein Film vor, der weniger auf ein spezifisches Vorwissen über den Zweiten Weltkrieg voraussetzt, sondern der „die Tragweite dieser Zeit erfahrbar“ machen würde (S. 181). Erfahrbarkeit als Alternative zu einer bewussten erzieherischen Absicht sowie die Herstellung von Empathie mittels Individualisierung sind Correls Leitlinien mit denen sie in einer nicht unmittelbar pädagogisch angelegten Arbeit didaktische Prinzipien benutzt. In diesem Ansatz liegt auch der große Wert der Arbeit, trotz mancher Zwiespältigkeit, die man bei der Lektüre empfindet. Der Ausführung, dass insbesondere “das Anknüpfen an das Alltagswissen und alltägliche Lebenserfahrung (…) der Überbrückung der historischen Distanz“ diene, kann uneingeschränkt zugestimmt werden.
Das Leitmotiv der Teilnahme und Teilhabe des Zuschauers am Film ermöglicht eine differenziert Beschreibung der möglichen Rezeption der Holocaustfilme. Filme erhalten ihre Wirkung erst in der Betrachtung, also in der Rezeption durch die Zuschauenden, die zum Teil abweichend von der Absicht der Filmemacher/innen sein kann. Recht weitgehend geht Corell von einer möglichen kollektiv übereinstimmenden Rezeption der Filme aus, während Filmerfahrung allerdings stark subjektiv geprägt ist, und gleichzeitig werden die Zuschauenden von durch diese Annehme enthistorisiert. Gerade aber der konkrete soziale und historische Rahmen der Betrachtenden prägt deren Zugang zum Film.
Indirekt stellt die Studie Spielfilme über den Holocaust als Weiterentwicklungen den dokumentarischen Arbeiten gegenüber. Filme wie der von Louis Malle, der gesichtete Spielfilm „Schindlers Liste“ (USA 1993)von Steven Spielberg würden nach Corell ein „intensives Miterleben und Nachvollziehen des Holocaustdurch Identifikation“ ermöglichen und einen „Authentizitätseindruck durch realistische Inszenierungsweise“ (S. 169) schaffen. Ähnliches gilt nach Ansicht der Autorin für Filme wie Radu Mihaileanus „Zug des Lebens“ F/BEL/ROM/NL 1998) und Roberto Benignis „Das Leben ist schön“ (I 1997), die anstelle einer „überfordernden Schockästhetik“ ein „respektvolles Umgehen mit dem Zuschauer“ bieten würden und ihn statt „mit den historischen Fakten direkt zu konfrontieren“ (S. 315) eher einladen würde sich zwanglos einem schwierigen Thema zu öffnen.
Ob ein zwangloses Entdecken und eine vermeintlich erzeugte Authentizität sowohl dem Thema, als auch dem Medium immer gerecht werden, ist zu zweifelhaft. Vielmehr scheint sich hier eine Rationalisierung durch Emotionalisierung fortzuschreiben für die beispielhaft die Fernsehserie „Holocaust“ stehen kann. Die auftauchende Zuschreibung von Sinnhaftigkeit – Corell schreibt im Zusammenhang mit „Birkenau und Rosenfeld“ (F/D/ Pol 2003) von der “Aufdeckung von Sinnpotentialen“ (S. 425) - spiegelt eine heutige Sicht wider. Die vollendete Sinnlosigkeit des Holocaust entspricht vielmehr der Erfahrung der Überlebenden der Vernichtung und bildet einen Teil der Präzedenzlosigkeit. Für den Spielfilm eröffnet gerade das Verfremdende „einen genrespezifischen Zugang zur Thematik“ (Elm) und zur Inszenierung von Geschichte.
Jenseits mancher wesentlicher Kritik bietet die Studie einen wichtigen und zum Widerspruch herausfordernden Beitrag zur Debatte darum, wie der Holocaust sich in das kollektive Gedächtnis einschreibt und welchen zentralen Stellenwert darin ein kulturindustrielles Medium einnimmt. Einen besonderen Wert stellen die zahlreichen detaillierten Sequenzanalysen der untersuchten Filme dar.