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Die Geschichte des Kampfes jüdischer Partisaninnen und Partisanen gegen die deutsche Besatzung und gegen die antijüdische Vernichtungspolitik findet hier zu Lande sicherlich noch weniger Beachtung, als der Widerstand von Juden gegen den Nationalsozialismus im Allgemeinen.
Umso beachtenswerter ist die Neuauflage des Bandes „Bewaffneter Widerstand“ der US-amerikanischen Autorin und ehemaligen Hochschullehrerin Nechama Tec. Die Autorin beschreibt differenziert das Leben von Tuvia Bielski, der in den Wäldern Weißrusslands eine Gruppe von bewaffneten und unbewaffneten Juden führte und rettete. Zum Zeitpunkt des Einrückens der Roten Armee bestand die Gruppe aus rund 1.200 Personen.
Tuvia Bielski, aus dem ursprünglich zu Polen gehörenden Dorf Stankiewicze stammend, erlebte die Ermordung seiner Eltern im Jahr 1941 und flüchtete mit zwei Brüdern in die Wälder Weißrusslands. Im Winter 1941 bestand die dortige Partisanenbewegung zunächst aus geschätzten 5.000 Männern und Frauen. Bis 1944 wuchs sie auf ungefähr 374.000 Personen an (vgl. Tec, S. 112) und stand unter der Kontrolle der Sowjetunion. Jüdinnen und Juden, denen es gelang der deutschen Verfolgung zu entkommen und aus den Dörfern oder den Ghettos zu entfliehen, waren in der Regel auf ein Leben in der Illegalität nicht vorbereitet und nicht selten mit dem Antisemitismus der Landbevölkerung konfrontiert.
Auch in der Partisanenbewegung war Antisemitismus nicht selten. Wenn er auch offiziell durch die Sowjets nicht geduldet wurde, verloren nicht wenige Flüchtlinge und jüdische Partisanen ihr Leben durch Verrat oder Mord seitens anderer Bewaffneter in den Wäldern. Auch die so genannten Bielski-Partisanen waren eng in die sowjetische Partisanenbewegung eingebunden. Während jedoch die Mehrzahl dieser Verbände aus jungen Kämpfern, und wenigen Kämpferinnen, bestanden, war es Tuvia Bielski das wichtigste Anliegen so viele Jüdinnen und Juden wie möglich zu retten. Daher fanden im Familienlager der Einheit viele Menschen ein Unterkommen. Die Autorin, die Tuvia Bielski zwei Wochen vor seinem Tod im Jahr 1987 interviewte, zitiert ihn mit den Worten: „Der Feind machte keinen Unterschied. Sie griffen sich wahllos Menschen und töteten sie. Würde ich sie nicht bloß nachahmen, wenn ich einfach ein paar Deutsche – irgendwelche Deutsche – umbrachte? (…) Ich wollte retten, nicht töten…“ (S. 85). Die Bewaffneten der Einheit befreiten Juden aus den umliegenden Ghettos, töteten Kollaborateure, betrieben Sabotage und waren wesentlich mit dem Aufbau der notwendigen Infrastruktur, also der Beschaffung von Nahrungsmitteln, in den Wäldern von Lipiczanska und Nalibocka beschäftigt.
Die Person von Tuvia Bielski, das Überleben in den Wäldern und die bewaffneten Aktionen gegen die Deutschen wird von Nechama Tec ohne einen Hang zur Mythenbildung erzählt. Sie spart die Ungleichbehandlung von Frauen nicht aus, schildert deren Bedrohungen und Vergewaltigungen ebenso wie das oft heroisierende (Selbst-)Bild des bewaffneten Kämpfers. Für ihre Arbeit hat die Autorin zahlreiche Interviews mit Überlebenden geführt. Nechama Tec, emeritierte Professorin der Universität von Connecticut – Stamford überlebte selbst den Holocaust in einem polnischen Versteck.
Auch ein irritierender Aspekt soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden. Der deutsche Verlag preist das Buch auf der Titelseite mit einem Banner an, auf dem er es als „Das Buch zum Kinofilm „Unbeugsam – Defiance“ mit Daniel Craig“ bewirbt. Das ist aus unterschiedlichen Gründen falsch und als Werbung nur unter ökonomischen Gesichtspunkten halbwegs nachvollziehbar. Der Film mit dem „James Bond“-Darsteller Craig stammt aus dem Jahr 2008 und kam im vergangenen Jahr in die deutschen Kinos. Auch wenn der Action-Spielfilm des Regisseurs Edward Zwick sich an die „wahre Geschichte“ anlehnt, nimmt er es mit den historischen Fakten nicht an jeder Stelle sehr genau. Ein Umstand, der den dramaturgischen Gegebenheiten des Genres geschuldet ist und für sich genommen noch nicht gegen den Film oder die Absicht des Regisseurs sprechen muss. Die Vermischung, die der deutsche Verlag durch seine Werbung vornimmt, wird zumindest dem vorliegenden Buch kaum gerecht. Wo der Film auf Effekte setzen muss, so bei der dramatischen Bombardierung des Lagers der Partisanen durch deutsche Flugzeuge, die nicht nachweisbar ist, bemüht sich die Autorin um Sachlichkeit. Im Gegensatz zum Spielfilm benennt Nechama Tec die Existenz polnischer Partisanenverbände und thematisiert das oft problematische Verhältnis dieser zu den jüdischen Flüchtlingen und Gruppierungen. Die Autorin verschweigt aber auch nicht die Hilfeleistungen und Rettungen durch polnische und weißrussische Bauern.
Resümierend lässt sich „Bewaffneter Widerstand. Jüdische Partisanen im Zweiten Weltkrieg“ als ein gelungenes Beispiel einer integrierten Geschichtsschreibung im Sinne von Saul Friedländer bezeichnen, die jüdische Dimensionen in eine historische Erzählung einbezieht.