Hans Ulrich Dillmann hat mit „Jüdisches Leben nach 1945“ einen schmalen Band vorgelegt, der die Spuren des Judentums im heutigen Deutschland in sieben Kapiteln sichtbar machen will.
Die ersten beiden Abschnitte sind der Geschichte der Juden und der Zeit von Verfolgung und Vernichtung im Nationalsozialismus gewidmet. Notgedrungen bleibt vieles verkürzt, wenn man eine viertausendjährige Geschichte auf 39 Seiten erzählen will. Durch die Kompaktheit der Darstellung gewinnen die Phasen von antijüdischer Verfolgung in der europäischen Diaspora ein Gewicht, hinter dem die Entwicklung der reichhaltigen, diversen und oft auch widersprüchlichen jüdischen Lebenswelten zurück tritt. Den größten Gewinn bieten die Kapitel zur jüdischen Geschichte nach der Zerschlagung des Nationalsozialismus und mit der Beschreibung der ersten „Inseln der Jüdischkeit“ (S.42) im Nachkriegsdeutschland.
Der Autor beschreibt in der Folge knapp, aber prägnant den Neubeginn der jüdischen Gemeinden und die Situation der Remigranten. Ferner skizziert Dillmann den Kampf um Entschädigung in Westdeutschland unddie schon in den 50er Jahren einsetzende Schlussstrichmentalität. Die Diskussionen mündeten zunächstin ein Bundesentschädigungsgesetz von dessen Regelung „Kommunisten, Sinti und Roma oder ausländische Opfer ausgeschlossen“ blieben (S.47).
Zwei Kapitel widmen sich dem Aufbau der Gemeinden in der SBZ und DDR und deren spezifischen Schwierigkeiten in einem Staat, der sich zwar das Gedenken an den Antifaschismus auf seine Fahnen schrieb und dem angerechnet werden muss, dass nicht nur viele Verfolgte ein Teil des Regierungsapparates wurden und der im Gegensatz zu seinem westlichen Nachbarn ein Gedenken früh institutionalisierte. Dieser Staat steht gleichzeitig für die Zurückstufung der jüdischen Überlebenden auf einen reinen Opferstatus und die Heroisierung des Antifaschismus in staatskommunistischer Ausprägung. „Sie haben alle geduldet und Schweres gelitten, aber sie haben nicht gekämpft“ hieß es in Bezug auf die Juden 1945 im Zentralorgan der KPD.
In der Ambivalenz zwischen Marginalität und Funktionalisierung für staatliche Interessen verlief der Aufbau jüdischer Gemeinden in der DDR, die durch den antifaschistischen Staat nie eine Entschädigung für die Verfolgung und Ermordung durch den NS-Staat und die deutsche Mehrheit erfahren haben.
Der von Hans Ulrich Dittmann gespannte Bogen seiner Betrachtungen umfasst im Weiteren die Einwanderung von russischen Jüdinnen und Juden im Zeichen von Glasnost und Perestroika in der Sowjetunion und dem Ankommen der neuen Gemeindemitglieder im Deutschland nach 1989. Er thematisiert die Freude über den Zuwachs in den Gemeinden, aber auch die Probleme von Juden, die der jüdischen Religion zum Teil entfremdet waren und Schwierigkeiten der gegenseitigen Integration alter und neue Gemeindemitglieder, wobei die letzteren zum Teil bald die Mehrheiten in den kleinen Gemeinden bildeten. Die abschließenden Kapitel beschreiben Form und Inhalt der jüdischen Religion, ihrer Traditionen und Riten, fragen aber auch nach dem jüdischen Leben außerhalb des Religiösen, also dem komplexen Verhältnis dessen was eigentlich Jüdischkeit ausmacht. Ein knapper, aber nützlicher Anhang mit einem Glossar und einer Adressen- und Literatursammlung runden den Band ab.
Durch den knappen Text bekommt man eine gute und lesbare Einführung in das Thema, sollte jedoch wegen dort auftauchender Fehler und Verkürzungen der jüdischen Geschichte weitere Literatur heranziehen, wenn es um eine Einführung für den Unterricht oder die außerschulische Bildung geht.