"Wir werden von den Deutschen immer nur als Zionisten, oder KZ-Opfer wahrgenommen. Wir sind weder Zionisten noch KZ-Opfer, wir sind ganz normale Jugendliche!" Dimitry, (17) (Zitat aus dem Film "Die Judenschublade- junge Juden in d.")
Seit einigen Jahren gibt es immer mehr Bestrebungen, deutsch-jüdische Geschichte stärker in den Fokus des Geschichtsunterrichts zu stellen. Dies ist vor allem einer Initiative des Leo Baeck Institutes zu verdanken. Ausgangspunkt der Initiative ist die Feststellung, dass deutsch-jüdische Geschichte im Bereich der schulischen Bildung immer noch sehr unvollständig und einseitig behandelt wird. Eine eigens gebildete Kommission, bestehend aus Mitgliedern des Georg-Eckert-Institutes für internationale Schulbuchforschung, des Verbands der Geschichtslehrer Deutschlands sowie des Zentralrates der Juden in Deutschland, formulierte Anforderungen an eine angemessenere Behandlung von deutsch-jüdischer Geschichte im Schulunterricht.
Das Ergebnis dieser Kommission ist die Erarbeitung einer Orientierungshilfe für Lehrplan- und Schulbucharbeit sowie für Lehrerbildung und Lehrerfortbildung. Ziel der Orientierungshilfe ist es, Anregungen und Hilfestellungen zu geben, um bei der Bearbeitung und Behandlung von deutsch-jüdischer Geschichte Perspektivenwechsel zu ermöglichen. Ein zentraler Kritikpunkt der Kommission wendet sich gegen die Form der Darstellung und Thematisierung von Juden allein als Objekte der Geschichte und als Opfer des Holocaust. Dass Juden in der deutschen Geschichte auch eine positive und aktive Rolle innehatten, bliebe in vielen Darstellungen in Schulbüchern und Lernmaterialien außen vor. Zudem bemängelt die Kommission, dass auch die Darstellung jüdischen Lebens in Deutschland nach 1945 insbesondere im Schulunterricht kaum eine Rolle spiele. Oft lässt sich zu diesem Thema in den Schulbüchern und Bildungsmaterialien ein Kapitel zur Gründung des Staates Israels finden. Damit wird man aber nicht der Thematisierung jüdisches Leben in Deutschland nach 1945 gerecht.
Was bedeutete es in der Nachkriegszeit in Deutschland als jüdischer Überlebender wieder Fuß zu fassen? Wollte man in Deutschland bleiben? Dies sind nur die ersten Fragen, die einem zum Thema jüdisches Leben nach 1945 in Deutschland einfallen sollten. Aber auch die Frage nach der Gegenwart hat dabei eine große Relevanz. Was wissen Schülerinnen und Schüler über aktuelles jüdisches Leben in Deutschland? In der Regel nur wenig und viele Jugendliche sind sich gar nicht bewusst, dass Juden ein Teil der Gesellschaft in der sie leben.
Damit nichtjüdische Jugendliche in Deutschland lernen, dass Juden auch ein Teil unserer heutigen Gesellschaft sind und ihre Wahrnehmung von Juden nicht nur auf den Holocaust und die Nahostpolitik beschränkt wird, müssen neue Ansätze und Materialien für Multiplikator/innen erarbeitet werden. Es reicht nicht aus, nichtjüdische Jugendliche über das Judentum aufzuklären, in denen ihnen die Festen, Riten usw. des Judentums gelehrt werden. Sie sollten lernen, dass deutsch-jüdische Geschichte weit mehr ist als der Holocaust und dass jüdische Jugendliche in Deutschland leben, mit denen sie vielleicht sogar mehr gemeinsam haben, als sie sich vorstellen können.
Genau diesen Zugang bietet der Film »Die Judenschublade-junge Juden in D«. Jüdische Jugendliche und junge Erwachsene erzählen von ihrem alltäglichen Leben, von ihrer Familie, von ihrem Judentum, sowie vom Zusammenleben und Freundschaft mit Nichtjuden, von Verbindungen und Meinungen zu Israel und Begegnungen mit Vorurteilen und Antisemitismus. Die porträtierten Jugendlichen und ihre Erzählungen ermöglichen einen ganz anderen Zugang zum aktuellen Judentum mit seinen Facetten in Deutschland als Fakten und Zahlen.
Um Lehrkräften und Multiplikatoren den Einsatz des Films in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit zur erleichtern, hat das Anne Frank Zentrum zusammen mit „element 3- Verein zu Förderung der Jugendkultur e.V. ein pädagogisches Begleitmaterial zum Film erarbeitet. Das neun Kapitel starke Material wurde für die Arbeit mit Jugendlichen ab 13 Jahren (7.-12 Klasse) entwickelt. Durch die erarbeiteten Methoden können die Jugendlichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den Jugendlichen aus dem Film erarbeiten. Dies ermöglicht gleichzeitig eine Auseinandersetzung mit eignen Rollenbildern, der eigenen Identität und der eigenen Familie. Darüber hinaus möchte das Material auch einen Einblick geben in jüdische Kultur und Religion, aber auch für Diskriminierung und Antisemitismus sensibilisieren.
Die Kapitel sind thematisch angeordnet und immer nach dem gleichen Schema aufgebaut. Jedes Kapitel beginnt mit einem Hintergrundtext zum Thema. Diese Texte wurden von der Autorin Lena Gorelik, die selber im Film porträtiert wird, in einer jugendlichen Sprache verfasst und sind daher sowohl für die Jugendlichen selber geeignet, als auch für Lehrkräfte als Information nützlich. Es folgende dann drei methodisch-didaktische Anleitungen (Ebene I-III) sich mit dem jeweiligen Thema mit Hilfe des Films zu bearbeiten.
Auf der Ebene I setzen sich die Jugendlichen hauptsächlich anhand von Filmbeobachtungsbögen mit den Protagonisten und ihren Meinungen zum Thema auseinander. Mit der Übung auf Ebene II wird eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Thema des Kapitels angestrebt und durch Rechercheaufgaben (z.B. als mögliche Hausaufgaben) ergänzt. In der letzten Ebene, setzten sich die Jugendlichen mit dem Thema und ihnen selber auseinander und stellen sich die Frage, was hat das mit mir zu tun? Eigene Erfahrungen und Bezugspunkte zum Thema des Kapitels sowie die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den Jugendlichen aus dem Film werden mit aktivierenden Methoden bearbeitet.
Das Begleitmaterial wurde erarbeitet von: Lena Gorelik, Margarethe Mehring-Fuchs, (Element 3 – Verein zu Förderung der Jugendkultur e.V.), Georg Rohde und Larissa Weber, Anne Frank Zentrum Berlin und erscheint voraussichtlich im Frühjahr 2010 im Cornelsen-Verlag. Das Anne Frank Zentrum bietet zu dem Material Fortbildungen für Lehrkräfte und Multiplikator/innen an. Alle Informationen erhalten Sie auf http://www.annefrank.de. Gefördert wurde das Projekt von Vielfalt tut Gut, der Kinder- und Jugendstiftung Baden-Württemberg und dem Leo Baeck Programm. Jüdisches Leben in Deutschland – Schule und Fortbildung.
Film »Die Judenschublade- junge Juden in d.« Dokumentation, Deutschland, 2006 Regie: Margarethe Mehring-Fuchs & Stephan Laur.
LBI-Kommission für Verbreitung deutsch-jüdischer Geschichte (Hrsg.): Deutsch-jüdische Geschichte im Unterricht. Orientierungshilfe für Lehrplan- und Schulbucharbeit sowie Lehrerbildung und Lehrerfortbildung, Frankfurt/Main 2003: http://www.juedischesmuseum.de/materialien/orientierungshilfe.html