In meiner Jugend liebte ich die Filmserie "Die Sklavin Isaura" und die Verfilmung des Weltbestsellers "Roots". Erstere ist eine international erfolgreiche Telenovela aus Brasilien, in deren Mittelpunkt das leidvolle Leben einer Sklavin steht. Die gleichnamige Romanze des Brasilianers Bernardo Guimarães stammt aus dem Jahre 1875. Es gilt als Anti-Sklaverei-Buch und wird heute noch in den Schulen Brasiliens gelesen. Bei "Roots" handelt es sich um eine afroamerikanische Familiensaga. Autor Alex Haley erzählt hier die mündlich tradierte Geschichte seiner eigenen Familie, die im Jahr 1767 mit der Entführung und Versklavung von Kunta Kinte im heutigen Gambia beginnt.
Mein Wissen zum Thema Sklavenhandel und Sklaverei erhielt ich somit vor allem aus Verfilmungen, in deren Mittelpunkt versklavte Menschen standen. Ich erhielt keine Informationen über das Warum der Sklaverei, über den organisierten Widerstand gegen die Versklavung oder über die ökonomischen und kolonialen Zusammenhänge. Die Ablehnung von Sklaverei blieb eine emotionale Angelegenheit, denn anderen Menschen leiden zuzufügen erschien mir schlicht ungerechtfertigt. Und so frage ich mich heute, warum ein so weit verbreitetes und folgenreiches Ausbeutungssystem in meiner Schulzeit so wenig Beachtung fand.
Die postkoloniale Theoretikerin Gayatri Chakravorty Spivak bezeichnet Pädagogik als den Versuch zwangsfrei eine Neuformierung von Wünschen und Begehren zu erreichen. Dabei ist es wichtig, sowohl die Menschen im globalen Süden, in den ehemalig kolonisierten Ländern, als auch die Menschen im globalen Norden, die sich über die koloniale Beherrschung bereichert haben, zu erreichen. Ziel ist die Dekolonisierung des Geistes, die es wiederum notwendig macht, die von Europa ausgehende Gewalt zu erinnern, wie auch die politischen und sozialen Konsequenzen dieser enormen Gewalt darzulegen.
Sklaven und Sklavinnen gab es bekanntlich bereits in der Antike. Dem griechischen Philosophen Aristoteles zufolge war der Sklave einem gezähmten Tier gleich, dessen sich die Herren bedienen können. Schwarze Menschen waren als „Mohren“ fester Bestandteil der königlichen Höfe des europäischen Mittelalters. Doch erst mit Beginn der kolonialen Expansion kommt es zur Etablierung eines weltweiten Sklavenhandels, der ein unglaubliches Ausmaß annimmt und vor allem von ökonomischen Überlegungen bestimmt wird. Ziel war zuvorderst die Optimierung der Ausbeutung kolonialer Ressourcen.
Zu Beginn der Neuzeit entsteht in diesem Zuge der Atlantische Dreieckshandel der Europa einen Reichtum sichert, von dem Europa heute noch profitiert. Der Beginn des Atlantischen Dreieckhandels wird auf das 17. Jahrhundert datiert und endete erst durch das Verbot des Sklavenhandels in Großbritannien im Jahre 1807. Es handelt sich dabei um eine geschlossene Handelskette bei der drei Etappen unterschieden werden: Europa bringt Schiffsladungen mit Waffen, Stahl, grobem Tuch und Manufakturwaren an die westafrikanische Küste wo die Waren gegen Sklaven und Sklavinnen eingetauscht werden. Danach wird die Karibik angesteuert (diese Teilstrecke wird auch als „middle passage“ bezeichnet). Hier werden die Sklaven und Sklavinnen gegen Zucker, Rum, Melasse sowie Baumwolle gehandelt. Waren, die schließlich auf dem europäischen Markt verkauft werden. An diesem gewinnträchtigen Geschäft waren auch Länder beteiligt, die selber keine Kolonien besaßen und auch keine eigene Sklavenhandelsflotte unterhielten.
Die Studie von Thomas David, Bouda Etemad und Janick Marina Schaufelbuehl "Schwarze Geschäfte" von 2005 zeigt etwa die Beteiligung von Schweizer Firmen an der Sklaverei auf. Sie waren in Schiffsexpeditionen involviert und besaßen Aktien von Gesellschaften, die über tausende Afrikaner und Afrikanerinnen im Rahmen des Atlantischen Dreieckhandels in die Karibik verschleppten.
Bereits 1787 wurde in Großbritannien die Gesellschaft zur Abschaffung der Sklaverei gegründet. Sie gilt als Beginn der abolitionistischen Bewegung, die sich aktiv für das Ende des Sklavenhandels stark machte. Die Bewegung hielt Informationsveranstaltungen gegen die Sklaverei ab, sammelte Unterschriften, reichte Petitionen im Parlament ein und rief zum Boykott von durch Sklavenarbeit gewonnenen Zuckers auf. Der erste Erfolg stellte sich trotz großer Mobilisierung erst 1807 ein, als Großbritannien und Irland offiziell den Sklavenhandel unter Verbot stellten. Und es dauerte noch etliche Jahre bis die Sklaverei letztlich abgeschafft wurde: 1833 wurde das Gesetz zur Abschaffung der Sklaverei verabschiedet, mit dem vom 1. August 1834 alle Sklaven und Sklavinnen im britischen Kolonialreich für frei erklärt wurden. 1888 schaffte Brasilien schließlich als letzter Staat die Sklaverei offiziell ab.
Innerhalb der Abolitionistenbewegung um Granville Sharp fand auch ein ehemaliger Sklave, Olaudah Equiano, große Beachtung. Geboren 1745 in Igbo, dem heutigen Nigeria und 1797 in den USA gestorben, gilt Equiano als ein Kämpfer für das Verbot des Sklavenhandels. Während der 1700 im heutigen Ghana geborene schwarze Philosophieprofessor der Universität Halle Anton Wilhelm Amo bereits im 18. Jahrhundert Streitschriften gegen die Legitimierung und Naturalisierung der Sklaverei verfasste.
Deutlich wird hier zumindest dreierlei: Zum einen, ist die Befürwortung der Sklaverei nie eine Sache des Zeitgeistes gewesen. Viel eher musste der Sklavenhandel und die Etablierung der Sklaverei beständig legitimiert werden. Des Weiteren ging der Widerstand immer auch von den Menschen aus, die selber versklavt worden waren. So genannte Sklavenaufstände existierten solange es Sklaverei gab. So erhoben sich 1791 auf Haiti unter François-Dominique Toussaint Louverture, der selbst in einer Sklavenfamilie geboren war, erfolgreich Sklaven und Sklavinnen, was unter anderem dazu führte, dass im französischen Teil der Insel Hispaniola (St. Domingue) die Sklaverei bereits 1793 abgeschafft wurde.
Und schließlich erweist sich, dass der Eintritt in die Moderne und die Kämpfe um Menschlichkeit verflochtene Prozesse darstellen, wie Shalini Randeria schreibt, die sowohl im globalen Süden als auch im globalen Norden stattfanden.
Das Verfolgen der Serien "Die Sklavin Isaura" und "Roots" erlaubten mir diese Erkenntnis nicht, eine Dekolonisierung des Geistes aber bedarf eines solch komplexen Wissens. Das Erinnern an die Entstehung der Sklaverei und die Geschichte der Widerstände dagegen, ermöglichen es ebenso Widerstandspotential gegen die so genannte moderne Sklaverei zu aktivieren und erscheint mir mithin eine politisch-pädagogische Notwendigkeit.