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Anna Smulowitz, die Autorin des Theaterstücks "Terezin, Children of the Holocaust", wurde nach dem Krieg als Tochter zweier Überlebender der Konzentrationslager Buchenwald und Auschwitz in einem "Camp for Displaced Persons" geboren und wanderte als sehr kleines Kind mit ihren Eltern in die USA aus. Ihr ganzes Leben lang wurde ihr eingeschärft, nie wieder deutschen Boden zu betreten. Eine Gruppenerfahrung in den USA mit Kindern von Opfern und Tätern des NS-Regimes hatte sie jedoch bewogen, mit der Gruppe "Face-to-Face" (heute: One-by-One) nach Deutschland zu reisen. Aufgrund persönlicher Kontakte besuchte sie im Februar 1993 die Odenwaldschule in Ober-Hambach in der Nähe Frankfurts. Dort entwickelte sich ein freundschaftliches Verhältnis zu Schülern und Lehrern, das sich durch eine gemeinsame Fahrt nach Buchenwald noch vertiefte. Am Ende ihres Aufenthalts äußerte Anna Smulowitz den Wunsch, ihr Theaterstück solle ins Deutsche übersetzt und an der Odenwaldschule, die eine langjährige Theatertradition hat, zum ersten Mal aufgeführt werden. Daraufhin wurde in den Sommerferien von einem Schüler und einer Lehrerin eine Übersetzung erarbeitet, die seitdem als Grundlage der deutschen Aufführung dient.
Das Theaterstück beschreibt zwei Tage aus dem Leben von sechs Kindern, die mehr oder weniger zufällig eine Zelle in Theresienstadt teilen. Die dramatische Situation des Eingesperrtseins wird verknüpft mit biographischen Elementen (Schicksal von Anna Smulowitz' Vater und Mutter) und historischen Fakten (Inspektion des "Musterghettos" Theresienstadt durch eine Internationale Kommission des Roten Kreuzes am 23. Juni 1944). In eindringlicher Weise erinnert das Werk an die mehr als eine Millionen Kinder und Jugendlichen, die Opfer des Naziregimes wurden.
Zu Beginn des Schuljahres 1993/94 kam Anna Smulowitz ein weiteres Mal nach Ober-Hambach, um mit uns die Probenarbeit zu beginnen. Bei den Schülerinnen und Schülern war die Ankündigung, dieses Stück spielen zu wollen, auf reges Interesse gestoßen. Ihre Motivation, das Stück auf die Bühne zu bringen, war gewiss vielfältig. Für die einen war ein wichtiger Beweggrund die Freundschaft und Nähe zur Autorin sowie die eigene Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus und zwei unterschiedliche Interpretationen. Anna Smulowitz, die unsere zwei Inszenierungen erstmals in Berlin sah, fand unsere Interpretation recht verschieden von der ihrigen, wenngleich ihr einige Details durchaus nachahmenswert erschienen. Da wir im Laufe des Projekts Gelegenheit hatten, alle (je zwei amerikanische und deutsche) Interpretationen nebeneinander zu sehen, wurde uns deutlich, wie verschiedenartig die einzelnen Grundauffassungen waren.
Um das Stück einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, entschlossen wir uns zu einer Theaterfahrt, die uns nach Berlin führte. Von den insgesamt vier Berliner Aufführungen zeigten wir die erste im wiedereröffneten jüdischen Gymnasium im ehemaligen Scheunenviertel, die zweite in der Carl-Zeiss-Oberschule, einer befreundeten UNESCO-Schule, die dritte im "Haus der Kirche" und die letzte in der "Evangelischen Schule". Ein ursprünglich geplanter Auftritt im Jugendgefängnis wurde von der Gefängnisleitung abgesagt, da die Reaktionen der Jugendlichen nicht einschätzbar waren und man kein Risiko eingehen wollte. Ursprünglich war die Berlin-Reise als Ende des Theaterprojekts gedacht. Als eine Schülerin nach der Rückkehr aus den USA, wo sie an einem Theater-Workshop von Anna Smulowitz teilgenommen hatte, berichtete, es finde eine Aufführung anlässlich des "Internationalen Friedenstreffens: Interfaith Pilgrimage for Peace and Life 1995 von Auschwitz nach Hiroshima" statt, vereinbarten wir mit Anna Smulowitz, sie möge auch für unsere Aufführung um eine Einladung bitten.
Diesem Wunsch wurde entsprochen, und daraus entstand ein sehr ungewöhnliches Projekt, an dem fast 50 Menschen, u.a. Schauspieler, Regisseure, Techniker sowie begleitende amerikanische Eltern und Geschwister zwischen 8 und 50 Jahren und das dreiköpfige Video-Team, das auch schon in Berlin gefilmt hatte, teilnahmen. Was sich im Verlauf dieser fünftägigen Fahrt zwischen und in den Menschen, die daran teilgenommen haben, ereignet hat, war so vielfältig und bewegend, dass es sich nur schwer in Worte fassen läßt. Dass wir das Stück am 6. Dezember 1994 in Auschwitz spielen durften, ist für jeden von uns unvergesslich. Danach wurde das Stück noch einmal in amerikanischer Übersetzung an der Odenwaldschule aufgeführt. Die zwei letzten Aufführungen fanden im Februar 1995 in Heidelberg anlässlich eines Pädagogik-Kongresses und in Weimar auf Einladung des Kuratoriums Ettersberg statt. So schloss sich für uns der Kreis, dessen Beginn die Reise nach Buchenwald gewesen war.
Obwohl das Stück vor sehr verschiedenem Publikum gespielt wurde, war in allen Gruppierungen ein intensives emotionales Empfinden erkennbar. Applaus wurde als deplaziert empfunden, und in den nach einer kurzen Pause stattfindenden Gesprächen über die Aufführungen wurden oft die Authentizität der Atmosphäre, die Glaubwürdigkeit der Personen und die Dichte der Handlung hervorgehoben. Insbesondere Menschen, die eine ähnliche Situation durchlebt hatten, waren tief berührt. Während der Diskussion in Auschwitz wurde verschiedentlich unser Mut, als Deutsche dieses Stück in deutscher Sprache an diesem Ort zu spielen, sehr positiv bewertet. Aber auch in den Medien stieß das Theaterstück auf große Resonanz: Im Februar 1994 sendete der Saarländische Rundfunk ein Feature "Schultheater gegen Rechts", das im Laufe des Jahres von fünf weiteren Rundfunkanstalten übertragen wurde. 1995 erschien die erste 60-minütige Fassung des Videos "Enkelkinder", die aber aus fernsehtechnischen Gründen auf 43 Minuten gekürzt werden musste und im Dezember 1997 zusammen mit einer amerikanischen Fassung mit dem Titel: "A Generation Twice Removed" erschien, nachdem es noch einmal großer Anstrengungen bedurft hatte, die notwendigen Finanzmittel zu beschaffen.
Der tiefe Eindruck, den das Stück auf die Schauspieler hinterlassen hat, läßt sich am besten durch einige charakteristische Originaltöne vermitteln: "Aus einem Versuch, Geschichte nachzuvollziehen, ist es mehr und mehr in einen hineingewachsen, man war viel betroffener als im Unterricht." (Jan in "OSO-Nachrichten", Nr. 51, S.50) "Ich finde, nach dem Stück - und das ist ein Veränderungsvorschlag von mir - sollte man nicht wieder auf die Bühne gehen, und das habe ich auch von vielen Leuten bestätigt bekommen: Die Schauspieler sind weg, und es sind nicht nur Schauspieler. Das haben viele so empfunden: Es ist ein Stück persönlicher Geschichte, und deswegen können die jetzt nicht auf die Bühne kommen und jemand anders sein, dem man zuklatscht für 'ne Leistung." (Cordula in "OSO-Nachrichten", Nr. 51, S.50) "Es war sehr schön, bei diesem Theaterstück mitzuspielen, aber es hat viel Kraft und Zeit gekostet. Das Schlimmste waren für mich die Träume, die ich zeitweise hatte. (...) Jetzt weiß ich aber, dass ich mich dadurch mit dem Thema einmal richtig auseinandergesetzt habe und dass ich etwas getan habe, um zu zeigen, wie schlimm es damals für die Menschen im KZ war. Ich hoffe, ich habe einige Leute zum Nachdenken gebracht, dass so etwas nie wieder vorkommen darf." (Katrin in "OSO-Nachrichten", Nr. 51, S. 63)