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Ort/Bundesland: Niedersachsen |
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Hannes Derichs Mittelbergring 38 D-37085 Göttingen |
In den Rahmenrichtlinien des Landes Niedersachsen zur historisch-politischen Bildung in der Orientierungsstufe (Klasse 5 und 6) wird u.a. gefordert: "Bezugspunkte der thematischen Auseinandersetzung mit dem Thema 'Kinder und Jugendliche zur Zeit des Nationalsozialismus' sollten vor allem Beispiele aus dem Alltagsleben von Kindern aus der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur sein. Geeignete Kinder- und Jugendbücher ... sollten in den Unterricht einbezogen werden. Auch Beispiele aus der Region der Schülerinnen und Schüler haben einen hohen Stellenwert ... Die Einbeziehung von Zeitzeugen und Zeitzeugnissen sowie Besuche in Gedenkstätten müssen, sollen sie in den Unterricht eingehen, sorgfältig vorbereitet werden."
Nach Durchsicht vieler Kinder- und Jugendbücher entschließe ich mich, meiner Klasse das Buch von Hans Peter Richter: "Damals war es Friedrich" für den Unterricht und unser Projekt "Kinder und Jugendliche zur Zeit des Nationalsozialismus" anzubieten. Das Buch enthält die kurze Lebensgeschichte Friedrich Schneiders, Kind jüdischer Eltern. Der Bogen spannt sich von der Geburt (1925) bis ins Alter von 17 Jahren (1942). Während eines Bombardements wird er - weil er Jude ist - aus dem Luftschutzkeller vertrieben und findet draußen, von einem Splitter getroffen, den Tod.
Hans Peter Richter erzählt in zeitlicher Parallele zur Judenverfolgung im Dritten Reich. Fast jedes der 32 Kapitel enthält einen weiteren Schritt auf dem Wege zur Entrechtung und Vernichtung der Juden. Es beginnt mit Beschimpfungen und Beschuldigungen und endet mit Zerstörungen, Verhaftungen und dem Tod Friedrichs, der hier stellvertretend für den gewaltsamen Tod von Millionen Juden steht. Alle Gewalttaten gegen die Juden werden auf die persönliche Lebensebene Friedrichs und seiner Eltern projiziert. Dadurch wird die Judenverfolgung unmittelbarer und konkreter geschildert: die Kündigung der Wohnung (Treppengespräch), der Verlust des Arbeitsplatzes (Herr Schneider), die Propaganda der Nationalsozialisten (Schulweg, Die Schlaufe, ...), die Demütigungen in Schwimmbad, Kino und Stadtpark, die Zerstörung jüdischer Geschäfte und Wohnungen, die Gewalt gegen Menschen. Erzählt wird in der Ich-Form und aus der Sicht eines Nichtjuden, der als Kind und Jugendlicher ohnmächtig die sich steigernden Gewalttaten der Nationalsozialisten gegenüber den Juden erlebt. Hans Peter Richter zeigt dem jungen Leser besser und eindringlicher, als es jede Dokumentation vermag, was Judenverfolgung im "Dritten Reich" konkret bedeutete. Über die Pogrome hinaus gewinnt der Leser auch Einblicke in jüdisches Leben und Denken.
Der historische Hintergrund stellt eine besondere Schwierigkeit dar, da bei den Schülerinnen und Schülern dieser Altersstufe noch kein Verhältnis zur Zeit als geschichtlichem Phänomen entwickelt ist. Aus diesem Grunde werden Informationsblätter eingesetzt, die den geschichtlichen Hintergrund kurz und knapp in einer den Kindern verständlichen Sprache erläutern. Die Schüler lesen gemeinsam Kapitel für Kapitel und entnehmen weitere Informationen den Begriffserläuterungen im Buchanhang. Zum besseren Verstehen und auch zur Vertiefung des Gelesenen werden Arbeitsblätter verwendet. Viele dort enthaltenen Aufgaben fordern Schülerinnen und Schüler heraus, selbst Stellung zu beziehen, Fragestellungen genau zu überdenken, Meinungen zu benennen und auch Gefühle zu beschreiben.
Um ein reines Durchlesen des Buches zu vermeiden, werden szenische Spiele eingesetzt, die sich aus den jeweiligen Kapiteln herleiten lassen (siehe pdf-Dokumente). So erhalten die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, sich mit den einzelnen Personen zu identifizieren. Hier zeigt sich, dass viele Schülerinnen und Schüler von dem Buch tief getroffen sind. Friedrichs Lebensweg und Schicksal lassen niemanden unberührt. Es stellen sich spontane Fragen und emotionale Reaktionen ein, auf die überlegt und mit Geduld geantwortet werden muss. Im Kapitel "Die Schlaufe" erfährt Friedrich, dass er nicht zu den Auserwählten gehört. In einer Gruppenstunde werden die "Pimpfe des Führers" gegen die Juden eingeschworen. Ein Wortspiel: "Die Juden sind unser Unglück" (Vorgabe des Sonderbeauftragten) - "Die Juden sind - euer Unglück" (Antwort Friedrichs) wird mit den Schülerinnen und Schülern im Arbeitsblatt "Spannungsdreieck" (siehe pdf-Dokumente) festgehalten.
Anschließend wird der 20minütige Videofilm "Die Hitlerjugend" (Beitrag aus dem Schulfernsehen des Bayerischen Rundfunks) gezeigt, in dem sehr eindringlich geschildert wird, wie Kinder und Jugendliche durch Spiel und Sport, gemeinsame Veranstaltungen und Ferienlager im Sinne des Führers erzogen und missbraucht werden: vom glücklichen Kind zum "glücklichen" Soldaten.
Im Kapitel "Der Lehrer" informiert Lehrer Neudorf seine Schüler über die Geschichte der Juden, die wichtigsten heiligen Schriften des Judentums und teilweise auch über deren Beziehung zum Christentum. Für ein besseres Kennenlernen der jüdischen Religion ist es notwendig, dass zumindest in groben Zügen die Inhalte der heiligen Schriften (Thora und Talmud) bekannt sind. Dies geschieht mit Hilfe von Arbeitsbögen im Klassengespräch. In dem Kapitel "Das Fest" erfahren die Schülerinnen und Schüler einiges über den Ritus des jüdischen Gottesdienstes, über das Innere einer Synagoge sowie über das Aussehen und das Verhalten der Gottesdienstteilnehmer. Besonders ereignisreiche Kapitel des Buches (Der Tod, Der Rabbi, Fledderer, Ende) werden vom Lehrer vorgelesen.
Im Kapitel "Bänke" erlebt Friedrich Zuneigung (vielleicht auch Liebe) von Helga, einem "arischen" Mädchen. Mit den Gefühlen Friedrichs setzen sich die Schülerinnen und Schüler anhand eines Arbeitsblattes mit folgender Aufgabenstellung auseinander: "Hast Du Zeit für mich? Ich möchte Dir etwas schreiben. Mein Vater kann es nicht verstehen, er hört nie richtig zu. Irgend jemand muss ich es aber mitteilen, sonst halte ich es nicht mehr aus!" Und nun schreibt Friedrich einen Brief an Hans Peter. Er schildert seine Erlebnisse mit Helga, seine Gefühle, seine Ängste ...Das Kapitel "Im Keller" zeigt noch einmal deutlich die menschenverachtende Einstellung der Nationalsozialisten und ihrer Mitläufer. Doch regt sich auch leiser Widerstand gegen die Maßnahmen im Luftschutzkeller. Die Schülerinnen und Schüler erleben Herrn Resch, den Hausbesitzer aus dem ersten Kapitel, als Fiesling, für den Juden weniger gelten als ein "räudiger Hund".
Der Tod Friedrichs (Lehrervortrag) macht betroffen und wütend, denn selbst für einen toten Juden empfinden Nazis kein Mitleid. Zum Abschluss lesen wir gemeinsam das Gedicht von Johannes R. Becher: "Der Jude". Hinzuweisen ist auch auf folgende Filmbeiträge, die parallel zu den gelesenen Kapiteln gezeigt werden: "Jugend unter Hitler" Eine Bearbeitung für das Schulfernsehen vom Südwestfunk Baden-Baden in Zusammenarbeit mit der Taurus-Film München.Fernsehserie: "Blut und Ehre" Die vier Teile zeigen das Leben ausgewählter Familien in den Jahren 1933 - 1940: ihre Entwicklung in dieser Zeit, die Auseinandersetzungen innerhalb der Familien, Stimmungen für und wider die Diktatur.
Im Anschluss an die Unterrichtsreihe besuchen die Schüler und Schülerinnen innerhalb einer Projektwoche u.a. das Göttinger Städtische Museum und erhalten ein Arbeitsblatt, mit dem sie in den betreffenden Räumen des Museums herausfinden, wie sich der Nationalsozialismus in ihrer Heimatstadt zeigte.
Außerdem werden zwei Zeitzeugen eingeladen:
Die Schülerinnen und Schüler sind auf diese Gesprächsrunden gut vorbereitet, haben Fragen vorbereitet (siehe pdf-Dokumente) und hören den Antworten gespannt zu. Zusammen mit Artur Levi besuchen die Schülerinnen und Schüler den jüdischen Friedhof .
In der Gedenkstätte Moringen informieren sich die Schülerinnen und Schüler über das Jugend-KZ, das von 1940 bis 1945 im heutigen Landeskrankenhaus untergebracht war.Mitarbeiter der Gedenkstätte schildern die Lebensbedingungen der Jugendlichen und die Gründe, weswegen sie inhaftiert wurden. Ein Besuch der Eingangshalle des ehemaligen KZ und dort vorgetragene Sequenzen aus dem Buch von Arnulf Zitelmann "Paule Pizolka" (Geschichte eines Jungen, der die furchtbare Zeit im KZ Moringen erlebt) lassen die Schülerinnen und Schüler still werden. Ein Besuch auf dem Moringer Friedhof, auf dem 55 KZ-Insassen beerdigt wurden, vertieft die Eindrücke. In Muße verarbeiten die Schüler anschließend ihre Eindrücke: Einige schreiben ihre Gedanken auf, andere malen (siehe pdf-Dokumente).